Hamburg. Anbieter weisen häufig höhere Anteile aus, als sie tatsächlich beziehen. Kritiker sprechen von Verbrauchertäuschung. Die Hintergründe.
Fast jeder deutsche Stromanbieter hat inzwischen einen „Öko-Tarif“ im Programm. Rund 8000 solcher Grünstrom-Offerten soll es geben. Auch drei Anbieter aus Hamburg – LichtBlick, Hamburg Energie und Greenpeace Energy – sind auf diesem Markt aktiv. Allerdings wird mittlerweile auf praktisch jeder Stromrechnung in Deutschland ein hoher Anteil an Ökostrom angegeben. In vielen Fällen stammt aber ein erheblich geringerer Teil des vom Versorger eingekauften Stroms tatsächlich aus „grünen“ Quellen. Manchmal auch gar keiner.
Mit verantwortlich für die irreführenden Angaben ist die bisher geltende Regelung der Kennzeichnungspflicht. Voraussichtlich noch im Mai aber wird eine Änderung des entsprechenden Gesetzes verabschiedet – und das kann erhebliche Folgen für den ausgewiesenen Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen haben.
Ökostromanteil bei vielen Anbieter dürfte durch neue Regelung sinken
Denn einem Gutachten der Beratungsfirma HIC Hamburg Institut zufolge ist der wirkliche Ökostrom-Anteil im ausgewiesenen Strommix deutscher Versorger um bis zu 58 Prozentpunkte geringer als offiziell angegeben. Das Hamburg Institut hat beispielhaft 30 Anbieter daraufhin untersucht, wie sich die Kennzeichnung durch die neue Rechtslage verändern würde. So weise etwa E.on aktuell einen Grünstrom-Anteil von 56 Prozent aus, nach der Reform seien es aber nur noch sieben Prozent (siehe Grafik). Ein ähnliches Bild ergebe sich bei anderen großen Versorgern: Bei EnBW falle der Ökostrom-Anteil von 65 auf 13 Prozent und bei Vattenfall von 66 auf 15 Prozent.
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In Auftrag gegeben wurde die Analyse vom Hamburger Anbieter LichtBlick – und der kommt mit einem „echten“ Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien von 100 Prozent auch besonders gut weg. Verantwortlich für die „jahrelange Verbrauchertäuschung“ seien nicht die Versorger, sondern der Gesetzgeber, sagt LichtBlick-Sprecher Ralph Kampwirth: „Es handelt sich bei der aktuellen Stromkennzeichnung um legales Greenwashing.“ Mit der Neuregelung werde künftig klar ersichtlich, ob Stromversorger ihren Strom aus Kohle, Atomkraftwerken oder erneuerbaren Quellen beziehen. Das schaffe mehr Transparenz.
Naturschützer und LichtBlick kritisieren bisherige Regelung
Kritik an der bisherigen Kennzeichnung gibt es schon lange. Nicht nur Ökostrom-Spezialisten wie LichtBlick stören sich daran, sondern auch Naturschutzverbände. Die derzeit noch geltende Regelung ermögliche es konventionellen Stromanbietern, einfach zusätzlich einen „Grünstrom“-Tarif auf den Markt zu bringen, ohne dass dieser die Energiewende tatsächlich fördere, sagt Ronja Heise, Fachreferentin Energie bei der Hamburger Umweltschutzorganisation Robin Wood.
Wie es in der Analyse des Hamburg Instituts heißt, liegt dies daran, dass „die bestehende Stromkennzeichnung in keiner Weise das Beschaffungsverhalten der Stromvertriebe wiedergibt“. Selbst Unternehmen, die keinerlei Strom aus erneuerbaren Energiequellen einkauften, wiesen einen „überwiegend grünen Strommix“ auf.
Kauf von Zertifikaten treibt Ökostrom-Anteil nach oben
Und das geht so: Ein europäischer Betreiber eines Wasserkraftwerks oder eines Windparks erhält für seinen Strom einen Herkunftsnachweis, der aber getrennt von der tatsächlich produzierten Energie gehandelt werden darf. Ein deutscher Stromhändler kann solche Zertifikate kaufen und damit die an seine Kunden gelieferte Energie als Ökostrom ausweisen, selbst wenn die Firma real nur Strom aus Atom- oder Kohlekraftwerken eingekauft hat.
Ebenso zur Irreführung trägt bei, dass der nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von der Bundesregierung geförderte Ökostrom rein rechnerisch auf alle Stromkunden in Deutschland verteilt wird. Auf Basis der von seinen Privatkunden gezahlten Umlage muss der Anbieter einen „grünen“ EEG-Strom-Anteil von rund 46 Prozent ausweisen – auch wenn er überhaupt gar keinen Ökostrom einkauft.
