Hamburg. Sinkende Umsätze im ersten Halbjahr 2020. Doch Otto-Tochter steigert Umsatz um vier Prozent und ist in Italien besonders erfolgreich.
Eigentlich sollte es nur ein Fototermin im Geschäft des Hamburger Modehändlers Bonprix in der Innenstadt sein. Aber dann zieht Firmenchef Richard Gottwald doch sein Handy aus der Tasche und demonstriert kurz, wie man sich bei der Otto-Tochter die Zukunft des Einkaufens vorstellt. Mit wenigen Klicks lassen sich in dem Pilotladen Kleider, Hosen und Dessous zum Anprobieren in die Umkleidekabine bestellen. Oder wahlweise gleich in die Einkaufstüte zum Mitnehmen. Wer will, kann per App bezahlen. Es ist ein Projekt, wie es dem 62-Jährigen gefällt.
„Es ist ein Anreiz, etwas Neues zu schaffen.“ Seit dem Start 2019 habe man viel dazugelernt – und einiges verändert. Gerade allerdings stagniert die Weiterentwicklung des innovativen Ansatzes, der stationäre und digitale Shoppingmöglichkeiten verbindet. Der Bonprix-Shop ist seit Monaten im Corona-Lockdown. Erlaubt ist nur die Abholung von Click & Collect-Bestellungen. „Das ist für ein echter Wermutstropfen“, sagt Gottwald.
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Bonprix will das Image als Billigheimer loswerden
Durch die großen Schaufenster an der Mönckebergstraße sieht man die aktuelle Frühjahrskollektion der Modemarke, die 1986 als klassischer Versandhändler unter dem Dach der Otto Gruppe gestartet war. Zarte Sommerkleider, luftige Blusen, helle Übergangsjacken, alles sorgfältig und geschmackvoll drapiert. Nach der Schließung nahezu aller bisherigen Filialen in den vergangenen Jahren ist der Standort so etwas wie eine Versuchsanordnung.
Das Geld verdient die Gruppe im Onlinehandel. Dabei steht das Unternehmen für günstige Mode. Kaum etwas kostet mehr als 50 Euro. T-Shirts gibt es schon ab fünf Euro. Die wichtigste Zielgruppe sind Frauen ab 35 Jahren, die im Idealfall für Ehemann, Kinder und die Wohnungseinrichtung mitbestellen. In den vergangenen Jahren hat Bonprix viel investiert, um das Image als Billigheimer loszuwerden. Die Gruppe mit 4000 Mitarbeitern und Kundinnen in 30 Ländern will bis 2030 ausschließlich nachhaltige Produkte verkaufen und setzt auf Digitalisierung sowie technologische Entwicklungen.
Sinkende Umsätze im ersten Halbjahr 2020
„So konnten wir jetzt schnell auf die veränderten Anforderungen in der Corona-Pandemie reagieren und Produktionsprozesse umsteuern“, sagt Richard Gottwald, der vor zwei Jahren zum Vorsitzenden der Geschäftsführung berufen worden war. Von seinem Büro auf dem Otto-Campus im Bramfeld steuert er den Modehändler durch die Krise. Dabei guckt ihm Rock-Ikone Patti Smith über die Schulter, deren überlebensgroßes Foto er hinter seinem Stehpult aufgehängt hat. Besonders am Anfang habe es einen erheblichen Nachfragerückgang gegeben, sagt er.
Sommerkleidung, Bademoden und auch Festgarderobe wurden plötzlich nicht mehr gekauft. Die Folge: Im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2020/21 sanken die Umsätze um 3,6 Prozent. Im zweiten Halbjahr lief es deutlich besser. Insgesamt erwirtschaftete der Versandhändler im abgelaufenen Geschäftsjahr (bis Ende Februar 2021) 1,76 Milliarden Euro – ein Plus von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch die Rendite entwickelte sich positiv. Konkrete Zahlen nennt Bonprix hier nicht.
