Hamburg. Der Spezialist für grüne Energie hat nicht nur die Zahl seiner Mitarbeiter kräftig gesteigert, sondern auch den Aktienkurs.

Nicht viele Hamburger Aktien dürften dies übertreffen: Seit Jahresbeginn hat der Kurs des Solar- und Windparkinvestors Encavis mit Sitz an der Großen Elbstraße um gut 54 Prozent zugelegt – trotz der Corona-Krise. Zwar stürzte auch die Notierung dieses SDAX-Werts zwischen Mitte Februar und Mitte März um 40 Prozent ab, doch die Erholung fiel umso kräftiger aus.

Dabei hatte der kurzzeitige Einbruch wenig mit dem Unternehmen und seinen speziellen Perspektiven zu tun, vermutet Finanzvorstand Christoph Husmann: „Es gab einen kurzen Moment des Systemzweifels – selbst Gold, sonst der klassische ,sichere Hafen‘ der Anleger, musste ja zeitweise einen deutlichen Preisrückgang hinnehmen.“ Schon sehr bald jedoch hätten sich die Investoren gefragt, welche Firmen von der Krise wenig betroffen sein würden – „und da kam man auf Encavis.“

85 Windparks gehören zum Portfolio von Encavis

Vorstandschef Dierk Paskert bedauert, dass er und sein Managementteam selbst nicht stärker von der Kursschwäche in der ersten Märzhälfte profitieren konnten: „Wir hätten in diesen Tagen liebend gerne Encavis-Aktien für uns gekauft, aber das durften wir als Insider nicht, weil die Veröffentlichung von Unternehmenszahlen näher rückte.“ Das US-Fondshaus BlackRock, der größte Vermögensverwalter der Welt, wurde nicht durch solche Regularien gehemmt und baute im ersten Halbjahr die Beteiligung an den Hamburgern von 3,51 auf 4,07 Prozent aus.

191 Solar- und 85 Windparks mit einer Gesamtkapazität von gut 2,5 Gigawatt in zehn europäischen Ländern gehören zum Portfolio von Encavis. Ein erheblicher Teil davon befindet sich in Frankreich, Spanien und Italien – alles Staaten, die unter der Corona-Pandemie sehr stark litten. „Einbußen im laufenden Betrieb gab es aber praktisch keine“, sagt Paskert: „Die Sonne schien ja weiter und auch der Wind wehte weiter.“ Allerdings gab es Verzögerungen von etwa zwei Monaten beim Bau eines neuen Solarparks in Spanien.

Rund 70 Prozent der Parks hält Encavis im Eigenbestand

Rund 70 Prozent der Parks hält Encavis im Eigenbestand. Die übrigen wurden in Fonds eingebracht, in die unter anderem Versicherer, aber auch Sparkassen-Privatkunden investieren. Zwar treten Großanleger wie Versicherungskonzerne oder Pensionskassen seit einiger Zeit vermehrt in eigener Regie als Anteilseigner von Erneuerbare-Energien-Projekten auf. „Dieser Markt ist aber stark mittelständisch orientiert“, sagt Husmann. „Das kommt uns zugute, weil wir schnell und flexibel entscheiden können, während große Konzerne durch ihre Struktur hier eher im Nachteil sind.“ Zudem dürften die Versicherer häufig selbst nur in Solarparks investieren, die bereits am Netz angeschlossen sind. Dann sei jedoch die Rendite „dramatisch“ geringer als bei Investments schon in der Entwicklungsphase.

Angesichts des sonstigen Nullzinsumfelds erscheinen die Renditen von gut fünf bis acht Prozent, mit denen Encavis rechnet, beachtlich hoch. Doch nach Angaben des Vorstands müssen sie nicht mit entsprechend hohen Risiken erkauft werden. So sei die Abnahme des Stroms meist vertraglich für mindestens zehn Jahre garantiert. Dabei spielen Technologiefirmen wie Google, Facebook, Amazon oder Microsoft, die schon aus Imagegründen ihre immensen Datenzentren mit „grünem“ Strom betreiben wollen, eine immer bedeutendere Rolle.

