Hamburg. Corona-Krise verstärkt den Trend: Noch nie ist so viel Kapital in nachhaltige Investments geflossen wie jetzt. Doch es gibt Kritik.
Lange Zeit ist die Idee, grüne Investments könnten sich auf lange Sicht womöglich überdurchschnittlich gut entwickeln, von vielen Anlageprofis eher belächelt worden. Doch in der jüngsten Zeit hat sich die Beurteilung drastisch gewandelt.
So flossen im zweiten Quartal nach Angaben des US-amerikanischen Finanzanalyseunternehmens Morningstar 54,6 Milliarden Euro in europäische Fonds mit nachhaltigen Anlagen – so viel wie nie zuvor. Betrachtet man nur die Aktienfonds darunter, so konnten sie bei den Geldzuflüssen die traditionellen Wettbewerber sogar deutlich übertreffen.
Rücksicht auf Natur ist kein Renditehindernis
Maximilian Gege, Vorstandsvorsitzender des Bundesdeutschen Arbeitskreises für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) mit Sitz in Eimsbüttel, hat eine Erklärung dafür: „Die Rücksicht auf Mensch und Natur ist in turbulenten Börsenzeiten kein Renditehindernis, sondern ein zusätzlicher Risikoschutz, der sich zudem ökonomisch auszahlt.“ Denn, so Gege: „Im Nachhaltigkeitsbereich wird überwiegend in Unternehmen mit zukunftsweisenden Geschäftsmodellen investiert. Dies sind beispielsweise Titel, die Telearbeitslösungen anbieten statt Dienstreisen, oder Erzeuger erneuerbarer statt fossiler Energien.“
Gege ist Gründer des Hamburger Beratungsunternehmens Green Growth Futura, das zusammen mit dem B.A.U.M. und der GLS Bank einen Fonds für Aktien mittelständischer Unternehmen mit klar nachhaltiger Unternehmensstrategie initiiert hat. Zweitgrößter Einzelwert in diesem Fonds, der zu Beginn der Corona-Krise deutlich weniger stark abstürzte als etwa der Deutsche Aktienindex (DAX), ist der Hamburger Solar- und Windparkinvestor Encavis.
Dem Beirat des „B.A.U.M. Fair Future Fonds“ gehören unter anderem der Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker, ehemaliger Co-Präsident des Club of Rome, sowie Monika Griefahn, Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland, an.
Es geht auch um den fairen Umgang mit den Beschäftigten
Ein weiterer Akteur auf diesem Feld ist die Böag Börsen AG, die Trägergesellschaft der Börsen Hamburg, Hannover und Düsseldorf. Sie hat bereits im Jahr 2007 gemeinsam mit der Nachhaltigkeitsrating-Agentur ISS ESG den „Global Challenges Index“ (GCX) entwickelt. Er enthält 50 Aktien internationaler Unternehmen – darunter die beiden Hamburger Titel Aurubis und Nordex – und hat sich in den zurückliegenden Jahren erheblich besser entwickelt als der DAX oder der Euro Stoxx 50.
„Verantwortungsvolles Investment und Rendite passen also gut zusammen“, sagt Böag-Vorstandsmitglied Hendrik Janssen. Dabei spielten finanzielle Kennzahlen bei der Auswahl der im GCX enthaltenen Aktien, abgesehen von der Untergrenze für den Börsenwert bei 100 Millionen Euro, keine Rolle. „Wir richten uns nach strengen Leistungskriterien mit Blick auf sieben zukunftsrelevante Handlungsfelder“, so Janssen. Dies sind die Bekämpfung der Ursachen und Folgen des Klimawandels, die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit Trinkwasser, die Beendigung der Entwaldung und die Förderung nachhaltiger Waldwirtschaft, der Erhalt der Artenvielfalt, der Umgang mit der Bevölkerungsentwicklung, die Bekämpfung der Armut und die Unterstützung verantwortungsvoller Führungsstrukturen im Unternehmen.
„Manches davon klingt nach ,Öko-Ecke‘“, sagt Janssen, „aber ich bin davon überzeugt, dass Firmen, die daran mitwirken, diese globalen Herausforderungen zu bewältigen, und die auch nicht gegen Regeln guter Unternehmensführung verstoßen, einfach besser aufgestellt sind.“ Tatsächlich geht es bei allen „nachhaltigen“ Geldanlagen in der Regel nicht nur um den Umweltschutz. Dies zeigt das Kürze „ESG“, das sich international eingebürgert hat. Es steht für die drei Aspekte Environment (Umwelt), Social (das soziale Element) sowie Governance (Unternehmensführung).
