Hamburg. Wartezeiten für die Schuldnerberatung haben sich bei Verbraucherzentrale fast verdoppelt. Viele Solo-Selbstständige betroffen.
Viele Hamburger fürchten finanziell das Schlimmste. „Die Anfragen für Termine in der Schuldnerberatung haben bei uns stark zugenommen“, sagt Kerstin Föller von der Verbraucherzentrale Hamburg. Als Folge ist die Wartezeit für eine Beratung bei Schuldenproblemen von drei auf fünf Monate, also um rund 70 Prozent gestiegen.
Soloselbständige informieren sich über Privatinsolvenz
„Vor allem viele Soloselbstständige haben die Befürchtung, dass sie nicht mehr lange durchhalten, und wollen sich nach dem Prozedere für eine Privatinsolvenz erkundigen“, sagt Föller. „Wir rechnen bei der Insolvenzberatung mit einer neuen Zielgruppe, die wir bisher nur vereinzelt in der Beratung hatten.
Außerdem zeige sich, dass die Schuldenprobleme zunehmend den unteren Mittelstand erfassen. „Bisher kamen viele gerade so über die Runden, aber wenn sich das Einkommen durch Kurzarbeit verringert oder ganz wegbricht, bleiben viele Rechnungen unbezahlt, und Schulden türmen sich auf“, so Föller.
Fahrradkuriere können Corona-Hilfen kaum nutzen
Vor allem Soloselbstständige wie Fahrradkuriere oder Honorarkräfte können von den staatlichen Corona-Hilfen kaum profitieren, da sie meist nur geringe Betriebsausgaben haben und die Hilfsgelder nicht für den Lebensunterhalt in Anspruch genommen werden dürfen.
Aus der Erfahrung der Verbraucherzentrale gelingt nur 18 Prozent der Schuldner ein Vergleich mit den Gläubigern, 82 Prozent der Betroffenen gehen in die Privatinsolvenz. Nach spätestens sechs Jahren werden die nicht beglichenen Schulden gestrichen.
Bis zu 3000 Privatinsolvenzen in 2021 erwartet
Die Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel rechnet für Hamburg im nächsten Jahr mit bis zu 3000 Privatinsolvenzen. Das wäre gegenüber diesem Jahr ein Anstieg um 30 Prozent. Bundesweit erwarten die Experten einen Anstieg von 18 Prozent auf 100.000 Privatinsolvenzen im Jahr 2021.
Die Prognose für 2020 für Hamburg beläuft sich auf 2300 Privatinsolvenzen, nachdem im ersten Halbjahr 1031 Privatinsolvenzen gezählt wurden, sodass sich schon im zweiten Halbjahr ein Anstieg abzeichnet.
Viele Bürger durch Pandemie in finanzieller Schieflage
„Soloselbstständige und Honorarkräfte aus unterschiedlichsten Branchen haben in der Corona-Krise von einem Tag auf den anderen ihr komplettes Einkommen verloren. Durch die Pandemie sind so viele Bürger unerwartet in eine finanzielle Schieflage geraten“, sagt Frank Schlein, Geschäftsführer von Crif Bürgel.
Im Jahr 2019 gingen knapp 30 Prozent der Insolvenzen auf das Konto von Soloselbstständigen. Der Anteil könnte auf bis zu 40 Prozent steigen, erwartet Crif Bürgel. Hamburg lag im ersten Halbjahr an elfter Stelle im Bundesländervergleich mit 56 Privatinsolvenzen je 100.000 Einwohner.
Weniger Geld durch Arbeitslosigkeit im Norden
Schlechter schneiden in Norddeutschland Schleswig-Holstein, (62) Niedersachsen (68) und Bremen (90) ab. „Die Menschen werden durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit weniger Geld in der Tasche haben, um ihren Verpflichtungen wie Kreditzahlungen und Mieten nachzukommen“, sagt Schlein.
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Privatpersonen haben vor allem Schulden bei Kreditinstituten, Versandhändlern, Versicherungen, Behörden, Vermietern, Energieversorgern und Telefongesellschaften. „Auf Dauer führt weniger Einkommen erst in die Überschuldung und dann in die Privatinsolvenz“, sagt Schlein.
Föller: "Zahlungsverpflichtungen nach Dringlichkeit ordnen"
Als überschuldet gilt, wer nach Reduzierung des Lebensstandards und Abzug der Lebenshaltungskosten seine Schulden nicht fristgerecht über einen längeren Zeitraum bezahlen kann. „Wenn es finanziell eng wird, sollte man die Zahlungsverpflichtungen nach Dringlichkeit ordnen“, sagt Verbraucherschützerin Föller. Als dringlich gelten die Zahlungen für Miete, Strom, Gas, Wasser und Telefon.
Bereits jetzt gelten bundesweit 6,8 Millionen Bürger als überschuldet. „Viele Privatpersonen haben den Zeitpunkt ihres Insolvenzantrages zeitlich nach hinten verschoben, da sie auf den Stichtag zur verkürzten Restschuldbefreiung warten“, sagt Schlein.
Neue Insolvenzregelung wurde verschoben
Die Regelung, die Restschulden schon nach drei statt bisher sechs Jahren los zu sein, sollte ursprünglich am 1. Oktober in Kraft treten, wurde aber verschoben. Angesichts der langen Wartezeiten auf eine Schuldnerberatung rechnet Föller damit, dass die neue Insolvenzregelung aber für all jene greift, die jetzt in finanziellen Schwierigkeiten geraten sind.