Nahe Sevilla entsteht ein Solarpark mit einer Kapazität von rund 200 Megawatt

Auch Encavis nutzt dies: Nahe Sevilla entsteht ein Solarpark mit einer Kapazität von rund 200 Megawatt (MW), drei Viertel der Strommenge nimmt Amazon über die nächsten zehn Jahre ab. Der US-Internetkonzern, der bereits mehrere Datenzentren in Europa betreibt, will nun auch in Spanien eines bauen. In Südeuropa lägen die Erzeugungskosten für Strom aus erneuerbaren Energien mittlerweile unterhalb des Großhandelspreises, sagt Paskert: „Das macht privatwirtschaftliche Stromabnahmeverträge immer interessanter, zumal man mit uns den Preis für zehn Jahre festlegen kann.“

Schon weil zwei große neue Solarparks in Spanien erst gegen Ende dieses Jahres in Betrieb gehen, wird der Umsatz im Jahr 2021 nach Einschätzung des Vorstands von gut 280 Millionen Euro auf mehr als 320 Millionen Euro zulegen. Doch die aktuell deutliche Ausweitung der Stromerzeugungskapazitäten im eigenen Bestand soll erst der Anfang sein: Das Ziel lautet, sie bis 2025 von 1,7 GW auf 3,4 GW zu verdoppeln. Zum Vergleich: Das Kohlekraftwerk Moorburg, immerhin das größte Kraftwerk Norddeutschlands, leistet maximal 1,6 GW.

Ausweitung der Belegschaft

Zwar werde die Mitarbeiterzahl von Encavis nicht im gleichen Verhältnis zunehmen wie die Kapazität, sagt Paskert. Eine Ausweitung der Belegschaft um bis zu 15 Prozent hält er aber für realistisch. Am Hauptsitz in Hamburg sind etwa 80 der zuletzt 125 Beschäftigten tätig, die übrigen in München sowie in Halle.

Wie auch andere Firmen, die in re­lativ kurzer Zeit stark gewachsen sind – Ende 2015 waren es gerade einmal rund 50 Mitarbeiter –, musste Encavis so etwas wie eine „Kulturrevolution“ durchmachen. „Wir kamen aus einer Start-up-Atmosphäre“, erklärt Husmann: „Jeder war sehr engagiert, arbeitete aber nach seinen eigenen Vorstellungen. Das machte es schwierig für Neueinsteiger.“

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Bei der Aufarbeitung und Bewältigung dieser Situation half die Hamburger Managementberatung „Improvement to Success“ von Jacqueline Groher. „Wir haben im Jahr 2018 eine Veranstaltung mit allen Beschäftigten organisiert, bei der alles auf den Tisch kam“, sagt Groher. Diese Aussprache hatte schließlich drastische Konsequenzen: Drei Führungskräfte mussten danach an einem Tag gehen. „Seitdem hat sich der Umgang im Unternehmen stark verändert“, sagt Husmann. Er ist überzeugt: „Ohne diesen Wandel würde die Arbeit unter den aktuellen Bedingungen – nahezu alle sitzen im Homeoffice – nicht so gut funktionieren.“

Allerdings mache sich nun bemerkbar, dass so emotionale Bezüge mit der Zeit verloren gehen: „Neue Mitarbeiter haben so kaum Gelegenheit, ihre Kollegen wirklich kennenzulernen.“ Auch dafür fand Groher mit ihrem Team eine Lösung. Sie hat eine „virtuelle Kaffeeküche“ eingerichtet. „Das ist eine permanent offene Videokonferenzschaltung, die für den zwanglosen Austausch gedacht ist“, sagt Paskert. Er ist erstaunt, wie gut das funktioniert: „Ich habe auch schon gesehen, dass Kollegen sich jeweils eine Pizza bestellen und sie dann in Gemeinschaft essen.“