Hamburg. Start-up Kitchennerds vermittelt Mietköche an den heimischen Herd. In der Pandemie wächst die Nachfrage nach Kerzenlicht-Dinnern.
Die Arbeit geht für Magalie Piehler schon vormittags los. Auf dem Wochenmarkt kauft die Köchin Zutaten für die Gerichte, die sie am Abend kochen will. „Ich versuche regionale Produkte zu verwenden, möglichst in Bio-Qualität“, sagt die Lüneburgerin. An diesem Tag stehen unter anderem Entenbrust, Orangen, Rosenkohl, Spitzkohl, Kartoffeln, Schinken auf ihrer Einkaufsliste. Außerdem braucht sie Jakobsmuscheln. Am Abend wird die 29-Jährige daraus ein festliches Menü zubereiten. Nicht in einem schicken Lokal, sondern bei Familie Vock in Poppenbüttel. „Seit die Restaurants im Corona-Lockdown wieder geschlossen wurden, habe ich deutlich mehr Aufträge“, sagt die selbstständige Köchin. Ihr exklusiver Einsatz in der Küche der Vocks ist ein Geburtstagsgeschenk.
Magalie Piehler ist eine von 14 Köchen in Hamburg, die aktuell über die Vermittlungsplattform Kitchennerds gebucht werden können. Die Idee, sich einen Küchenprofi nach Hause zu holen, ist nicht neu. Der Service wird gerne bei Familienfesten, Geburtstagsfeiern oder Firmenevents in Anspruch genommen. „In der Pandemie haben wir deutlich mehr Anfragen für Candlelight-Dinner von Paaren und Familien“, sagt Kitchennerds-Geschäftsführerin Sandra Roggow. Die Gastronomie ist seit Anfang November wieder komplett runtergefahren, auch sonst sind Freizeitaktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände quasi unmöglich. „Die Menschen wollen sich etwas gönnen“, beobachtet die Gründerin; gerade in der Vorweihnachtszeit. Der Vorteil: Corona-Kontaktregeln lassen sich bei dem Arrangement ohne Probleme einhalten. Mit Koch und Kunde begegnen sich nicht mehr als die vorgeschriebenen zwei Haushalte.
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Für Kitchennerds ist der aktuelle Trend ein Rettungsanker nach einem schwierigen Jahr. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr waren nahezu alle Buchungen auf dem Portal abgesagt worden. „Kunden und Köche waren wegen der Ansteckungsgefahr besorgt. Niemand wusste, was erlaubt ist und was nicht“, sagt Roggow. Die Zukunftsperspektive für das kleine Unternehmen sieben Jahre nach der Gründung – unsicher.
Ein Candlelight-Dinner kostet etwa 150 Euro pro Person
Die Betriebswirtin hatte sich 2013 mit ihrer Geschäftsidee selbstständig gemacht. Mit dabei: ein Entwicklerteam, das die Software für die Mietkoch-Vermittlung programmiert und immer wieder nachjustiert. Das Prinzip ist einfach. Die Köche, allesamt Profis und persönlich überprüft, präsentieren sich auf der Internetseite kitchennerds.de mit ihren Angeboten. Die Kunden können ihre Buchungsanfrage direkt beim ausgewählten Privatkoch in Hamburg, Berlin oder München starten, der dann ein Angebot erstellt. Die Preise liegen in der Regel rund um 50 bis 70 Euro pro Person. Allerdings geben alle Köche einen Mindestbestellwert an. Sprich: Je weniger Personen essen, desto teurer werden die einzelnen Menüs. Für Candlelight-Dinner gelten spezielle Preise von etwa 150 Euro pro Person.
500 bis 600 Buchungen wickelt Kitchennerds im Schnitt pro Jahr ab. Die Zahlung erfolgt vorab. Der Vermittler erhält für die Vermarktung eine Provision. Über konkrete Geschäftszahlen will Gründerin Roggow nicht sprechen. Aber ihre Plattform ist, nachdem mehrere Konkurrenten aufgegeben haben, die einzige ihrer Art hierzulande. „Nach dem Ende vieler Corona-Beschränkungen lief es ab Juni wieder besser, kleinere Feiern wurden nachgeholt“, sagt die 41-Jährige. „Inzwischen sind wir fast wieder bei hundert Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr.“ Das hat auch mit dem steigenden Interesse an Online-Kochveranstaltungen in der Krise zu tun. Zwischen 30 und 60 Euro kostet die digitale Kochschule, angeboten werden gerade vor allem Weihnachtsmenüs. Die Teilnehmer bekommen vorher eine Liste, nach der sie die Zutaten selbst besorgen.
