Hamburg. Kino geht in der Corona-Krise nur mit Mindestabstand – und meist älteren Filmen. Warum Frank Thomsen dennoch optimistisch ist.
Das Cinemaxx in Hamburg-Harburg ist eine Großbaustelle. Mitten in der Corona-Krise lässt die Kinokette mit 31 Standorten in Deutschland hier das alte Mobiliar gegen breite, zurücklehnbare Sessel austauschen. Der neue Geschäftsführer Frank Thomsen glaubt an die Zukunft des Kinos.
Herr Thomsen, wie geht es dem Kino in der Corona-Krise?
Frank Thomsen Zunächst einmal freuen wir uns, dass wir seit zweieinhalb Monaten wieder öffnen dürfen und als erster Betreiber an den Markt zurückgegangen sind. Unsere Gäste sagen, dass sie sehr froh sind, dass sie das Kino vermisst haben.
Trauen sich die Menschen wieder ins Kino?
Thomsen: Ja. Die Menschen informieren sich sehr umfangreich über unsere Sicherheits- und Hygienekonzepte im Internet, was sie vor Ort erwartet. Damit haben wir uns seit der Schließung Mitte März beschäftigt. In einer Marktstudie sagten 87 Prozent der Befragten, dass sie sich sicher fühlen im Kino. Und 85 Prozent sagten, dass sie wiederkommen würden.
Sind Sie mit der Auslastung zufrieden?
Thomsen: Mitte Mai sind wir in Kiel, Offenbach und Dresden gestartet. Seit Anfang Juli dürfen auch die letzten Kinos in Berlin und Bremen wieder aufmachen. Seitdem haben wir 50.000 bis 60.000 Besucher pro Woche. Damit sind wir insofern zufrieden, weil uns derzeit die großen Blockbuster fehlen. Wir zeigen Klassiker, die Jung und Alt ansprechen, ergänzt um Filme, die kurz vor Ausbruch der Pandemie in die Kinos gekommen waren. Das Kinoerlebnis ist ein anderes – keine Blockbuster, dafür eine große Vielfalt. So viele Filme haben wir noch nie gleichzeitig gespielt.
Wie minimieren Sie das Infektionsrisiko?
Thomsen: Da profitieren wir von den Erfahrungen unseres Gesellschafters Vue International, der auch Kinos in Taiwan betreibt, wo es schon früher zu Epidemien kam. Dort blieben die Kinos geöffnet. Unsere Maßnahmen erfüllen natürlich die gesetzlichen Auflagen wie die Mindestabstände. Zudem haben wir die Spielzeiten entzerrt, damit sich die Gäste nicht im Foyer über den Weg laufen, die Saalauslastung begrenzt und unsere Gäste gebeten, online zu reservieren. Im Kino kann man dann alles kontaktlos erledigen. Bis zum Sitzplatz haben wir unsere Gäste gebeten, eine Maske zu tragen – daran halten sich alle.
Sind Sie mit den Hygienevorschriften einverstanden?
Thomsen: Die Gesundheit unserer Mitarbeiter und Gäste hat absolute Priorität. Das Sicherheitsbedürfnis ist sehr groß. Daher haben wir keine Energie darauf verwendet, uns mit der Politik auseinanderzusetzen, ob eine Maßnahme zu restriktiv ist. Eine Herausforderung war es aber, dass sich jedes einzelne Bundesland eigene Gedanken gemacht hat. Das wünscht sich ein überregional tätiges Unternehmen eher nicht. Mehr Koordinierung wäre schön gewesen. Nach zweieinhalb Monaten wäre es jetzt an der Zeit, die Regeln auf den Prüfstand zu stellen – ob etwa die anderthalb Meter Abstand noch ihren Zweck erfüllen. Das diskutiert unsere Branche mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters.
Viele wichtige Filmstarts wurden wegen Corona verschoben. Wann gibt es neuen Stoff auf der Leinwand zu sehen?
