Berlin. Von wegen Gleichberechtigung: Frauen werden schlechter bezahlt und sind seltener in Top-Positionen. Was sie am Aufstieg behindert.
- Gleichberechtigung im Job und bei der Bezahlung ist für die wenigsten Frauen Realität
- Dabei absolvieren Frauen meistens gleichgute Abschlüsse wie Männer, manchmal sogar bessere
- Wodurch wird der Gehaltsunterschied verursacht? Warum wird er nicht behoben?
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ So steht es im Grundgesetz. Doch der Alltag sieht auch nach jahrzehntelangen Bemühungen für mehr Gleichstellung anders aus. Frauen werden schlechter bezahlt, sind seltener in Führungspositionen und kümmern sich mehr um Arbeiten in der Familie als Männer.
Jüngste Fortschritte – wie eine größere Beteiligung von Frauen in Aufsichtsräten oder Vorständen von Unternehmen – erfolgen nicht freiwillig, sondern werden durch gesetzliche Quoten erreicht. Warum gelingt es den Frauen nicht – obwohl sie knapp 51 Prozent der Bevölkerung stellen – gleichberechtigt in der Wirtschaft vertreten zu sein? Vier Expertinnen benennen die schwersten Hürden auf dem Weg nach oben.
Gleichberechtigung: Mit Familie kommt der Gender Pay Gap
Ob in der Schule, Ausbildung oder an Hochschulen – Frauen absolvieren meistens gleichgute Abschlüsse wie Männer, manchmal sogar bessere, und sind damit für das Berufsleben bestens qualifiziert. Dennoch verdienen Frauen aktuell im Schnitt 19 Prozent weniger als Männer. Dieser Gehaltsunterschied (Gender Pay Gap) wird durch viele Gründe verursacht – vor allem weil Frauen seltener in Führungspositionen und häufiger in Teilzeit beschäftigt sind.
Die Kluft wächst ab dem 30. Lebensjahr deutlich stärker an – mit der Familiengründung, sagt Katharina Wrohlich, Expertin für Gender Economics am DIW Berlin. Von da an nehmen Frauen Auszeiten für die Kindererziehung oder verkürzen ihre Arbeitszeit. Verdienen Frauen bis 30 Jahre noch neun Prozent weniger als Männer, erhalten sie ab 50 Jahren schon 28 Prozent weniger.
Führungspositionen: Gläserne Decke und intransparente Besetzung
Die meisten Führungspositionen in Deutschland sind männlich besetzt. In der Soziologie erklärt man dieses Phänomen mit dem Ähnlichkeitsprinzip. „Es zeigt, dass wir bevorzugt Menschen einstellen, die uns ähnlich sind“, erklärt Janina Kugel, Senior Advisor der Boston Consulting Group und Initiatorin der Kampagne #ichwill. „In den Spitzenfunktionen heißt das meist: Männer befördern Männer. In Kitas hingegen werden Frauen bevorzugt.“
Zudem habe jeder Mensch unbewusste Vorurteile, das unconscious bias. Mitarbeiter werden unterschiedlich bewertet, auch wenn sie objektiv gleiche Leistungen erbringen. Erst Strukturen helfen dabei die Stereotypen bei der Besetzung von Führungspositionen zu durchbrechen. Janina Kugel: „Wenn jeder Job, der zu vergeben ist, ausgeschrieben werden muss und nicht mehr unter der Hand vergeben wird, finden sich Kandidaten außerhalb bestehender Netzwerke und plötzlich viele kompetente Menschen, die vorher nicht im Blick waren. “
Karriere als Frau: Die Teilzeitfalle
„Teilzeit ist für viele Frauen der Karrierekiller“, sagt Monika Schulz-Strelow, Vorsitzende des Verbands Frauen in die Aufsichtsräte (Fidar). Wer nach der Elternzeit die Arbeitszeit auf 50 Prozent reduziert, kann oft nicht mehr auf Vollzeit aufstocken. Dies ist oft das Ende einer Karriere. Von Führungskräften werden in der Regel Vollzeit, Überstunden, ständige Erreichbarkeit und keine Erwerbsunterbrechungen erwartet, wie Studien zeigen.
„Diese Ansprüche können Frauen, die familienorientiert sind, nur schwer erfüllen“, sagt Yvonne Lott, WSI-Expertin für Geschlechterforschung. Um mehr Frauen in Führungsjobs zu bekommen, müsste die Führungskultur und Arbeitsorganisation in Betrieben grundlegend verändert werden. Job-Sharing bei Führungskräften müsste möglich sein.
Frauen im Job: Fehlende Netzwerke und keine ausreichende Quote
Frauen haben oft kein Netzwerk, das sie nach oben trägt, weil sie in Führungsetagen bislang noch nicht ausreichend vertreten sind. Anders bei Männern: „Männer befördern vor allem Männer - und manchmal auch Frauen. Durch die Dankbarkeit des beförderten Kollegen dürfen sie sich in der Regel dessen dauerhafter Unterstützung sicher sein“, sagt Schulz-Strelow.
