Hamburg. Unternehmen spürt hohe Nachfrage. Chef Peter Vullinghs lobt deutsche Corona-Strategie im Vergleich zu seiner holländischen Heimat.
Peter Vullinghs bittet zum Interview in die Deutschlandzentrale in der Röntgenstraße, mit Abstand natürlich. Der 49-jährige Holländer ist aktuell nur noch selten im Büro. Im Abendblatt-Interview redet er über seine Zeit im Homeoffice sowie die aktuelle Geschäftslage, die sich bei Philips in der Pandemie durchaus sehen lassen kann.
Hamburger Abendblatt: Sie sind als Manager eines Medizintechnik-Konzerns Profi in Sachen Infektionsschutz. Wie beurteilen Sie die deutsche Strategie gegen Corona?
Peter Vullinghs: Es ist richtig, vorsichtig zu sein. In der Schweiz beispielsweise hat ein Jodel-Konzert gerade für einen massiven Anstieg der Infizierten gesorgt. Man darf das Virus nicht unterschätzen.
Als Niederländer kennen Sie auch die Lage in Ihrer Heimat, dort waren etwa Masken kaum verbreitet, die Menschen sind ohne Schutz einkaufen gegangen. Wie beurteilen Sie diese Herangehensweise?
Vullinghs: Ich bin immer wieder in Amsterdam, noch vor zwei Wochen war ich dort. In den Niederlanden wird auch der Abstand nicht so eingehalten. Die Deutschen sind disziplinierter. Sie nehmen Regeln ernster. Holland kann in der Corona-Pandemie von Deutschland lernen.
Bei gut 17 Millionen Einwohnern mussten die Niederlande bereits mehr als 7400 Corona-Todesfälle melden. In Deutschland mit 83 Millionen Einwohnern sind rund 10.500 Frauen und Männer im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben.
Vullinghs: Ja, das zeigt, dass der deutsche Weg der richtige ist. Jetzt ändert sich auch in den Niederlanden die Strategie. Der Ministerpräsident hat gerade schärfere Regeln angemahnt. Die Leute sollen zum Beispiel nicht mehr im Büro arbeiten.
Wie handhaben Sie bei Philips das Thema Arbeit in Zeiten von Corona?
Vullinghs: Unsere Sicherheitsvorschriften erlauben es derzeit, dass etwa 300 Kollegen in unser Headquarter in Fuhlsbüttel kommen. Normalerweise haben wir hier 1000 Beschäftigte. Grundsätzlich motivieren wir die Mitarbeiter auch, wieder in der Firma zu arbeiten. Natürlich funktionieren Dinge wie Microsoft Teams bei Besprechungen, aber es ist eben nicht dasselbe wie ein persönliches Treffen, die Körpersprache fehlt. Anfangs allerdings waren wir alle im Homeoffice, denn es gab durch einige Ischgl-Rückkehrer auch bei uns in der Belegschaft Corona-Fälle. Neben der Sicherheit unserer Mitarbeiter sind wir besonders unseren Kunden verpflichtet und unserer Geschäftskontinuität.
Wie fühlen Sie sich selber im Homeoffice daheim in der HafenCity?
Vullinghs: Im Frühjahr war ich täglich zu Hause und habe von 6 Uhr bis 21 Uhr gearbeitet. Das war sehr anstrengend, allein schon, weil man ständig auf den Bildschirm schauen muss. Mittlerweile gönne ich mir Pausen, gehe etwa mal eine Stunde joggen, eine Runde von der Elbphilharmonie zum Rathaus und zum Michel, an die schönsten Plätze der Stadt. Wenn ich die Zeit finde, koche ich gerne französische Spezialitäten, dabei bin ich meist für die Soßen zuständig. Mittlerweile komme ich wieder häufiger ins Büro, etwa zweimal in der Woche. Ich bin immer noch hochmotiviert, auch wenn durch den neuen Lockdown das Leben wieder eingeschränkt wird.
Die Gastronomie schließt, und die Schulen müssen strenge Lüftungspläne einhalten …
Vullinghs: Ja, wir erleben daher auch eine verstärkte Nachfrage nach unseren Geräten zur Luftreinigung. Um der erhöhten Nachfrage auch von Schulen gerecht zu werden, bieten wir diesen Einrichtungen auf unserer Website einen besonderen Service an – die Einstellungen haben wir gerade vorgenommen. Jetzt können größere Mengen bestellt werden.
Was wird das kosten?
Vullinghs: Geeignete Geräte für Klassenzimmer gibt es ab 350 Euro. Seit letzter Woche gibt die Stadt Hamburg ihren Schulen bis zu 400 Euro pro Gerät und Klassenzimmer. Über unsere Website kann man seit Ende Oktober Luftreiniger im Gesamtwert von bis zu 30.000 Euro bestellen. Unsere Geräte filtern 99,9 Prozent der luftübertragenden Aerosole und Viren und sind für Raumgrößen bis zu 130 Quadratmeter ausgelegt.
