Hamburg. Vor allem die vielfältige Craftbeer-Szene hat es aktuell schwer. Mit Internet-Tastings und Bringdiensten kämpfen sie ums Überleben.

Corona – schon der Name ist eine Gehässigkeit: Bis ins Jahr 2020 hinein verbanden Brauer damit nur eine Bier-Plörre, versetzt mit Mais, Reis, dem Stabilisator Papain und dem Antioxidationsmittel Ascorbinsäure. Inzwischen ahnt man, dass das gleichnamige Virus die Wirtschaft komplett umkrempelt. Schlimmer noch: Corona droht eine ganze Branche zu erledigen – die Craft-Bierszene. So nennen sich die Handwerker der Braukunst, die mit viel Fantasie und Engagement, aber oft wenig Eigenkapital sich in das Abenteuer Unternehmertum gestürzt haben. Ein Abenteuer mit Tradition: Denn Hamburg galt über Jahrhunderte als „Brauhaus der Hanse“. Gehen nun die Lichter aus?

„Die Krise trifft uns, wie die meisten, sehr hart“, sagt Jule Matthies von der Biobrauerei Wildwuchs in Wilhelmsburg. „Fast jeder ist betroffen, die meisten werden es kaum überstehen können.“ Alle Absatzkanäle seien auf einen Schlag eingebrochen: Die Gastronomie hat geschlossen, Events seien verboten – und weil keiner weiß, wie es weitergeht, fehle zudem jede Planungssicherheit. Axel Ohm, Gründer des Überquell auf St. Pauli, sagt: „Die Krise trifft unsere beiden Bereiche Gastronomie und Brauerei heftig. Die Gastronomie erzielt kleine Erlöse durch Abholer, liegt aber gegenüber dem Vormonat und Vorjahr bei 85 Prozent Umsatzrückgang.“

Auch der Zeitpunkt der Corona-Krise schmerzt

Auch der Zeitpunkt der Krise schmerzt: „Wir waren für den Frühling gerüstet, das Lager ist gut gefüllt, denn normalerweise ist der April der erste richtig starke Monat des Jahres“, sagt Julia Wesseloh von der Kehrwieder Kreativbrauerei aus Sinstorf im Süden der Stadt. „Da sind unsere Befürchtungen nun, ehrlich gesagt, groß.“

Auch die mittelständische Ratsherrn-Brauerei im Schanzenviertel, ein Pionier der neuen deutschen Braukunst, bekommt die Krise zu spüren. Das Braugasthaus Altes Mädchen sowie die Ratsherrn Bar Mühlenkamp mussten vorübergehend schließen. „Als Brauerei haben wir sofort reagiert und die Produktion im Bereich Fassbier heruntergefahren und auf Flaschenbier verlagert, so- dass wir die mögliche Lahmlegung unseres Betriebes durch das Coronavirus für eine gewisse Zeit kompensieren könnten“, sagt Mariann von Redecker von Ratsherrn. „Noch muss keiner Ratsherrn hamstern.“ Die Brauerei verzeichnet im Handel und im Onlinegeschäft wachsende Umsätze. Dies könne die Ausfälle aber nur zum Teil kompensieren.

Kunden hetzen durch die Märkte

Wenn überhaupt. „Die Supermärkte sind damit beschäftigt, Nudeln, Mehl, Konserven und Klopapier nachzupacken, die haben verständlicherweise keine Zeit für Manufakturen“, sagt Jule Matthies von Wildwuchs. Der Verkauf sei schlechter geworden, weil Kunden durch die Märkte hetzten. Kehrwieder spürt ebenfalls deutliche Rückgänge bei den Großhändlern. Auch Lars Grosskurth von der Brauerei Landgang aus Bahrenfeld erwartet über den Einzelhandel keine Rettung des Hamburger Brauernachwuchses.