Mit strategischen Netzwerken beförderten sich Männer gegenseitig nach oben. „Frauen befördern wiederum nicht automatisch Frauen, obwohl sie sich dadurch ebenfalls Netzwerke aufbauen könnten.“ Eine Quote könnte dazu beitragen, dass mehr Führungspositionen mit Frauen besetzt werden.
Das neue Führungspositionen-Gesetz II sei zwar wichtig für mehr Gender-Gerechtigkeit, aber es reiche in seiniger jetzigen Form nicht aus, kritisiert Janina Kugel. „Es wäre besser, eine Mindestprozentzahl statt einer Mindestanzahl von Frauen zu definieren. Denn erst durch einen Anteil von 30 Prozent Diversität in einer Gruppe, ändert sich die Meinung der Majorität.“ Und erst dann kämen die Vorteile von diversen Teams voll zur Geltung. Studien belegen, dass Unternehmen, deren Führungsteams divers aufgestellt sind, wirtschaftlich erfolgreicher und innovativer sind.
Das Elterngeld: Gutgemeint, aber reformbedürftig
Das Elterngeld ist eine finanzielle Hilfe vom Bund, sein Kind selbst zu betreuen. Das gängige Modell sieht 14 Monate Unterstützung vor, wenn ein Elternteil mindestens zwei und höchstens zwölf Monate für sich in Anspruch nimmt. Die Praxis hat gezeigt, die meisten Männer nehmen die zwei Monate, den Rest nimmt die Frau. Janina Kugel meint das Gesetz sei dringend reformbedürftig.
„Beide Elternteile sollten einen signifikanten Anteil an der Betreuung des Kindes übernehmen müssen, damit Rollenbilder sich ändern.“ Ein Beispiel: Beantragen Eltern für 14 Monate Elterngeld, werden die nur voll bezahlt, wenn der Vater davon mindestens sechs Monate übernimmt. Und nicht wie bisher meistens zwei Monate. Katharina Wrohlich empfiehlt sogar eine paritätische Aufteilung der Elternzeit zwischen Vater und Mutter.
Ehegattensplitting als Fehlanreiz – Machtmittel für den Mann?
Beim Ehegattensplitting lassen sich meistens die Ehefrauen in eine schlechtere Steuerklasse einstufen – und erhalten so deutlich weniger Netto ausbezahlt. „Das Ehegattensplitting stammt aus dem Jahr 1958 und entspricht nicht der Realität, in der Familien 2021 leben. Wir brauchen neue Ansätze“, sagt Kugel.
Das Ehegattensplitting sei ein Machtmittel des Mannes und eine Bequemlichkeitsfalle für Frauen, meint auch Schulz-Strelow. Es sollte durch ein individualisiertes Steuerrecht nach dem Vorbild Schwedens ersetzt werden. Jeder Mensch sollte für sich selbst finanziell sorgen können.
Das Ehegattensplitting setze für Frauen den Fehlanreiz, nach der Familiengründung nicht wieder in den Job einzusteigen oder einen Minijob zu nehmen, ist auch Lott überzeugt. Dies räche sich oft nach einer Scheidung oder im Alter: „Dies ist ein Grund für geringe Renten und Altersarmut.“
Hintergrund: Was ein Mann meint: Frauen verdienen zu wenig
Karriere: Frauen fehlt oft der Mut
Frauen sind sich oft selbst ein Feind. Sie zweifeln eher an ihrer Kompetenz als Männer. „Wenn Sie nur 90 Prozent einer Stellenbeschreibung erfüllen, fragen sich selbst erfahrene Managerinnen häufiger selbstkritisch: Schaffe ich das überhaupt?“, berichtet Schulz-Strelow. Männer würden sich diese Frage selbst dann nicht stellen, auch wenn sie nur 60 Prozent der Anforderungen erfüllten. Sie würden sich ihr fehlendes Know-how durch Beraterleistungen dazukaufen.
Mangelndes Selbstbewusstsein führt laut Schulz-Strelow auch dazu, dass Frauen bei Gehaltsverhandlungen oft zu bescheiden auftreten und weniger Geld fordern als Männer. Hinzu kommt, dass die Gehaltsstrukturen in Deutschland nicht transparent sind. Wird ein Geheimnis um die Bezahlung gemacht, fordern Frauen meistens zu wenig, zeigen Studien.
Zudem meinen Frauen, möglichst alles aus eigener Kraft zu schaffen und mehr leisten zu müssen, um Anerkennung zu finden. „Dies ist ein Fehler“, meint Schulz-Strelow. Ab einer bestimmten Karrierestufe würden Leistung und Kompetenz vorausgesetzt. „Wer ganz nach oben kommen will, muss Unternehmens-Politik betreiben, die Spielregeln des Betriebs beherrschen. Es geht an der Spitze um Macht und Verdrängung.“
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