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Experten sagen, es ist nicht erwiesen, dass auch Coronaviren herausgefiltert werden ...
Vullinghs: Es steht fest, dass auch die kleinsten Viren herausgefiltert werden. Wir haben allerdings noch keine wissenschaftlichen Beweise, dass nach der Luftreinigung mit dem Gerät Coronaviren aus der Luft verschwunden sind.
Luftreiniger sind ein Verkaufsschlager, doch den Bereich Haushaltsgeräte, zu dem die Produkte gehören, will Philips verkaufen.
Vullinghs: Ja, wir konzentrieren uns auf Medizintechnik und Gesundheitslösungen. Produkte wie Staubsauger, Bügeleisen oder Küchenmaschinen gehören dabei nicht mehr zu unserem Kerngeschäft. Daher suchen wir für die Sparte einen Käufer.
Philips hat bereits die Lichtsparte und die Halbleitertechnik verkauft, Radios und Fernseher werden von einem asiatischen Partner produziert; der Ausverkauf scheint bei niederländischen Konzernen zur Strategie zu gehören – siehe Unilever.
Vullinghs: Medizintechnik und Lösungskonzepte für Krankenhäuser, aber auch einzelne Produktbereiche wie beispielsweise Röntgen, Beatmungstechnologie, Ultraschall oder Monitoring sind komplex und brauchen Investitionen. Auf der anderen Seite erfordert die LED-Technologie beim Licht auch hohe Investitionen. Um beiden Seiten die gleiche Bedeutung beizumessen, hat sich Philips entschieden, die Bereiche zu trennen. Wir können jeden Euro nur einmal ausgeben. Hätten wir das nicht so entschieden und uns zu stark diversifiziert, hätten wir den Anschluss verloren – gegen unsere Wettbewerber, die im Medizinbereich gerade hier in Deutschland sehr stark sind. Heute sind wir vielerorts Vorreiter und Innovator sowohl im Licht- als auch im Gesundheitssektor.
Wie wirkt sich die Trennung im Bereich Haushaltsgeräte auf Ihre Belegschaft in Hamburg aus?
Vullinghs: Hier arbeiten 290 Menschen für unseren Konsumentenbereich. Der kleinere Teil davon wird zukünftig weiterhin von Hamburg aus für den Hausgerätebereich verantwortlich sein. Wie viele Kollegen das sein werden, können wir heute noch nicht sagen.
Tschentschers dramatischer Corona-Appell an die Hamburger:
Wie ist Philips ansonsten durch das bisherige Corona-Jahr gekommen?
Vullinghs: Es war ein Jahr, wie ich es noch nie erlebt habe. Zunächst gab es eine Produktion praktisch rund um die Uhr bei unseren Medizintechnikprodukten mit Corona-Bezug wie beispielsweise Patientenmonitore oder Beatmungsgeräte. In dem zuletzt genannten Segment haben wir in einem Zeitraum von vier Wochen im Frühjahr dieses Jahres so viele Produkte verkauft, wie in den zehn Jahren vorher insgesamt. Während des Lockdowns gab es starke Einbrüche bei Produkten für den Endverbraucher, denn Läden wie Saturn oder MediaMarkt waren ja geschlossen. Anschließend, im Sommer, haben die Kunden wieder so viele elektrische Zahnbürsten oder Küchenmaschinen gekauft wie selten zuvor. Insgesamt haben wir die Einbrüche aufgeholt.
In den vergangenen Jahren haben Sie bereits die Entwicklungsabteilung für den Bereich Röntgen nach Bangalore und die Montage in die Niederlande verlegt. Zudem ging ein Teil des Kundenservices nach Polen. Wie viele Jobs sind so in Hamburg weggefallen?
Vullinghs: Wir hatten damals angekündigt, etwa 80 Stellen wegen der Verlagerung des Service nach Osteuropa und noch einmal 200 Stellen im Röntgenbereich in Fuhlsbüttel zu reduzieren. Das waren schwierige Maßnahmen. Beide Prozesse werden wir im geplanten Zeitraum abschließen.
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Wie hat sich die Zahl der Mitarbeiter in Hamburg in den vergangenen Jahren insgesamt entwickelt?
Vullinghs: Weil wir auch Stellen aufgebaut haben, etwa in der Digitalisierung, beschäftigen wir konstant etwas mehr als 3000 Mitarbeiter am Standort Hamburg.
Nicht nur Philips, sondern auch Hapag-Lloyd mit Rolf Habben Jansen oder Unilever mit Peter Dekkers haben als große Unternehmen in Hamburg Chefs aus den Niederlanden. Pflegen Sie einen engen Kontakt?
Vullinghs: Nein, eigentlich nicht. Ich lebe seit mehr als 20 Jahren nicht mehr in den Niederlanden, habe in Moskau, Singapur und in Indien gearbeitet. Überall dort hatten wir niederländische Clubs und ein enges Netzwerk. In Hamburg hat sich so etwas noch nicht so etabliert – und das ist wirklich schade.
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