Hamburg. Unternehmen büßt durch Corona 5,2 Millionen Euro Umsatz ein. Ärger mit dem Vermieter in der Wandelhalle im Hauptbahnhof.
Marc Breckwoldt steht in seinem Friseursalon in der Wandelhalle im Hamburger Hauptbahnhof. Wo sonst jeden Tag Haare gewaschen und geschnitten werden, ist an diesem Vormittag kein Mensch. Die Stühle stehen ordentlich vor den Spiegeln. Der Fußboden ist blitzeblank. „Normalerweise haben wir hier sieben Tage in der Woche auf, an 365 Tagen im Jahr“, sagt der Chef des Friseurfilialisten Ryf. Seit mehr als 30 Jahren ist das so. Reisende kommen. Und Pendler. Viele sind Stammkunden.
Sonntags ist gewöhnlich der beste Wochentag. Jetzt ist der Laden im Corona-Lockdown – zum zweiten Mal innerhalb von zehn Monaten. „Das ist richtig bitter“, sagt Breckwoldt. Wie schon im Frühjahr trifft die aktuelle Schließung rund um Weihnachten und Silvester die Branche zu einem Zeitpunkt, wenn besonders viele Menschen zum Friseur gehen.
Breckwoldt ist eigentlich niemand, der sich entmutigen lässt. Aber wenn er jetzt den Blick durch den leeren Salon wandern lässt, sieht man dem 50-Jährigen an, wie frustriert er ist. „Betriebswirtschaftlich ist das ein harter Schlag“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Ryf-Gruppe, die in Deutschland und der Schweiz 73 Salons betreibt. Allein im Großraum Hamburg sind es knapp 20. Den Umsatzverlust durch die Pandemie beziffert er auf 5,2 Millionen Euro für das Jahr 2020 – das ist ein Minus von etwa 25 Prozent. „Besonders hart ist es für die Mitarbeiter.“ Knapp 500 Männer und Frauen sind bei der Friseurkette beschäftigt – und jetzt nahezu alle wieder in Kurzarbeit.
Ryf zählte 350.000 Kunden und keinen Infektionsfall
Bis zum Schluss hatte der Unternehmer gehofft, dass die Friseure nicht noch mal geschlossen werden. Seit der Wiedereröffnung Anfang Mai gelten in Branche strenge Hygieneauflagen: Mitarbeiter wie Kunden müssen Masken tragen. Wegen der Abstandsregeln darf nur jeder zweite Friseurstuhl besetzt werden. Kundendaten werden dokumentiert. Arbeitsplätze, aber auch Kämme, Scheren, Lockenwickler und alles, was es sonst noch an Arbeitsutensilien in dem Beruf gibt, müssen laufend desinfiziert werden. „Wir haben nach dem Ende des ersten Lockdowns 350.000 Kunden in unseren Salons bedient und hatten keinen einzigen Infektionsfall“, sagt Marc Breckwoldt. „Ich weiß nicht, was man noch hätte tun sollen.“
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Die Zwangsschließung bringt das Unternehmen auch deshalb in eine schwierige Lage, weil schon in den vergangenen Monaten deutlich weniger Menschen in die Salons gekommen sind. Nach der ersten Welle nach der Wiedereröffnung im Mai, als die Menschen mit Corona-Mähnen und Notschnitten die Friseure gestürmt hatten, sei die Frequenz im Schnitt um 20 bis 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken, sagt Breckwoldt. „Es gibt keine Feiern, Urlaube fallen aus, gearbeitet wird von zu Hause aus.“ Warum teure Strähnchen machen lassen, wenn es niemand sieht. Dazu kommen die allgegenwärtige Angst vor einer Infektion mit Covid-19 und zunehmend auch wirtschaftliche Gründe. „Die Menschen geben ihr Geld vorsichtiger aus, wenn Jobverlust oder Kurzarbeit drohen.“
Zahl der Kunden n der Wandelhalle ist im Corona-Jahr um 50 Prozent eingebrochen
In der Wandelhalle ist die Situation besonders prekär. An dem normalerweise hoch frequentierten Standort mit 240 Quadratmetern auf zwei Etagen ist die Zahl der Kunden im Corona-Jahr um 50 Prozent eingebrochen, weil Pendler und Reisende wegblieben. Trotzdem ist der Vermieter, ein Immobilienfonds, nicht zu Mietnachlässen bereit. „Ich habe konkrete Angebote gemacht, etwa eine geminderte Miete mit einem variablen Umsatzanteil“, sagt der Unternehmer.