Corona-Krise trifft Köche hart
Auch viele Köche trifft die Corona-Krise hart. Magalie Piehler hatte sich nach ihrer Ausbildung und mehreren Stationen in Restaurants erst 2019 als Privatköchin selbstständig gemacht. Als die Aufträge für Hochzeiten, Konfirmationen & Co. im Frühjahr wegbrachen, nahm sie einen Job als Köchin bei einem Lieferservice in niedersächsischen Jesteburg an. Inzwischen ist sie wieder vier- und sechsmal in der Woche über Kitchennerds gebucht, als Privatköchin und immer häufiger auch für Online-Events. Häufig sind es Firmenkunden, die statt Weihnachtsfeier eine gemeinsame Kochaktion im Netz machen. Aber auch drei Freundinnen in Deutschland, Österreich und Dänemark, deren gemeinsame Feier zum 40. Geburtstag wegen Corona flachgefallen war, waren unter den Kunden.
„Wenn ich einen Auftrag bei jemandem zu Hause habe, finde ich das immer sehr aufregend“, sagt Piehler. Trotz Absprachen wisse man nie, was einen erwartet und wie viel Platz zur Verfügung steht. Auch dieses Mal hat sie einige Dinge, wie die Orangensauce für den Hauptgang und das Dessert, schon zu Hause vorbereitet. Eine Stunde vor dem verabredeten Beginn des Abendessens gegen 19 Uhr ist sie mit allem, was sie braucht, bei Familie Vock in Poppenbüttel und steht kurz darauf in weißer Kochjacke am Herd der offenen Wohnküche. Auf der Speisekarte stehen glasierte Jakobsmuscheln und Beluga-Linsensalat mit Orangencreme. Danach serviert die Privatköchin gebratene Barbarie-Entenbrust mit Orangen-Cranberry-Sauce, Rosenkohl, Spitzkohl und getrüffeltem Kartoffelstampf. Als Dessert gibt es eine Nougatmousse mit Sauerkirsch-Sorbet.
Candlelight-Dinner ist ein Geburtstagsgeschenk
350 Euro bezahlt Patrick Vock für den Abend. „Ich wollte meiner Frau trotz der Corona-Einschränkungen eine Freude zum Geburtstag machen“, sagt er. Dass der Preis für das Menü gehobenen Restaurantpreisen entspricht, findet der Hamburger angemessen. „Es ist nicht gerade günstig“, sagt er, „aber ich will damit auch die Mitarbeiter aus der Gastronomie unterstützen.“
Auch Peter Krutzki ist froh, dass über Kitchennerds immer wieder Aufträge reinkommen. „Sonst würde gar nichts laufen“, sagt der erfahrene Koch. Normalerweise steht der 53-Jährige, der für eine Personalvermittlung im Einsatz ist, in den Restaurants von Hamburger Luxus-Hotels wie Atlantik, Vier Jahreszeiten oder Fontenay am Kochtopf. Seit dem Teil-Lockdown ist er in Kurzarbeit und kocht immer wieder unter fremden Dächern. „Es ist jedes Mal eine Riesenherausforderung“, sagt Krutzki. Aber er mag die Abwechslung.
Termine werden langsam knapp
Kitchennerds-Geschäftsführerin Sandra Roggow sieht in der Pandemie wachsendes Potenzial für ihr Geschäftsmodell. „Man weiß nicht, wie sich die Gastro-Branche in den nächsten Jahren entwickelt“, sagt sie. Für Gäste, die sich in einem Restaurant eventuell nicht sicher fühlen, sei ein Profi zu Hause auch künftig eine Alternative. Dabei werden die Termine bei Kitchennerds bis Weihnachten schon knapp. An den Festtagen gibt es kaum oder nur sehr teure Angebote. Da kochen Privatköche dann doch lieber bei der eigenen Familie.
In Poppenbüttel haben sich die Vocks an diesem Abend wie geplant zu ihrem kulinarischen Event bei Kerzenschein zu Tisch gesetzt. Die einjährige Tochter liegt im Bett und schläft. Mietköchin Magalie Piehler serviert den ersten Gang. „Es ist eine kleine Flucht aus dem Alltag“, sagt Patrick Vock. Zum Rundum-Sorglos-Paket gehört auch, dass die Köchin nach dem Essen aufräumt und die Küche sauber hinterlässt. „Natürlich soll es gut schmecken, aber vor allem soll der Abend ein tolles Erlebnis sein“, sagt Magalie Piehler. „Wie im Restaurant, nur eben zu Hause.“