Berlin. Martin Winterkorn und Rupert Stadler sollen für den Dieselskandal bei VW zahlen – Untersuchungen sehen eine Mitschuld bei den Managern.
VW wollte die düstere Vergangenheit ein Stück weit mehr hinter sich lassen. An den Werken in Wolfsburg und Dresden übergab der Konzern am Freitag die ersten Elektro-SUV des Typs ID.4 an Kunden. Das Auto ist ein Hoffnungsträger. Die ID-Serie soll Elektromobilität massentauglich machen – und den Vorsprung des US-Pioniers Tesla verringern.
Doch vorerst kommt der Konzern an seinem Dieselskandal nicht vorbei. Der Aufsichtsrat forderte zeitgleich, dass VW seine früheren Vorstände Martin Winterkorn und Rupert Stadler für den millionenfachen Abgasbetrug persönlich in Haftung nehmen muss.
Die Manipulationen an der Abgasreinigung von elf Millionen Dieselautos waren im September 2015 aufgeflogen. Bis heute hat VW für die Folgen – Rückkauf, Umrüstungen, Strafen, Entschädigungen, Rechtskosten – rund 30 Milliarden Euro ausgegeben. Und dafür soll der Konzern nun von seinen früheren Spitzenmanagern Schadenersatz eintreiben. Das beschloss der Aufsichtsrat des Konzerns nach mehrtägigen Beratungen und jahrelangen Untersuchungen.
1,6 Millionen relevante Dokumente zum Abgasbetrug
Die Kanzlei Gleiss Lutz hatte dafür rund 480 Millionen Dokumente ausgewertet, von denen 1,6 Millionen als relevant gelten. Außerdem führten die Anwältinnen und Anwälte 1550 Interviews und Vernehmungen. VW bezeichnete dies als eine der umfangreichsten und aufwendigsten Untersuchungen in einem Unternehmen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Die Ergebnisse sprechen eine klare Sprache: Nach einer Krisensitzung am 27. Juli 2015 soll es der damalige Konzernchef Martin Winterkorn unterlassen haben, „die Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in 2,0-Liter-TDI-Dieselmotoren, die in den Jahren 2009 bis 2015 im nordamikanischen Markt vertrieben wurden, unverzüglich und umfassend aufzuklären“.
Auch habe er nicht dafür gesorgt, dass Fragen der US-Behörden „umgehend wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet werden“. Im September 2015 machte die kalifornische Umweltbehörde Carb ihre Erkenntnisse öffentlich. Schon wenige Tage später musste Winterkorn seinen Posten räumen.
Noch kein Schlussstrich unter dem Dieselskandal
Im Fall des früheren Audi-Chefs Rupert Stadler geht es um dessen Umgang mit Dieselmotoren, die Audi auch für andere Konzernmarken wie VW und Porsche entwickelt hatte. Ab Ende September 2016 hätte Stadler diese auf unzulässige Softwarefunktionen untersuchen lassen müssen, so der Bericht.
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Wie hoch die Forderungen an die einstigen Spitzenmanager wegen Verletzungen ihrer aktienrechtlichen Sorgfaltspflicht ausfallen, bleibt offen. Manager sind in der Regel in Millionenhöhe versichert. Ob die Haftpflicht-Policen ausreichen, wird sich noch zeigen müssen – womöglich geht es auch ans Privatvermögen der Ex-Konzernlenker.
VW will neben Winterkorn und Stadler auch die früheren Manager Ulrich Hackenberg, Stefan Knirsch und Wolfgang Hatz von den Töchtern Audi und Porsche belangen. Dem Ex-Volkswagen-Entwicklungschef Heinz-Jakob Neußer sei bereits eine Rechnung präsentiert worden.
VW sprach am Freitag von einem „Schlussstrich“ unter der Aufklärungsarbeit zum Dieselskandal – dagegen betonte der Aufsichtsrat des Konzerns, die Dieselkrise sei fünfeinhalb Jahre nach Bekanntwerden keinesfalls beendet: „Die straf- und zivilrechtlichen Auseinandersetzungen laufen weiter.“
Winterkorn steht ab September wegen Betrug vor Gericht
Da wäre vor allem der Prozess wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs, wegen dem sich Martin Winterkorn und andere VW-Manager ab September vor Gericht verantworten müssen. Stadler saß wegen Verdunklungsgefahr zwischenzeitlich in Untersuchungshaft und steht wegen einer möglichen Mitverantwortung beim Abgasbetrug vor dem Münchner Landgericht.
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Ein Verfahren wegen mutmaßlicher Marktmanipulation gegen Winterkorn hatte das Landgericht Braunschweig eingestellt – weil das erwartbare Strafmaß im Betrugsprozess höher ausfallen könnte. Es ging um den Vorwurf, die Anleger zu spät über die Risiken des Dieselskandals aufgeklärt zu haben.
Auch der heutige Konzernchef Herbert Diess und Chefaufseher Hans Dieter Pötsch waren angeklagt – sie zahlten neun Millionen Euro an das Land Niedersachsen, das Verfahren wurde eingestellt.
Ex-Chef beteuert, sich korrekt verhalten zu haben
Aktionärsschützer hoffen durch die Schadenersatzforderungen auf neue Informationen. „Je mehr aus diesen Verfahren publik wird, ist das von Vorteil für die Aktionäre“, sagte Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), unserer Redaktion. So bestehe die Möglichkeit, dass Privatanleger an neue Informationen zum Dieselskandal aus dem VW-Konzern gelangen. Sie fordern von VW einen Ausgleich für die massiven Kursverluste durch den Dieselskandal.
Winterkorn meldete sich am Freitag über seine Anwälte zu Wort. Er beteuerte, sich vor dem Bekanntwerden des Dieselskandals korrekt verhalten zu haben. Er will „alles Erforderliche getan und nichts unterlassen haben, was dazu geführt hätte, den entstandenen Schaden zu vermeiden oder geringer zu halten“. Stadler äußerte sich nicht.
Der Dieselskandal hatte VW in die tiefste Krise der Unternehmensgeschichte gestürzt. Mit riesigen Investitionen in Elektromobilität haben Winterkorns Nachfolger einen Neustart angeschoben, der von Branchenexperten bereits als mustergültig gewertet wird. Die Elektromobilität drängt inzwischen den Dieselmotor von der Straße.