SAP-Aktie nach Korruptionsfall in Afrika ausgetauscht
Erfasst werden also auch der Umgang eines Unternehmens mit seinen Mitarbeitern, die Beachtung der Menschenrechte oder die Vermeidung illegaler Geschäftspraktiken. „Die Aktie des Softwareanbieters SAP wurde im GCX nach einem Korruptionsfall in Afrika ausgetauscht“, sagt Janssen: „Das war die Rote Karte.“ Ebenso erging es der Münchener Rück wegen der Geschäftsbeziehungen zu einem umstrittenen Staudammprojekt in Südamerika.
„Generell haben aber auch Unternehmen aus ,schwierigen‘ Branchen eine Chance, im GCX vertreten zu sein“, erklärt der Böag-Vorstand. So mag es manchen überraschen, dass die sehr energiehungrige Kupferhütte Aurubis dazugehört. „Das Unternehmen ist weltweit führend im Kupferrecycling und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Ressourcenschonung“, so Janssen. Über die Zusammensetzung des GCX entscheidet ein Beirat, dem unter anderem Matthias Kopp, Leiter des Bereichs Sustainable Finance bei der Umweltschutzorganisation WWF, angehört.
Lesen Sie auch:
- Warburg-Eigner geben Stimmrechte vorerst ab
- Noch Aktionäre für die Rathauspassage gesucht
- Hamburg verzichtet auf HHLA-Millionen und stockt Anteile auf
Finanziell profitiert die Böag vom GCX, indem sie Lizenzgebühren für darauf basierende Fonds einnimmt. Einer davon, der Warburg Global Challenges Index-Fonds, erhielt von der Stiftung Warentest in diesem Sommer als einziger Indexfonds das Testurteil „Sehr hoher Grad der Nachhaltigkeit“.
Corona-Krise erhöht Nachfrage nach nachhaltigen Investments
„Ursprünglich waren es vor allem Stiftungen und kirchliche Institutionen, die Wert auf nachhaltige Investments legten“, sagt Janssen. „Inzwischen gibt es aber auch bei privaten Anlegern viel mehr Sensibilität dafür.“ Dabei habe die Corona-Krise die Nachfrage nach derartigen Investmentprodukten noch erhöht, heißt es von der Hamburger Privatbank Berenberg. Denn die Pandemie rücke „Faktoren wie Sozialstandards, Zugang zum Gesundheitswesen oder wirtschaftliche Ungleichheiten“ verstärkt in den Fokus der Anleger.
„Doch gleichzeitig war der Bedarf an Klarheit und Standards im Bereich ESG noch nie so groß wie heute“, stellt Morningstar-Managerin Hortense Bioy fest. Tatsächlich führt dieser Mangel an verbindlichen Standards immer wieder zu Diskussionen über Finanzprodukte, die mit dem Begriff der Nachhaltigkeit vermarktet werden. Ein Beispiel: Als die Deutsche Börse den neuen Index DAX 50 ESG vorstellte, löste sie heftige Kritik bei Umweltschützern aus. „Bei genauerem Hinsehen ist der Index bestenfalls hellgrün“, fanden auch die Experten des Magazins „Ecoreporter“.
Der DAX 50 ESG enthalte Unternehmen, die „nicht übermäßig nachhaltig, sondern einfach nur etwas nachhaltiger als die Konkurrenz“ sind. So fänden sich in dem Index „umstrittene Konzerne“ wie Daimler, Lufthansa und Bayer, die für „anspruchsvolle nachhaltige Anleger“ nicht infrage kämen. Zwar arbeitet die EU an einer verbindlichen Richtlinie für ESG-Kriterien, aber die Mitgliedsländer haben unterschiedliche Vorstellungen – schließlich definiert etwa Frankreich Atomstrom als nachhaltig.
Ungeachtet solcher Schwierigkeiten dürfte die Nachfrage nach ESG-Investments noch deutlich zunehmen. Wie sich aus einer aktuellen Umfrage der Marktforschungsfirma Puls im Auftrag der Privatbank Quirin ergibt, wird in Deutschland heute jeder zehnte Euro nachhaltig angelegt. 2025 soll es bereits jeder vierte Euro sein.