Umsatzplus von 25 Prozent in Italien
Besonders gut haben sich die Geschäfte in Italien entwickelt, wo sich der E-Commerce-Handel durch die Corona-Beschränkungen stark beschleunigt hat. Mit einem Umsatzplus von 25 Prozent auf mehr als 100 Millionen Euro und 60 Prozent mehr Neukundinnen machte Bonprix in dem Mittelmeerland sein bislang bestes Ergebnis. Auch in Frankreich, Belgien, der Schweiz sowie in Ungarn und Tschechien gab es zweistellige Wachstumsraten. In Russland und den USA schloss der Händler dagegen unter Vorjahresniveau ab. Schwierige Marktbedingungen nennt Gottwald als Grund. Konkret waren beide Länder vom Einbruch im Bademode-Bereich betroffen.
In Deutschland stiegen die Verkäufe erst im vierten Quartal wieder deutlich an. Insgesamt liegt das Bonprix-Stammland, in dem das Unternehmen 40 Prozent der Umsätze erzielt, mit drei Prozent mehr Erlösen aber unter der Gesamtwachstumsrate. Angesichts eines Einbruchs der Nachfrage in der Branche von 20 Prozent komme das Unternehmen sehr gut durch die Krise, sagt Gottwald. „Wir sind aktuell sehr zufrieden.“
Mit Künstlicher Intelligenz bessere Prognosen erstellen
Einen wichtigen Grund sieht er in der Sortimentsbreite. Bonprix habe kurzfristig auf den Trend zu bequemer Mode für Homeoffice und Freizeit reagiert, der sich durch die Veränderungen in der Lebens- und Arbeitswelt in der Corona-Pandemie entwickelt hat. Das soll weiter ausgebaut werden. „Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz können wir viel besser prognostizieren, welche Artikel nachgefragt werden“, sagt der Bonprix-Chef. Unter anderem hat das Unternehmen im vergangenen Jahr eine sogenannte Learning Collection gestartet. Mit diesem Prognosesystem lassen sich Produktmerkmale wie Material, Schnittform und Farben über Algorithmen mit vorhandenen Daten vergleichen. „So lassen sich keine Modeströmungen vorhersagen, aber man kann erkennen, ob ein Artikel funktioniert.“
Zugleich beobachtet Gottwald ein verändertes Bewusstsein im Umgang mit Mode, das sich in einer gesunkenen Retourenquote zeige. „Es wird bewusster eingekauft.“ Für das Unternehmen, das niedrige Preise vor allem mit schlanken Strukturen und geringen Margen erreicht, zahlt sich das direkt aus: Je weniger Reste am Saisonende übrig sind, desto größer ist der wirtschaftliche Erfolg.
Bonprix-Chef blickt optimistisch auf das laufende Geschäftsjahr
Auch wenn die Corona-Pandemie noch längst nicht überwunden ist, blickt der Bonprix-Chef optimistisch auf das laufende Geschäftsjahr. Angesichts weiterhin steigender Zahlen im Onlinegeschäft erwartet er „ein Plus im hohen einstelligen Bereich“. Auch das innovative Retailkonzept „Fashion Connect“ mit dem Laden in der Mönckebergstraße soll weiterentwickelt werden. Der Bedarf ist da, glaubt der Hamburger. „Corona hat den digitalen Wandel im Modehandel wie durch ein Brennglas beschleunigt. Mit unseren Konzepten fühlen wir uns gut vorbereitet.“
Dass in diesen Zeiten vor allem Flexibilität gefordert ist, hat Richard Gottwald gerade auch ganz persönlich zu spüren bekommen. Schon im vergangenen Sommer war ein Konzert mit seinem Idol Patti Smith im Stadtpark auf dieses Jahr verschoben worden. Jetzt heißt es, dass die Sängerin im Juni 2022 nach Hamburg kommen soll.