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„Wir merken eher, dass die Leute sich mit günstigen Bieren eindecken. Aber das kann sich ja noch ändern“, sagt er. Seine Hoffnung: „Ich bin mir sicher, dass der eine oder andere noch feststellen wird, dass es einen Grund gab, in den letzten zehn Jahren kein Dosenravioli zu essen und kein günstiges Bier zu trinken.“ Gerade jetzt solle man doch genussvoll leben. „Zeit haben wir ja nun alle. Vielleicht schafft Essen und Trinken die Muße und die Abwechslung, nach der wir uns alle sehnen“, sagt Grosskurth. „Mich macht es jedenfalls glücklich.“

Hamburg hält zusammen

Immerhin zeigt sich auch hier, wie Hamburg zusammenhält: „Ganz aktuell haben wir eine Listung in den Budni-Märkten bekommen, weil Budnikowsky engagierte regionale Erzeuger und Macher in der Coronakrise unterstützen will“, sagt Ohm von Überquell. „Das sind großartige Neuigkeiten für uns.“

Eine weitere Hoffnung liegt für alle im Lagerverkauf an den Standorten – und im Internethandel. Elektronisch lässt sich in diesen Zeiten eben auch Bier ordern. Dementsprechend haben alle Hamburger Anbieter ihre Internetaktivitäten ausgebaut oder einen Onlineshop eröffnet. Der Service ist Trumpf – viele bieten auch gemischte Kisten an, die Hamburger versandkostenfrei bestellen können. „Wir stellen das Bier vor die Tür. Kein Kontakt und viel Vertrauen“, verspricht Landgang.

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Hinzu kommen interaktive Auftritte, Online-Verkostungen, Live-Brauereiführungen auf Facebook und Instagram oder Braukurse. „Wir haben letzte Woche eine virtuelle Brauereiführung auf Facebook gestreamt. Die haben 800 Personen live verfolgt. Da waren wir schon überrascht“, erzählt Grosskurth. Nächste Woche verspricht er ein „Bier-Yoga zum Mitmachen. Wir versuchen, unsere Kunden zu unterhalten, probieren viel.“

Existenzielle Ängste

Auch in der Krise halten die Brauer, die seit Jahren gemeinsam die Spezialität Senatsbock wiederbelebt haben, zusammen: Am vergangenen Freitag luden Überquell, Wildwuchs und Kehrwieder zur großen digitalen Bierprobe per Live-stream ein. „Nach der harten Vollbremsung, der ersten Schockstarre und existenziellen Ängsten in der Coronazeit spüren wir, dass sie auch alte Phänomene auflösen kann und Chancen für Neues bietet“, sagt Axel Ohm. „Wenn unsere Gäste nicht mehr zu uns kommen können, dann gehen wir eben zu unseren Gästen.“ Das nächste Tasting gegen den Coronalagerkoller findet am heutigen Sonnabend ab 16.30 Uhr mit Bierliebhabern aus Sport, Kunst und Kultur statt.

Am Ostersonnabend soll auf dem Internet-Kanal One Hamburg ein ganz großes Online-Biertasting durchgeführt werden – mit zehn verschiedenen Bieren, die man online bestellen oder – im nachmittags geöffneten Craft Beer Store von Ratsherrn in der Lagerstraße – gekauft abholen kann. Auch in der Krise denkt die Brauerei an die Opfer der Coronakrise. So nimmt Ratsherrn am Festival keinerkommt.de des Mensch Hamburg e.V. teil, das rein karitativen Zwecken innerhalb der Kultur- und Gastrobranche zugutekommt.

Wünsche an die Politik

Zugleich hat die Branche Wünsche an die Politik: „Mittelständische, handwerkliche Unternehmen wie wir brauchen wirksame Hilfsprogramme, die nicht an zu strengen Kriterien scheitern“, sagt Redecker. „Hier ist jetzt die Politik noch stärker gefordert.“ Aber auch jeder Biertrinker: „Wir hoffen, dass die Konsumenten erkennen, dass sie eine Mitverantwortung für den Fortbestand der Gastronomie und von regionalen handwerklichen Erzeugern haben und solche Produkte kaufen“, sagt Ohm.

Informationen zum Coronavirus:

Grosskurth fügt hinzu: „Wenn jetzt alle von Dosenravioli leben und alles, was sie brauchen, bei einem globalen Digitalkonzern kaufen, dann hat das Folgen. Dann werden es der Biobauer aus dem Umland, die lokale Brauerei und der Marktstand schwierig haben, zu überleben. Ich fände es schade, wenn die Profiteure dieser Krise nun ausgerechnet Unternehmen sind, denen die lokale Gemeinschaft nicht so wichtig ist und die eh keine Steuern zahlen.“