Doch in der Wandelhalle wurden, anders als an anderen Standorten, nur Stundungen angeboten. „Das ist eine wahnsinnige Enttäuschung. Es geht nicht nur um die hohe Miete, sondern auch um eine 30-jährige Partnerschaft“, sagt Breckwoldt, der sich im Club of Hamburg für Ethik in der Wirtschaft engagiert. Wie es in der Wandelhalle weitergeht, ist offen.
Corona-Impfungen in Hamburg gestartet
Die Ryf-Gruppe gehört mit einem Jahresumsatz von etwa 20 Millionen Euro zu den Großen der Branche. 1984 hatte die Familie Breckwoldt das 1943 in der Schweiz gegründete Unternehmen übernommen. Die Nachfahren von Georg Justus Dralle, der mit seiner Seifenfabrikation 1852 den Grundstein für das legendäre Kosmetikunternehmen Dralle legte, hatten den Deal eingefädelt, um ihre Produktpalette zu erweitern. Letztlich wurde es eine Rochade. 1991 verkauften die damaligen Chefs Frank und Rolf Breckwoldt die Marke Dralle an den internationalen Kosmetikkonzern L‘Oreal.
Schon in diesem Jahr hat Ryf bundesweit fünf Standorte dicht gemacht
Inzwischen führt Marc Breckwoldt, Ur-Urenkel des Dralle-Gründers, Ryf gemeinsam mit seinem Onkel Frank Breckwoldt. Der ausgebildete Banker und studierte Betriebswirt, der lange in den USA und London gelebt hat, war 2005 ins Unternehmen eingestiegen. „Wir wollen Ryf zu einer Premiummarke entwickeln“, sagt der Unternehmer. Dabei setzt er „auf faire Löhne und faire Preise“. „Nur ein anständiges Unternehmen ist langfristig auch ein erfolgreiches Unternehmen. Das ist meine tiefe Überzeugung.“ Seit 2019 ist Ryf im Deutschen Ethik Index gelistet.
Jetzt kämpft der Filialist allerdings erstmal mit hohen Verlusten und dem wirtschaftliche schlechtesten Jahr der Friseurkette. „Das tiefe Loch müssen wir jetzt ausgleichen. Das wird schwierig. Jeder Euro zählt.“ Bislang hat Marc Breckwoldt die Firma abgesehen vom Mittel der Kurzarbeit ohne staatliche Förderung durch die Krise gesteuert. Im zweiten harten Lockdown wird auch Ryf erstmalig Anspruch auf Überbrückungsgeld haben.
„Dies wird helfen, den erheblichen Umsatzausfall im wichtigen Weihnachtsgeschäft auszugleichen“, sagt der Geschäftsführer. Noch ist aber völlig offen, wann die Mittel fließen. Kurzfristig sei die Lage sehr angespannt. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir Salons schließen müssen.“ Schon in diesem Jahr hat Ryf bundesweit fünf Standorte dicht gemacht. In Hamburg waren die Betriebe in Niendorf und Schnelsen zusammengelegt worden.
Konkurrent Klier steckt mitten im Insolvenzverfahren
Wie stark die Branche inzwischen unter Druck ist, zeigt sich nicht nur bei vielen inhabergeführten Salons zwischen Flensburg und Füssen. Der Umsatzeinbruch in der Corona-Krise hat auch Deutschlands größte Friseurkette Klier mit knapp 1400 Standorten hierzulande, darunter mehr als ein Dutzend in Hamburg, in die Insolvenz gedrückt.
Infolge des starken Nachfragerückgangs seit Beginn der Pandemie war das Familienunternehmen mit Sitz in Wolfsburg, zu der die Marken Essanelle und Super Cut gehören, finanziell immer mehr in Bedrängnis geraten. Im September hatte die Klier Hair Group zunächst ein Schutzschirmverfahren beantragt. Anfang Dezember machte das zuständige Gericht den Weg für die Insolvenz-Hauptverfahren frei. Ziel ist es, Klier zu sanieren. Zahlreichen Salons droht das Ende. Wie viele der 9200 Jobs gefährdet sind, ist unklar.
Ryf-Chef Marc Breckwoldt hofft jetzt auf eine schnelle Wiedereröffnung der Friseure. „Haare können nicht im Internet geschnitten werden. Und sie wachsen auch während der Pandemie“, sagt er. Dass es nicht ohne die Profis geht, hat sich in den letzten Tagen vor Beginn des Dezember-Lockdowns gezeigt. Unzählige Kunden hatten die Salons gestürmt, die teilweise bis tief in die Nacht geöffnet waren. „Es gibt eine neue Wertschätzung“, stellt Marc Breckwoldt fest. Auch der Familienvater hatte sich in der Filiale im Alstertal Einkaufszentrum noch seinen Corona-Haarschnitt abgeholt. „Um 22.30 Uhr war ich der letzte Ryf-Kunde des Jahres.“