Hamburg. Ein Jahr nach dem Führungswechsel ist Hamburgs Wirtschaftsvertretung auf dem Weg zurück zur früheren Bedeutung. Eine Analyse.
Der blaue Teppich auf den breiten Stufen der Handelskammer ist frisch shampooniert. Drinnen läuft eine Videokonferenz, das Plenum debattiert über die Stadtentwicklung in den kommenden Jahren. Wie soll Hamburgs Innenstadt, wie sollen die Quartiere in den nächsten 20 Jahren vorangebracht werden? Die Vertreter des Einzelhandels kommen zu Wort, Verkehrsunternehmer, Außenhändler, auch die Industrie bringt Ideen ein.
Eine Dreiviertelstunde läuft der Meinungsaustausch, konzentriert und auch mal kontrovers. Offensichtlich nicht vorhanden sind: gegenseitiges Misstrauen, persönliche Anwürfe, die Suche nach dem eigenen Vorteil. Das war bis vor einem Jahr anders.
Konstituierende Sitzung des Kammerplenums jährt sich
Am 3. April jährt sich die konstituierende Sitzung des neu zusammengesetzten Kammerplenums, das eine Art Parlament des größten Teils der Unternehmen in der Stadt ist. Es war zugleich das Ende einer dreijährigen, oft ziemlich turbulenten Phase, in der die sogenannten Kammerrebellen in dem altehrwürdigen und vom Wohlstand der Hamburger Kaufmannschaft zeugenden Haus am Adolphsplatz das Sagen hatten.
Mit dem unhaltbaren Wahlversprechen, die Pflichtbeiträge für die Zwangsmitgliedschaft in der Kammer abzuschaffen, hatten diese Rebellen 2017 das Plenum erobert. Es waren vor allem Kleinunternehmer, die sich bisher nicht in der Kammer engagiert hatten, weil sie sich nicht durch diese repräsentiert sahen. Sie versprachen, alte, verkrustete Strukturen aufzubrechen und die Kammer zu verschlanken. Doch sie fanden keinen Konsens, zerfielen in Lager, die sich anfeindeten. Rebellen-Präses Tobias Bergmann warf schon nach einem Jahr entnervt vom internen Hickhack das Handtuch – auf eine neue Führungsfigur konnte man sich nicht einigen.
„Die Handelskammer liegt am Boden"
Die Kammer isolierte sich zunehmend in der Stadt. Und in ihren Sparbemühungen überwarfen sich die Rebellen mit den hauptamtlichen Mitarbeitern, zahlreiche langjährige Kammerbeschäftigte gingen freiwillig oder wurden gegangen. Es war eine Zeit, an die sich viele Beteiligte nur ungern erinnern. Sie endete mit der Abwahl der meisten Plenumsmitglieder aus dem Rebellenlager.
„Die Handelskammer liegt am Boden. Wir müssen sie wieder aufbauen“, sagte der danach neu gewählte Präses Norbert Aust vor knapp einem Jahr. Inzwischen ist die Wirtschaftsvertretung nach Meinung vieler in der Stadt dabei auf einem guten Weg. „Die Stimme der Kammer hat wieder Gewicht“, sagt etwa Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). „Wir haben auch mit der vorherigen Kammerführung vernünftig zusammengearbeitet. Aber der Austausch ist jetzt noch enger und strukturierter geworden. Und das ist wichtig.“
Enge Zusammenarbeit während Corona-Pandemie
Es ist umso wichtiger, als Hamburgs Wirtschaft infolge der Corona-Pandemie in ihrer schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg steckt. Da sind Spannungen zwischen Senat und den Unternehmensvertretern kontraproduktiv. „Die Zusammenarbeit mit der Handelskammer ist in allen politischen Fragestellungen sehr eng und vertrauensvoll. Wir wissen, dass wir uns jederzeit gegenseitig auf dem kurzen Dienstweg anrufen können“, sagt Dressel. „Durch Vermittlung der Kammer sind wir nahe an den Unternehmen, nahe an deren Problemen und damit auch nahe an Problemlösungen.“
Dressel lobt den neuen Präses: „Norbert Aust ist der richtige Mann auf der Handelskammer-Brücke, ein Elder Statesman mit viel Erfahrung und eng verdrahtet in Gesellschaft und Politik.“ Auch die Zusammenarbeit mit den Vizepräsides sei eng. „Frau Nissen-Schmidt steht uns als Beraterin bei der Umsetzung des Hamburger Stabilisierungsfonds zur Seite“, sagt Dressel. Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) stellt fest: „Die Zusammenarbeit ist professionell und sachlich.“
„Das Verhältnis zur IHK Nord ist sehr eng geworden“
Auch zu nahestehenden Wirtschaftsorganisationen hat sich das Verhältnis deutlich gebessert – etwa zur IHK Nord, dem Zusammenschluss der norddeutschen Kammern. Die Rebellen wollten da schon bald nach ihrer Machtübernahme raus. „Zu teuer“, lautete der Vorwurf. Der Wille, die Kosten zu reduzieren, war größer als das Bedenken, die norddeutsche Wirtschaft könne Wirkmacht auf Bundesebene einbüßen. Diese Sicht hat sich inzwischen ins Gegenteil gedreht. Malte Heyne war damals Geschäftsführer der IHK Nord, heute ist er Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg.
