Hamburg. Anwaltsgebühren steigen 2021 um zehn Prozent. Wann sich eine Rechtsschutzversicherung lohnt und was zu beachten ist.

Die Rechtsschutzversicherer kennen das schon: Wenn fast alles schließt, steigt die Zahl der Ratsuchenden drastisch. Das sind zumindest die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr. „Allein von Mitte März bis Anfang April verzeichneten die deutschen Rechtsschutzversicherer die Rekordzahl von über 35.000 telefonischen Beratungen pro Woche“, sagt Thomas Lämmrich, Leiter Rechtsschutzversicherung beim Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Beratung wurde vor allem zu Arbeits- und Vertragsrechtsschutz nachgefragt, also zu Themen wie Kurzarbeit, Kündigung oder Stornierungen bei Reisen.

Wer keine Rechtsschutzversicherung hat, für den kann die Durchsetzung des Rechts teuer werden. Denn die Rechtsanwaltsgebühren steigen 2021 um rund zehn Prozent. Wie teuer kann ein Rechtsstreit werden? Wann lohnt eine Rechtsschutzversicherung? Was sind gute und günstige Tarife? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen zu Rechtsschutzversicherungen.


Was spricht für den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung?

Es wird immer teurer, sein Recht durchzusetzen. Allein von 2012 bis 2018 stiegen laut Branchenverband GDV die durchschnittlichen Ausgaben für Anwälte und Gerichte um etwa 22 Prozent. Auch die Streitwerte, die Basis für die Gebührenberechnung, sind gestiegen. „Ab dem 1. Januar 2021 steht eine deut­liche Erhöhung der Gebührensätze ins Haus. Damit wird es zukünftig um zehn Prozent teurer, sein Recht einzuklagen“, sagt Hanns-Ferdinand Müller, Vorstand des Prozessfinanzierers Foris. „Die erhöhten Gebühren gelten für alle Mandate, die nach dem 31. Dezember 2020 beauftragt werden“, sagt Müller.


Wie verteuert das einen Rechtsstreit?

Bei einem Streitwert von 15.000 Euro liegt das Kostenrisiko ab 1. Januar schon in der ersten Instanz bei 3132 Euro (siehe Grafik). Das wären 295 Euro mehr als bisher. Wenn man verliert und auch die Kosten der Gegenseite übernehmen muss, sind es knapp 5300 Euro, die man selbst bezahlen müsste. Über zwei In­stanzen summiert sich das dann bis auf 11.420 Euro, ohne dass dabei die Kosten für Sachverständige berücksichtigt sind. Das sind rund 1100 Euro mehr als nach der bisherigen Gebührenordnung.

„Wenn es durch drei Instanzen geht, dann steigt das Kostenrisiko für solche Fälle sogar auf 19.500 Euro“, sagt Müller. Rund 57 Prozent der Befragten mussten nach einer Forsa-Umfrage schon einmal einen Anwalt in Anspruch nehmen, und 77 Prozent schätzen die Kosten eines Rechtsstreits deutlich zu niedrig ein.

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Ist eine Rechtsschutzpolice wichtig?

„Ob und in welchem Umfang sich eine private Rechtsschutzversicherung lohnt, hängt von den persönlichen Lebensumständen ab“, sagt Kathrin Gotthold von Finanztip. Das betreffe auch die Frage, wie stark die Neigung zu rechtlichen Auseinandersetzungen generell ist. Gut die Hälfte der Haushalte in Deutschland hat eine Rechtsschutzpolice.

„Es gibt wichtigere Versicherungen, etwa eine Privathaftpflicht und eine Berufsun­fähigkeitsversicherung“, sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Denn bei diesen Versicherungen ist das finanzielle Risiko für die meisten Verbraucher wesentlich höher.“ Stiftung Warentest urteilt: „Auch wenn die Versicherung nicht zu den ganz wichtigen Versicherungen zählt, ist sie doch sehr nützlich.“


Mit welchen Kosten muss ich rechnen?
Mit Hilfe des Vergleichsportals Check24 hat das Abendblatt günstige und sehr gut bewertete Tarife für eine Familie mit Kindern und einen Single ermittelt. Je nach Umfang des Versicherungsschutzes liegen die Kosten zwischen rund 175 Euro und 440 Euro im Jahr.

Für die Familie sind mit der Police Rechtsstreitigkeiten für die Bereiche Privat, Beruf, Verkehr und Wohnen abgedeckt, während der Single seine Anforderungen etwas abgespeckt und Streit mit dem Vermieter nicht mit abgesichert hat.