Kunden sollten sich den Mix genau anschauen
Mit der neuen Rechtslage wird sich das nach Angaben von Ronja Heise zwar für den Unternehmensmix ändern, aber nicht für den Strommix der einzelnen Tarife. „Bleibt zu hoffen, dass viele Kundinnen und Kunden auf den neu ausgewiesenen Unternehmensmix achten und sie der peinlich geringe Anteil erneuerbarer Energien bei vielen Anbietern zum Wechsel ermutigt“, sagt Heise.
Auch mit der neuen Kennzeichnung bleibt es aber wohl die Frage, woran Verbraucher einen Ökostrom-Tarif, der wirklich dem Klimaschutz dient, erkennen können. Ein Anhaltspunkt dafür kann das „Grüner Strom“-Etikett sein, das von führenden Naturschutzverbänden wie dem BUND und dem Nabu getragen wird. Anbieter müssen unter anderem mit mindestens 0,5 Cent je verkaufter Kilowattstunde den Ausbau erneuerbarer Energien fördern.
Hamburg Energie bezieht 70 Prozent des Stroms aus eigenen Anlagen
Seit Anfang 2021 darf auch Hamburg Energie dieses Siegel verwenden. Nach Angaben des stadteigenen Versorgers stammen 70 Prozent des angebotenen Stroms aus eigenen Anlagen – rund 43 Prozent sind Windkraft, sechs Prozent Solarenergie, 14 Prozent Biomasse und sieben Prozent Kraft-Wärme-Kopplung – und die übrigen 30 Prozent aus eingekaufter Wasserkraft per Direktbezug vom Erzeuger.
Bei Hamburg Energie begrüßt man die Änderung der Kennzeichnungsregeln ausdrücklich: „Es ist höchste Zeit, dass der Gesetzgeber diese irreführende Stromkennzeichnung endlich beendet“, sagt Geschäftsführer Michael Prinz. Sonst sei das Wettbewerbsverzerrung und Irreführung der Stromkunden: „Nur wer tatsächlich Strom aus erneuerbaren Quellen liefert, sollte das auch ausweisen dürfen.“
Umweltschutzorganisation Robin Wood empfiehlt nur zehn Anbieter
Besonders strenge Maßstäbe legt jedoch Robin Wood für das eigene „Gütesiegel“ an. Gemäß dem „Ökostromreport 2020“ der Organisation gehören nur zehn Firmen zu den „empfohlenen Anbietern“. Greenpeace Energy ist darunter, LichtBlick aber nicht mehr. Der Grund: Das Hamburger Unternehmen wurde Ende 2018 von dem niederländischen Energieversorger Eneco übernommen – und dieser verkaufe auch sogenannten Graustrom aus Atom und Kohle und betreibe ein Gaskraftwerk.
Von LichtBlick hieß es dazu, Eneco befinde sich „im Wandel“. Außerdem will LichtBlick künftig selbst Energieerzeuger werden und dazu in Wind- und Solarparks investieren: „Bis 2025 sollen 20 bis 25 Prozent unseres Absatzes aus eigener Ökostrom-Produktion stammen.“
In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Verbraucher für Grünstrom-Tarife entschieden. Nach jüngsten verfügbaren Zahlen sind es rund 13 Millionen Nutzer. In Hamburg soll der Anteil der Privatkunden, die sich beim Neuabschluss eines Vertrages für Ökostrom entscheiden, mit fast 50 Prozent weit überdurchschnittlich hoch sein.
Im Schnitt soll „grüner“ Strom nur 1,4 Prozent teurer als konventioneller Strom sein
Dabei ist in diesem Fall das Klimabewusstsein nicht einmal mit erheblichen Mehrkosten verbunden. Laut der Bundesnetzagentur ist ein Ökostromtarif mit im Schnitt 31,66 Cent pro Kilowattstunde gerade einmal 1,4 Prozent teurer als ein herkömmlicher Vertrag mit einem Lieferanten, der nicht der örtliche Grundversorger ist (31,22 Cent).
Mittelfristig könnte sich das aber deutlich ändern. „Der Preis für Grünstrom wird in den nächsten Jahren signifikant steigen“, sagte LichtBlick-Vertriebsvorstand Constantin Eis kürzlich. Denn die Elektrizität aus erneuerbaren Quellen entwickele sich zu einem knappen Gut, weil immer mehr Großunternehmen ihren Strom nur noch aus Wind- oder Solarparks beziehen, um sich als „klimaneutral“ darstellen zu können.