Hamburg. Bundesnetzagentur registriert Rekord bei Beschwerden zu werblichen Telefonaten. Vzhh: Auch Verträge werden ungewollt abgeschlossen.

Im Homeoffice sind noch mehr Hamburger davon betroffen, weil viele von ihnen den ganzen Tag zu Hause sind: unerwünschte Anrufe auf dem Festnetz. Ob neuer Stromanbieter, Glücksspiel oder vermeintlich schnelleres Internet, diese Anrufe nerven immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher, bestätigt die Verbraucherzentrale Hamburg. „Es ist ein großes Ärgernis, viele fühlen sich belästigt“, sagt Verbraucherschützerin Julia Rehberg. Bei der Bundesnetzagentur sind im vergangenen Jahr 63.273 schriftliche Beschwerden zu unerlaubten Werbeanrufen eingegangen – so viel wie noch nie seit 2010.

Dabei sind die lästigen Werbeanrufe nur ein Aspekt des Telefonärgers. Nimmt man noch den Rufnummernmissbrauch hinzu, verzeichnete die Bundesnetzagentur im vergangenen Jahr über 155.000 Beschwerden. „Nach unserer Einschätzung sind die Beschwerden, die der Bundesnetzagentur und den Verbraucherzen­tralen vorliegen, nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Betroffene melden belästigende Werbeanrufe gar nicht“, sagt Rehberg. Welche Anrufe sind zulässig? Welche Gefahren drohen? Wie kann man sich schützen? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie erkenne ich Telefonwerbung?

Das sind Anrufe mit dem Ziel, den Verbraucher zum Kauf von Produkten oder dem Abschluss von Verträgen zu bringen. Aber auch die telefonische Ankündigung, dass etwa ein Lieferant von Tiefkühlprodukten oder auch der Berater für Solaranlagen zufällig in den nächsten Tagen vor Ort sei und man einen Termin vereinbaren könnte, gehört zur Telefonwerbung, so die Bundesnetzagentur.

Sind diese Anrufe zulässig?

Meistens sind sie schlichtweg verboten. Bereits im Oktober 2013 wurden mit dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, dem sogenannten Anti-Abzocke-Gesetz, die Vorschriften zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung verschärft. Doch viele Unternehmen halten sich nicht daran. „Nur wenn die Verbraucher ausdrücklich zugestimmt haben, darf ein Unternehmen zu Werbezwecken anrufen“, sagt Rehberg.

Es kann vorkommen, dass die Kunden nicht mehr wissen, ob sie eine solche Zustimmung gegeben haben. „Aber sie lässt sich auch nachträglich widerrufen“, sagt Rehberg. „Hält sich ein Unternehmen dennoch nicht daran, sollten sich Verbraucher bei der Bundesnetzagentur beschweren.“ Wie das geht, wird in der vorletzten Frage beantwortet.

Mit welchen Tricks arbeiten die Anbieter von Werbeanrufen?

Beim Anruf erst um die Einwilligung zu bitten ist unzulässig. Eine ausdrückliche Einwilligung ist laut Bundesnetzagentur nur dann gegeben, wenn der Verbraucher schriftlich oder mündlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er mit einem werblichen Anruf einverstanden ist. Dabei muss präzise festgelegt sein, welches Unternehmen welche Dienstleistungen oder Produkte bewerben möchte.

„Häufig berufen sich die Anrufer auf eine angebliche Einwilligung, die die Verbraucherin oder der Verbraucher gar nicht abgegeben hat. Beispielsweise behaupten die Anrufer, dass der Angerufene an einem Online-Gewinnspiel teilgenommen und hierbei sein Einverständnis erklärt habe“, sagt Marta Mituta von der Bundesnetzagentur.

Warum ist unerlaubte Telefonwerbung ein Problem?

„Die Gefahr ist groß, dass Verbrauchern durch offensive Verkaufstaktiken und unlautere Tricks am Telefon unliebsame Verträge untergeschoben werden“, sagt Rehberg. Das bestätigt auch die Bundesnetzagentur. So seien die Anrufer sogar als Behördenvertreter aufgetreten, um das Vertrauen der Angerufenen zu erschleichen. Die gesetzlichen Regelungen für Telefonwerbung gelten nur für die Registrierung bei Gewinnspielen.

Das bedeutet: Diese Verträge werden erst wirksam, wenn sie vom Verbraucher schriftlich bestätigt wurden. Verträge mit Unternehmen, die Strom, Finanzprodukte oder Versicherungen oder Telekommunikationsdienstleistungen verkaufen wollen, können am Telefon weiterhin ohne eine schriftliche Bestätigung geschlossen werden. „Nach Erhalt der Vertragsbestätigung haben Verbraucher 14 Tage Zeit, den Vertrag zu widerrufen“, sagt Rehberg. Das Problem sei, dass Verbraucher sich gar nicht bewusst seien, einen neuen Vertrag geschlossen zu haben.

Was ist mit Marktforschern?

