Lübeck. Mit ihrer Strohmi GmbH hat Marie-Luise Dobler einen Klassiker wiederbelebt. Das begrenzt die Plastikflut und passt in die Zeit.
Genüsslich rupfen die Ponys auf der Wiese am Waldrand das saftige Gras aus dem Boden. Auf dem kleinen See neben der Koppel schwirren Mücken über das Wasser. Am Ufer sitzt Marie-Luise Dobler auf einem Gartenstuhl und erzählt begeistert von ihrem liebsten „Kollegen“, einem betagten Traktor. „Ich habe mich gleich verliebt, als ich ihn gesehen habe“, schwärmt die Unternehmerin, eine naturverbundene, zugleich sportlich-elegante Frau, die den Teich selber angelegt hat, Gartenarbeit als „mein Yoga“ bezeichnet, aber auch auf einem Hamburger Golfplatz nicht auffallen würde.
Der damals umgehend gekaufte Trekker steht wenige Meter entfernt von der Landidylle in einem Unterstand, der Marie-Luise Dobler auch als Lager dient: Hier lagert sie Stroh, das Kapital ihrer Firma. In großen Garben zusammengebunden lehnt der Roggen an der Wand, gut 1,40 Meter ragen die Halme in die Höhe. Die gebürtige Schwäbin ist Produzentin von Strohhalmen, in diesem Fall von Trinkhalmen, die den heute üblichen Plastiksaugröhrchen ihren Namen gegeben haben.
Mit ihrer Strohmi GmbH beliefert Marie-Luise Dobler vor allem exklusive Hotels, Bars und die gehobene Gastronomie. Zu den Kunden in der norddeutschen Region gehören der Getränkehersteller Viva con Agua aus St. Pauli, der Hamburger Beachclub Central Park und die Festspiele Eutin. Im Unverpackt-Laden „Stückgut“ in Ottensen können auch Endverbraucher die Produkte der Strohmi GmbH erhalten. Zu den deutschen Abnehmern kommen Käufer in aller Welt: aus Namibia, den USA oder von den Malediven, wo das Reethi Beach Resort auf dem Bea Atoll seine Drinks mit den Halmen aus dem Herzogtum Lauenburg serviert.
Bio-Halme sind nicht günstig
Die Bio-Halme sind nicht günstig, eine Packung mit 2500 Stück kostet rund 300 Euro. Doch der Klientel ist es wichtig, auch bei der Cocktailparty oder im Restaurant den Umweltgedanken zu leben. Marie-Luise Dobler hat bereits lange vor der Diskussion über Nachhaltigkeit ihre Geschäftsidee verfolgt. „Bei einem Gespräch in einer Bar, in dem das Wort Strohhalm fiel“, erinnert sich die Gründerin, „habe ich über den Ursprung des Produkts nachgedacht - und darüber, was daraus geworden ist“. Das war 1989.
Die gelernte Bauzeichnerin experimentierte mit der Herstellung, ließ zunächst in Polen produzieren und erlebte so manchen Rückschlag. Sie kämpfte mit Lieferschwierigkeiten und schleppender Nachfrage. „Es war ein steiniger Weg“, sagt die Geschäftsfrau, die nach mehreren Umzügen heute in der Nähe der Roggenfelder lebt. Ihre Vision kam möglicherweise zu früh, denn das Bewusstsein über die schädliche Plastikflut war damals noch lange nicht so sehr ausgeprägt wie in heutigen Zeiten, in denen sogar eine Gesetzesregelung ansteht: Denn spätestens ab Juli 2021 dürfen in der gesamten EU keine Plastikstrohhalme mehr verkauft werden.
Trinkhalme gehören wie Geschirr, Besteck, Wattestäbchen und Luftballon-Halter zu den Gegenständen aus Plastik, die besonders häufig an Stränden gefunden werden und damit offensichtlich zur Vermüllung der Meere beitragen. Ziel der Maßnahmen ist es, die Verschmutzung der Ozeane und der restlichen Umwelt einzudämmen.