Er sagt: „Das Verhältnis zur IHK Nord ist in der Tat sehr eng geworden.“ Das liege nicht zuletzt daran, dass die IHK ihren Sitz in Hamburg hat und die Hamburger derzeit den Vorsitz in der IHK Nord haben. „Auch die Zusammenarbeit mit dem DIHK läuft wieder eng“, sagt Heyne. „Hier und da schaut man noch etwas skeptisch auf die Hamburger, aber der Wille zur Kooperation ist auf beiden Seiten spürbar.“
Kooperation durch Neuwahl des Plenums verbessert
Angespannt war das Verhältnis zu den anderen Wirtschaftsverbänden. Fühlten diese sich früher von der starken und dominant auftretenden Handelskammer überfahren, waren die Beziehungen unter den Kammerrebellen fast eingeschlafen. Auch das hat sich gedreht: „Seit der Neuwahl des Plenums und mit dem neuen Präses wie Hauptgeschäftsführer hat sich die Zusammenarbeit gut entwickelt. Wir blicken auf einen regelmäßigen und konstruktiven Austausch im ersten Jahr zurück, sei es im Haupt- oder auch Ehrenamt“, sagt etwa Uli Wachholtz, Präsident der Unternehmensverbände (UV) Nord.
Entscheidend ist aber, wie die Kammer bei den Hamburger Unternehmern selber ankommt. Viele hatten sich zwischen 2017 und 2020 von der Kammer entfremdet. Angesichts der gern öffentlich ausgetragenen Dauerfehden zwischen den in Fraktionen zerfallenen Rebellen hatten unter anderem der damalige Budnikowsky-Geschäftsführer Cord Wöhlke und Bauunternehmer Stefan Wulff die Kammer scharf angegriffen und vorgezogene Neuwahlen gefordert. Heute sitzen beide wieder im Plenum.
Ex-Rebell: „Es macht wieder Spaß, mitzuarbeiten“
„Ehrenamt heißt für mich, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Niels Pirck, Geschäftsführer der Haspa und ab 2017 einer von wenigen Nicht-Rebellen im Plenum. „In der letzten Plenarperiode bestand dies wesentlich darin, die Kammer zu stabilisieren. Seit einem Jahr kann ich mich endlich wieder inhaltlich, mit Impulsen für die Hamburger Wirtschaft, dieser Verantwortung stellen.“
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Selbst in den Reihen der wenigen Rebellen, die vor einem Jahr erneut ins Plenum gewählt wurden, ist Erleichterung über das entspanntere Klima spürbar. Der Hafenunternehmer und Ex-Rebell Johann Killinger sagt: „Die alten Gräben sind nicht mehr vorhanden. Es macht wieder Spaß, mitzuarbeiten.“
Rebellen brachen alte Strukturen der Handelskammer auf
Allerdings sei unter den Rebellen nicht alles schlecht gewesen, betont er: „Ich möchte die drei Jahre zuvor nicht als vergeudet betrachten. Bei allem überflüssigen Zwist haben sie auch Gutes gebracht, weil überkommene verkrustete Strukturen aufgebrochen wurden und die Kammer heute frisch dasteht.“ So wie der Teppich.
Dass über all dieses offen geredet wird, ist wohl das größte Verdienst der Rebellen, das auch heute noch fortlebt. Sie haben Transparenz in die Kammer gebracht. Die Zeit der Hinterzimmer- Kungeleien ist vorbei.