Anrufe zu Zwecken der Markt- und Meinungsforschung gelten nicht als unerlaubte Telefonwerbung. „Enthalten diese Anrufe allerdings versteckt Werbung für ein bestimmtes Produkt, so ist der als Meinungsumfrage getarnte Telefonanruf rechtswidrig“, sagt Rehberg.

Wie geht die Bundesnetzagentur dagegen vor?

„Grundsätzlich wird allen verwertbaren Hinweisen nachgegangen, indem die angezeigten Sachverhalte ermittelt und nachvollzogen werden“, sagt Mituta. „Bei einer gesicherten Beweislage ergreifen wir bußgeldrechtliche oder verwaltungsrechtliche Maßnahmen.“ Im vergangenen Jahr setzte die Bundesnetzagentur gegenüber Mobilcom-Debitel eine Geldbuße in Höhe von 145.000 Euro fest. Das Unternehmen verwendete im Kleingedruckten ihrer Mobilfunk-Verträge eine vorformulierte Werbezustimmung, die nicht ausreichend erkennen lässt, dass Kunden neben Werbung zu Mobilcom auch Werbung einer großen Anzahl von Drittanbietern zu erwarten hatten.

„Mobilcom hat das Verbot unerlaubter Telefonwerbung wiederholt missachtet und Verbrauchern in großem Umfang ungewollte Vertragsabschlüsse unterstellt“, sagt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur. Allerdings sind die Ermittlungen zu unerlaubter Telefonwerbung sehr langwierig. Im Jahr 2020 gab es nur 17 mit Bußgeldern abgeschlossene Verfahren. „Bei Rufnummernmissbrauch können wir schneller mit einem Bündel von Maßnahmen wie Rufnummernabschaltung oder Rechnungslegungsverbote gegen die Verursacher vorgehen“, sagt Mituta.

Was ist Rufnummernmissbrauch?

Das reicht von unerwünschten SMS, mit denen ein Rückruf zu der angegebenen Rufnummer provoziert werden soll, über Ping-Anrufe, bei denen das Handy nur kurz klingelt, um wieder einen Rückruf auszulösen, bis zu Drittanbieterleistungen wie kostenpflichtige Apps oder Musikangebote, die über die Mobilfunkrechnung abgerechnet werden.

Auch Gewinnmitteilungen gehören in diesen Bereich. Um diesen meist vorgetäuschten Gewinn abzurufen, wird der Verbraucher aufgefordert, eine hochpreisige Rufnummer zurückzurufen. Im vergangenen Jahr registrierte die Bundesnetzagentur fast 91.000 Beschwerden zu Rufnummernmissbrauch und über 1700 eingeleitete Verfahren.

Was sind typische Betrugsmaschen am Telefon?

Angebliche Energieberater, die nach Zählerdaten fragen, um den Verbrauchern dann einen Energie- oder Gasliefervertrag unterzujubeln. Angebliche Krankenkassenmitarbeiter, die wegen der Auszahlung einer Prämie, Adresse und Bankverbindung abgleichen müssen. Mit diesen Daten kaufen die Betrüger dann online auf Kosten des Opfers ein oder schließen Verträge ab. Angebliche Microsoft-Mitarbeiter wollen ein Pro­blem auf dem Rechner beheben, aber tatsächlich Schadsoftware installieren oder Kontodaten ausspähen.

Wo kann ich mich beschweren?

Betroffene Verbraucher und Verbraucherinnen können sich bei der Bundesnetzagentur über verschiedene Wege über unerlaubte Werbeanrufe beschweren. Das geht schriftlich per Brief (Bundesnetzagentur, Nördeltstraße 5, 59872 Meschede) oder per Mail (rufnummern missbrauch@bnetza.de).

Auf der Internetseite der Bundesnetzagentur steht auch eine Online-Beschwerdeformular zur Verfügung. Folgende Angaben sind für die Behörde besonders wichtig: Datum und Uhrzeit des Anrufers, Produkte oder Dienstleistungen, für die geworben wurde, und Beschreibung des Gesprächsverlaufs. Außerdem ist wichtig, ob der Verbraucher dem Anrufer die Einwilligung für den Werbeanruf bereits entzogen hatte und er dennoch anruft.

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Wie kann ich mich schützen?

Mit der Weitergabe der eigenen Telefonnummer sollte man sehr vorsichtig sein. Am Router der eigenen Telefonanlage können einzelne Nummern oder Rufnummernbereiche gesperrt werden. „Achten Sie in Verträgen, Gewinnspielen und Angeboten über die Verwendung der angegebenen Rufnummer zu Werbezwecken“, rät Verbraucherschützerin Rehberg.

Einmal erteilte Genehmigungen können jederzeit zurückgezogen werden. Bei unbekannten Nummern sollte nicht zurückgerufen werden. „Schließen Sie am Telefon keine Verträge ab“, sagt Rehberg. Auch ein klares „Ja“ sollte bei unbekannten Anrufern vermieden werden. Es kann im Rahmen einer Betrugsmasche im Nachhinein als Zustimmung zu einem Vertrag gewertet werden. Die einfachste Waffe gegen unerlaubte Anrufe ist: einfach auflegen. Unhöflich, aber wirksam.