Wie sinnvoll ist eine Selbstbeteiligung?

Stiftung Warentest rät zu einer Selbstbeteiligung von 150 Euro. Denn ohne eine Selbstbeteiligung verteuert sich der Jahresbeitrag nach Einschätzung der Produkttester oft um mehr als 100 Euro.


Was bedeutet Wartezeit?

Eine Wartezeit ist die festgelegte Zeitspanne zwischen dem Abschluss der Versicherung und dem Zeitpunkt, ab dem man Leistungen in Anspruch nehmen kann. „Sollte ein Rechtsstreit bereits im Gange sein, kann dafür keine Versicherung mehr abgeschlossen werden“, sagt Leonid Karlinski, Geschäftsführer Rechtsschutzversicherungen bei Check24.

Die Wartezeiten liegen je nach Rechtsgebiet zwischen null und sechs Monaten. Die Versicherer wollen so verhindern, dass viele erst eine Police abschließen, wenn sie kurz vorm Rechtsstreit stehen. So hat der Tarif der Arag in den Bereichen Privat und Verkehr keine Wartezeit und in den Bereichen Beruf und Wohnen sind es drei Monate. Dagegen sind beim DMB Rechtsschutz und bei Concept IF alle Rechtsbereiche mit mindestens drei Monaten Wartezeit belegt, bei Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber sind es sogar sechs Monate.


Wodurch unterscheiden sich günstige und Tarife mit bester Bewertung?

Die Leistungen der am besten bewerteten Tarife sind umfangreicher. Das zeigt sich schon an den Deckungssummen, die unbegrenzt sind und auch an günstigeren Wartezeiten. So gibt es bei dem Tarif Premium Flex der Arag einige Leistungen, die der Tarif L von Adam Riese nicht enthält. Dazu zählen: Mitversicherung der Kinder im Haushalt, ein Online-Check für private Verträge und das Arbeitszeugnis, Versicherungsschutz für selbstständige Nebentätigkeit, Beitragsfreiheit bei Arbeitslosigkeit, Streitigkeiten mit Finanzamt und Behörden werden schon in der vorgerichtliche Phase übernommen, Studienplatzklagen und Urheberrechtsverletzungen im Internet.

Beide Tarife übernehmen Streitigkeiten bei risikoreichen Kapitalanlagen, aber nur im beschränkten Umfang. Das ist bei neuen Rechtsschutztarifen nicht mehr selbstverständlich. Andererseits hat auch Adam Riese einige Leistungen, die die Arag nicht bietet. Dazu gehören, dass die Police täglich kündbar ist und die Selbstbeteiligung nach drei schadenfreien Jahren reduziert werden kann.


Was muss ich noch beachten?

Trotz Rechtsschutzversicherung bleiben viele Risiken ungedeckt. Denn es gibt kaum eine Sparte, die so viele Ausschlüsse hat wie die Rechtsschutzversicherung. Stets ausgeschlossen ist zum Beispiel der Streit um den Hausbau. Aber auch bei Scheidungen oder Unterhalts- und Erbstreitigkeiten winken viele Rechtsschutzversicherer ab, sobald es vor Gericht geht. Viele Anbieter haben auch den Schutz in Geldanlagestreitigkeiten mit der Bank gestrichen oder stark beschränkt.

Zudem sollte man nicht voreilig einen Anwalt beauftragen, um nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben. „Am besten den Anwalt vorher bitten, eine Deckungszusage der Versicherung einzuholen“, rät Karlinski. Zum Ausgleich bieten fast alle Versicherer telefonischen Rechtsrat, der meist auch nichts extra kostet, auch nicht die Selbstbeteiligung.


Welche Alternativen gibt es zur Rechtsschutzversicherung?

Wer zum Beispiel Mitglied in einem Mieterverein ist, braucht keinen Rechtsschutz für das Wohnen. Gewerkschaftsmitglieder können meist auf weiteren Arbeitsrechtsschutz verzichten. Die Bausteine können dann laut Stiftung Warentest abgewählt werden.

Die Police wird dadurch günstiger. Eine andere Alternative sind Prozessfinanzierer. Sie finanzieren Gerichtsprozesse gegen eine Erfolgsbeteiligung. Voraussetzungen sind ein bestimmter Streitwert und die Aussicht auf Erfolg im konkreten Fall.