Hamburg. Wer im Sommer eine Tour mit dem Rad plant, muss nun schnell sein. Das liegt nicht nur an der Nachfrage.
„Es nützt ja nix“, steht in großen Lettern an der Tür des Fahrradladens auf der Uhlenhorst, dazu findet man unter der Überschrift „Corona update 2021 das x.te“ die Zeiten für die Reparaturannahme und die Abholung von vorbestellten Rädern. Etwas Resignation über die Lage während der Pandemie spricht aus diesen Zeilen. Denn einfach so reinkommen und umschauen dürfen sich die Kunden wegen der Zwangsschließungen im Handel vorerst nicht.
Reparaturen sind erlaubt, Verkäufe werden durch das Virus weiterhin erschwert, denn der Lockdown ist erst kürzlich noch einmal bis Anfang März verlängert worden. Viele Geschäfte bieten den Kunden aber an, ihre Ware online oder am Telefon zu bestellen und sich nach Hause oder in den Laden zur Abholung vor Ort liefern zu lassen.
Fahrradhändler optimistisch: Radtouren statt Reisen
Trotz dieser Hürden sind die Fahrradhändler mit Blick auf ihre Umsätze sehr optimistisch. Radtouren in die Umgebung statt Reisen per Flugzeug – so könnte auch der Sommer aussehen. Dazu Angst vor Ansteckung in Bussen und Bahnen – diese Faktoren, die seit Beginn der Pandemie den Fahrradmarkt bereits stark beflügelt hatten, dürften auch im laufenden Jahr noch einmal für sehr gute Geschäfte sorgen – und für leere Läger bei Herstellern und Händlern.
Branchenkenner raten den Kunden daher, nicht zu lange auf ihre Bestellung zu warten. „Wer mit einem bestimmten Modell liebäugelt, muss schnell sein“, sagt David Eisenberger vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Die gebotene Eile angesichts der angespannten Liefersituation hat einen Grund. Schließlich hätten die Händler wegen des Ansturms bereits im vergangenen Jahr viele Produkte nicht mehr liefern können. Und jetzt kämen bei anhaltend hoher Nachfrage Schwierigkeiten bei der Logistik dazu.
Lieferschwierigkeiten führen zu Engpässen
„Fast alle Rahmen, aber auch Elektronikteile für E-Bikes kommen aus Asien“, sagt Eisenberger. Und hier gibt es derzeit erhebliche Probleme bei der Fracht. Die Logistik ist gestört, weil Container für die Reise nach Europa fehlen. Gerade in Asien sind die Stahlboxen rar, weil es ein Ungleichgewicht in den Warenströmen gibt. Denn es werden mehr Produkte aus China nach Europa geliefert als umgekehrt. Auch die gestiegenen Frachtraten auf den Schiffen erschweren die gewohnten Lieferprozesse.
Dazu kommt die allgemeine, globale Warenknappheit, ergänzt Stephan Dirks vom Hamburger Anbieter TrengaDE. Die Fahrradmanufaktur spüre etwa unterbrochene Lieferketten bei dem für die Produzenten so wichtigen Rohstoff Aluminium. Die Engpässe treffen die Branche mitten in einem Boom. Bereits im vergangenen Jahr hätten die deutschen Hersteller ein Plus von 20 Prozent bei den ausgelieferten Rädern erzielt, sagt Eisenberger.
Leasing von Dienstfahrrädern sehr beliebt
Für 2021 erwarteten sie einen ähnlich hohen Zuwachs. Pro Jahr werden in Deutschland rund vier Millionen Fahrräder verkauft, mit bereits seit längerer Zeit steigender Tendenz. Ein immer größerer Anteil entfällt dabei auf E-Bikes. Für zusätzlichen Schwung habe das Leasing von Dienstfahrrädern gesorgt, das „regelrecht explodiert“ sei, heißt es in einer aktuellen Studie. Die Zahl der geleasten Räder habe sich zwischen 2017 und 2019 auf rund 193.000 nahezu vervierfacht.
„Corona hat nur einen Trend beschleunigt, der vorher schon spürbar war: Immer mehr Menschen setzen auf das Fahrrad als umweltfreundliche, gesunde und oftmals schnellere Form der persönlichen Mobilität“, beschreibt Arne Bischoff vom Branchen-Pressedienst Fahrrad die Lage. „Zudem war die Sparquote der Deutschen im vergangenen Jahr sehr hoch“, sagt Maximilian Schay, Gründer der Kieler Radmarke My Boo. „Internationale Urlaube werden auch 2021 weiterhin schwierig sein und die Leute werden wieder eher regional Urlaub machen und dafür auch vermehrt ihr Fahrrad nutzen.“
Keine Rabattaktionen auf Fahrräder in 2021
Die Beliebtheit von Fahrrädern dürfte für Schnäppchenjäger zu einer Enttäuschung werden, denn mit Nachlässen können sie derzeit kaum rechnen. „Rabattschlachten dürfte es in diesem Jahr nicht geben“, prognostiziert Eisenberger mit Blick auf das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage.
