Kaltenkirchen. Bonbonhersteller Cavendish & Harvey steigert im Corona-Jahr den Umsatz in asiatischen Ländern. Insgesamt sinken die Erlöse aber.

Chinesen lutschen gerne Zitronen-Drops. Und wenn sie erst mal auf den Geschmack gekommen sind, dann schieben sie sich ziemlich häufig einen Bonschen in den Mund. „22 Prozent aller Chinesen, die fruchtige Hartbonbons essen, tun das mehrmals pro Woche“, sagt Lennart Schumann.

Marketingleute nennen solche Verbraucher „heavy user“, was so viel wie häufiger Nutzer bedeutet. In Deutschland sind das nur 14 Prozent der Drops-Anhänger. Auch bei den „medium usern“, die mehrmals pro Monat zugreifen, liegt das Reich der Mitte vorn. „In China sind es 31, in Deutschland 21 Prozent“, sagt Schumann.

Studie von Bonbonmacheren aus Kaltenkirchen

Schumann weiß so was, weil er der Marketingchef von Cavendish & Harvey ist. Der Süßwarenhersteller mit Sitz in Kaltenkirchen, der seine mit Puderzucker bestäubten Bonbons in bunt bedruckten Blechdosen ausliefert, hat das in einer Umfrage bei je 1500 Verbrauchern in Deutschland und der Volksrepublik herausgefunden.

Eine Markterforschung mittels Tiefeninterviews hat zudem gezeigt: Chinesische Chefs schätzen es nicht, wenn auf den Schreibtischen ihrer Mitarbeiter Süßkram herumliegt. Die deponieren daher die Bonschendose in der Schublade – und naschen, wenn der Chef gerade nicht guckt. Die Vorliebe für den Zitronengeschmack war leichter zu ermitteln. Das verraten die Verkaufszahlen.

Gut 150 Bonbonmacher arbeiten für Cavendish & Harvey

Denn für die gut 150 Bonbonmacher aus Hamburgs Norden ist das 1,3-Milliarden-Einwohner-Land in Fernost der wichtigste Absatzmarkt, noch vor Deutschland. „20 bis 30 Prozent“ des gesamten Umsatzes werden dort erwirtschaftet“, sagt Frank Gemmrig. Allzu genau möchte der Geschäftsführer das nicht beziffern. Es sind sensible Daten.

Lesen Sie auch:

Im Corona-Jahr haben die Erlöse im Land mit der stetig wachsenden wohlhabenden Mittelschicht sogar noch zugelegt. „Im ersten Quartal gab es zwar einen Rückgang, aber der konnte durch das Wachstum in den Monaten danach mehr als kompensiert werden“, sagt der Geschäftsführer. Unter dem Strich waren es sechs Prozent Umsatzplus in China. Dort haben die Kaltenkirchener unter anderem ihre Präsenz auf Online-Handelsplattformen ausgebaut.

Sonderedition zum chinesischen Neujahrsfest

In diesem Jahr hat eine Sonderedition zum chinesischen Neujahrsfest geholfen. Die Bonbons in den Dosen waren zwar die gleichen wie immer. Aber weil das Jahr des Ochsen begann, war auf das Dosenblech ein Ochse gedruckt. Was hierzulande mit Weihnachtsmann-Optik vor dem Fest funktioniert, funktioniert halt anderswo mit traditionellen Tierkreiszeichen.

Auch andere Asiaten lieben die Bonbons aus Kaltenkirchen. In Vietnam stieg der Umsatz im vergangenen Jahr sogar um 30 Prozent – allerdings von einer geringeren Basis aus als in China. Und hierzulande legten die Erlöse um 18 Prozent zu. Weil in beiden Ländern neue Verkaufsregionen erschlossen wurden. In Vietnam der Norden, in Deutschland weitere Regionen von großen Supermarktketten wie Rewe und Edeka. Cavendish & Harvey war zuvor jahrelang überhaupt nicht im Einzelhandel präsent. Erst vor einigen Jahren begann die Rückkehr in den gehobenen Lebensmittelhandel. Es gibt für die Kaltenkirchener aber immer noch weiße Flecken in der deutschen Vertriebslandschaft.

Etwa 30 Millionen Euro erlöste das Unternehmen 2020

Trotz der Zuwächse in einigen Ländern – 2020 war ein Jahr des Rückschritts für das Unternehmen. „Der Umsatz ist um zehn Prozent auf etwa 30 Millionen Euro zurückgegangen“, sagt Geschäftsführer Gemmrig. Der Hauptgrund: „Einige Vertriebswege sind weggebrochen.“ Im wichtigen Duty-free-Geschäft ging wenig, in Nord- und Südamerika waren die Lockdowns oft härter als in Europa. Zudem stünden die Bonbondosen häufig in Non-Food-Geschäften als kleinere Leckerei in Kassennähe – aber gerade solche Geschäfte seien häufig besonders lang geschlossen gewesen, sagt Gemmrig.

Im ersten Jahr der Corona-Pandemie stieg der Süßwarenabsatz in Deutschland zwar, teilte der Branchenverband BDSI kürzlich mit. „Die eigentlichen Profiteure waren aber salzige Snacks, Süßgebäck und Schokolade“, sagt Gemmrig. Und die Online-Versender. So meldete World of Sweets aus Henstedt-Ulzburg, nach eigenen Angaben Deutschlands größter Online-Süßwarenversender, für 2020 unlängst ein Umsatzplus von 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 26,8 Millionen Euro.

In die Produktion wurde massiv investiert

Bei Cavendish & Harvey ist das Management trotz des Erlösrückgangs optimistisch. „Wir sind profitabel und sehr zufrieden mit dem Jahr“, betont Gemmrig. Während der einmonatigen Kurzarbeitsphase im Frühjahr 2020 seien die Gehälter aufgestockt worden. Und einerseits wurden zwar Kosten gesenkt, andererseits wurde aber auch ein siebenstelliger Eurobetrag in die Produktionsanlagen gesteckt.

In denen wird viel Zucker verarbeitet, sehr viel sogar. Zwar bieten die Kal­tenkirchener auch zuckerfrei an, aber die Zuwächse in diesem Segment sind überschaubar. „Zuckerfrei ist vorrangig ein wichtiges Thema bei Wirkbonbons“, sagt der Geschäftsführer mit Blick auf Menthol- oder Salbeilutscher.

Neue Kreationen aus Kaltenkirchen

Bei den Genussbonbons aus der Blechdose dagegen stellen die Käufer sich eher keine selbstkritischen Ernährungsfragen. Auch die im Februar auf den Markt gekommenen neuen Kreationen aus Kaltenkirchen – Bonbons mit harter Hülle und weicher Füllung in Geschmacksrichtungen wie „Zitrone mit Erdbeer“, oder „Kirsche mit Limette” – bestehen zu 70 Prozent aus Zucker. Ein Teil der Antwort auf die Frage warum Chinesen Bonbons aus Kaltenkirchen lieben, heißt denn wohl auch: Weil Chinesen sich von viel Zucker nicht verunsichern lassen.