Schließlich erzeugen laut Zahlen der EU-Kommission allein die Europäer pro Jahr 25 Millionen Tonnen Kunststoffabfall. Rund 40 Milliarden Plastiktrinkhalme werden nach Angaben von Umweltschutzorganisationen jedes Jahr allein in Deutschland verbraucht. Auf dem Markt gibt es inzwischen aber zahlreiche Alternativen zu Kunststoff, unter anderem wiederverwendbare Röhrchen aus Glas oder Edelstahl sowie auch Halme aus Weizen, Stärke oder Silikon.
Als Rohstoff dient eine alte Sorte Roggen
Für Marie-Luise Dobler hat sich eine alte Sorte Roggen als am besten geeignet für die Trinkhalme erwiesen. Das Gewebe ist fest und so stabil, dass es auch nach längerer Zeit im Getränk nicht aufweicht. Außerdem sind die Klassiker unter den Saugröhrchen komplett geschmacksneutral.
Das Getreide wächst auf einer Fläche von zwei Hektar in der Nähe des Lagers. Das Feld in Klempau bei Lübeck gehört einem Biobauern, den die Neugier auf das ungewöhnliche Produkt zum Partner für Strohmi machte. Der Landwirt erntet die Ähren mit seinem Mähdrescher und kann sie wie sein übriges Getreide weiterverarbeiten. Doch das Stroh bleibt stehen und wird anschließend mithilfe der Oldtimer-Maschinen der Strohmi-Firma zu Garben gebunden.
„Das läuft wie früher“, sagt Marie-Luise Dobler lachend und berichtet von älteren Nachbarn, die bei der Ernte staunend zuschauen und sich an ihre Jugendtage erinnern. In einem Landwirtschaftsmuseum bei Bremen hat die Gründerin sich angesehen, wie Bauernfamilien in alten Zeiten Trinkhalme hergestellt haben. Geschnitten wurden sie damals abends von den Kindern, die auf dem Lande häufig mit anfassen mussten.
Bei der Strohmi GmbH erledigen Frauen und Männer in den Gefängnissen von Lübeck und Kiel die Arbeit. Sie erhalten Geld für den Job, den sie in der Haftanstalt neben Kleb- und Faltarbeiten etwa von Kartons erledigen. Ein kleiner Teil der Halme wird auch in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Berlin bearbeitet.
Corona hat die Nachfrage einbrechen lassen
Der Aufwand ist immens. Denn die Halme werden mit umfunktionierten Astscheren alle einzeln geschnitten. Schließlich sind in jeder Pflanze Knoten gewachsen, die nicht durchlässig sind und daher aussortiert werden müssen. Vor dem Verpacken werden die Halme dann noch thermisch behandelt, um die Hygiene beim Trinken zu gewährleisten.
Mehr als zwei Millionen Strohhalme hat Marie-Luise Dobler in den vergangenen Jahren jeweils produziert, ihre Idee hat sich inzwischen am Markt durchgesetzt. Auch in dieser Saison sei die Ernte hervorragend und reichlich ausgefallen, gutes Wetter, kaum geknickte Halme.
Doch Corona hat die Nachfrage des Ein-Frau-Betriebs einbrechen lassen. „Vor allem Events finden nicht mehr statt“, sagt die Unternehmerin über die Folgen der Pandemie, die mehr als viele andere Branchen die Gastronomie in Mitleidenschaft zieht. Und auch das Interesse von Kreuzfahrtschiffen, die sich derzeit ebenfalls ein nachhaltiges Image geben wollten, sei nun wieder abgeebbt. So lagern noch etliche Garben neben den betagten Landmaschinen, die einmal im Jahr bei der Ernte zum Einsatz kommen. „Die Situation beunruhigt mich“, gibt die Geschäftsfrau zu.
Doch sie ist eine Kämpferin, die stets eher die Chancen als die Rückschläge sieht. Und selbst bei der Frage, was nun aus dem vielen Stroh wird, sieht Marie-Luise Dobler noch Positives: „Bei uns herrscht Kreislaufwirtschaft, es entsteht kein Müll, selbst wenn nur wenige Bestellungen eingehen.“ Denn auch die Pflanzen, die während der Pandemie nicht verarbeitet werden, finden dankbare Abnehmer: Es sind die Pferde, die nebenan auf der Weide grasen und sich über die Roggenhalme als Einstreu in ihren Boxen freuen.