Zudem werden die Preise weiter anziehen, weil nicht nur in Deutschland die Begeisterung fürs Radeln steigt. „Fahrräder dürften um etwa drei bis fünf Prozent teurer werden“, sagt Henry Meyer von Fahrrad Löwe an der Wandsbeker Chaussee, der eine besonders hohe Nachfrage bei City- und Mountainbikes erlebt. Einige Hersteller hätten die Preise sogar um zehn Prozent angehoben, berichtet Frank Christmann von der Firma E-motion E-Bike Welt in Wentorf.
Preise für Fahrräder steigen
Die Preise in den Läden und im Internet unterscheiden sich dabei derzeit kaum, auch weil die Preistransparenz durch immer mehr Onlineanbieter zunimmt – ein Markt, der stark expandiert. So ist der australische Mutterkonzern des nach eigenen Angaben weltweit führenden digitalen Fahrrad-Marktplatz Bike Exchange gerade an die Börse gegangen, um das weitere Wachstum zu finanzieren.
Neben den Effekten der Pandemie treibt der Lifestyle die Nachfrage nach Zweirädern: „Für viele Leute, gerade Männer, löst ein teures Rad das Auto als Statussymbol ab“, sagt Stephan Raßmann, Inhaber des Bike Stores in Bergedorf. Gerade habe ein Kunde 9500 Euro für ein E-Rennrad bezahlt.
Elektro- und Lastenräder werden stark nachgefragt
Auch dieses Phänomen, also der Trend zu sportlichen Modellen mit Motor, führt zu florierenden Geschäften in den Läden. „Selbst 25-Jährige sind jetzt schon mit E-Mountainbikes in den Harburger Bergen unterwegs“, weiß Raßmann, der mit dem Radgeschäft sein Hobby zum Beruf gemacht hat und selber auch Touren in der Region anbietet. Ein E-Bike sei längst nicht mehr den Senioren vorbehalten. „Es macht einfach Spaß und erhöht den Radius“, sagt Raßmann.
„Und es verhindert so manchen Ehekrach“, ergänzt der Fachmann lachend, „wenn ein Partner langsamer ist als der andere, kauft er ein E-Bike und bei gemeinsamen Ausflügen ist wieder alles gut.“ Für mehr Harmonie sorgten beispielsweise elektrische Rennräder auch in Fahrradclubs. Die Modelle mit Motor glichen unterschiedliche Trainingsstände auf Touren aus und ermöglichten so ein gemeinsames Tempo.
Einsatzmöglichkeiten von Elektrobikes im vielfältiger
Fahrräder mit Elektroantrieb erfreuen sich schon seit Jahren zunehmender Beliebtheit, der Absatz hat sich seit 2014 verachtfacht. Inzwischen werden die Einsatzmöglichkeiten immer vielfältiger. Die Elektrobikes erleichtern das Pendeln, ermöglichen als Lastenräder den Transport von Einkäufen oder von Kindern und werden für Abenteuerausflüge wie für Reisen genutzt.
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Die Hersteller stellen sich auf den Trend ein und die Produktion um – sie fertigen angesichts begrenzter Kapazitäten weniger konventionelle Modelle und erhöhen dafür die Zahlen bei Pedelecs. Die meist mehrere Tausend Euro teuren Modelle haben auch die Durchschnittspreise für Fahrräder ansteigen lassen. Nach den aktuellsten Zahlen liegt dieser bei 980 Euro.
E-Cargo-Bikes bieten Platz für bis zu drei Kinder
Die beliebtesten Neuheiten sind laut Marktkenner Bischoff vielfältig: Zum einen sogenannte E-Cargo-Bikes – also elektrisch unterstützte Lastenräder, die bis zu drei Kindern oder einem kompletten Familien-Einkauf Platz bieten und sich doch relativ einfach fahren lassen. Vor allem Lastenräder der Kategorie „Long-John“ mit einer Ladefläche zwischen Fahrer und Vorderrad sind laut Bischoff Raumwunder und erlaubten auch den Transport sperriger Gegenstände wie eines Wäschetrockners.
Im Freizeitbereich boomen derweil vor allem Mountainbikes, aber auch Gravelbikes: Das sind Rennräder mit besonders breiten Reifen, die auch auf Schotter- und Waldwegen taugen und es ihren Fahrern ermöglichen, dem stressigen Straßenverkehr zu entfliehen.
Fahrräder ermöglichen Erkundung der eigenen Umgebung
Für den Bergedorfer Händler Raßmann gehört das Erlebnis in der nahen Natur ohnehin zu den attraktivsten Argumenten für ein neues Rad. „Viele Leute waren schon überall, sie kennen sich in Dubai besser aus als in der eigenen Nachbarschaft“, weiß der Fahrradfan von seinen geführten Ausflügen. Und gerade in Zeiten von Corona sei es doch ein großes Glück, die schöne Umgebung von Hamburg einmal mit anderen Augen zu sehen – nämlich auf einer Radtour.