Thomsen: Größeren neuen Stoff gibt es definitiv am 26. August mit Christopher Nolans „Tenet“. Anvisiert war das ursprünglich für den 15. Juli. Großen Einfluss hat die Lage in den USA, wo die Corona-Situation viel angespannter ist. Die Verleiher wollen bei solchen Filmen mit Produktionskosten von 200 Millionen Dollar weltweit auf einen Schlag kommen. In diesem Fall wird der Start in Europa und Asien vorgezogen. Das begrüßen wir sehr, denn „Tenet“ hat das Potenzial, in Deutschland zwei Millionen Menschen in die Kinos zu bewegen. Bis dahin kommen kleinere Neustarts. Es laufen bereits „Unhinged“, „Meine Freundin Conny“, „Total vertauscht“ und „Max und die wilde 7“. Wichtig ist auch „After Truth“ am 3. September – Constantin hat diesen Filmstart vorgezogen, was ich sehr begrüße! Demnächst werden weitere Starttermine bekannt gegeben. Und natürlich freuen wir uns massiv auf Daniel Craig in „James Bond – No Time To Die“ („Keine Zeit zu Sterben“). Welcher Titel hätte in dieser Zeit besser passen können? Mitte November geht es los. Der Film hat Potenzial für acht Millionen Besucher.
- Warum Russell Crowe seine neue Kino-Rolle erst ablehnte
- Reese Witherspoon: Vom „Blondchen“ zu Hollywoods hartem Hund
- Daniel Radcliffe: Warum er „Harry Potter“ loswerden will
Nach schwierigen Jahren ging es für Ihre Branche 2019 dank vieler guter Filme enorm aufwärts. Wie sieht die Perspektive aus?
Thomsen: Wir bei Cinemaxx und Vue International glauben nachhaltig an Kino. Deshalb halten wir an unseren Investitionsplänen wie vor der Pandemie fest. In den vergangenen zwei Jahren haben wir zehn Millionen Euro in unsere Kinos in Bremen, Hannover Göttingen, Hamm, Wuppertal und Regensburg investiert. Jetzt bauen wir das Theater hier in Hamburg-Harburg um und haben in Krefeld und Stuttgart mit den Umbauarbeiten begonnen. Der deutsche Kinomarkt hat Potenzial! Im vergangenen Jahr sind 113 Millionen Menschen in die Kinos gekommen, 15 Prozent mehr als 2018. Der Anteil der Menschen, die ins Kino gehen, ist um fünf Prozentpunkte auf 38,5 Prozent gestiegen. Und die Besucher sind im Schnitt 4,4 Mal statt 4,1 Mal im Jahr zu uns gekommen. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Wenn unsere gesamte Industrie einen guten Job macht, sehe ich sehr optimistisch in die Zukunft. Jeder Schauspieler lebt für die große Leinwand und nicht für eine Serie, bei der die Zuschauer nebenher auf dem Smartphone tippen. Das Kino ist ein Ort, wo man noch richtig abschalten kann.
Wie steht es wirtschaftlich um Cinemaxx?
Thomsen: Das Jahr 2019 und der Auftakt 2020 waren sehr erfolgreich. Corona hat uns quasi über Nacht getroffen. Wenn wir neues Vertrauen bilden können, wird die Lust auf Kino wiederkommen. Vor einer Woche haben wir unseren 350.000. Gast nach der Wiedereröffnung begrüßt – das ist deutlich weniger als vor der Krise, aber über unseren Erwartungen. Unsere Kinos haben große Flächen, sodass wir auch mit begrenzten Kapazitäten länger im Corona-Modus arbeiten können, als uns das lieb ist.
Werden die Kinos in Deutschland die Krise überleben?
Thomsen: Für uns kann ich sagen: Ja. Für die Branche ist es schwer vorherzusagen. Die ersten zwei Multiplex-Paläste in Stuttgart und Berlin werden nicht zurückkommen, das muss aber nicht mit Corona zu tun haben. Eine weitere Konsolidierung im deutschen Kinomarkt ist aber wahrscheinlich.
Sind Sie bereit, Wettbewerber zu übernehmen?
Thomsen: Wir werden uns mit allem beschäftigen, was für uns interessant ist.
Spüren Sie, dass Streaming-Dienste wie Netflix & Co. in der Corona-Krise einen Schub erfahren haben?
Thomsen: Video-on-demand bedient einen ganz anderen Anspruch als Kino. Beide Geschäftsmodelle eint nur, dass sie filmaffines Publikum ansprechen. Und Video-on-demand-Kunden sind sehr kinoaffin. In dieser Gruppe gehen 50 Prozent ins Kino statt 38,5 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Und sie kommen nicht 4,4 Mal, sondern fünf Mal im Jahr. Insofern freue ich mich über den Erfolg der Dienste: Die Geschäftsmodelle befruchten sich gegenseitig. Die Fußballstadien sind ja auch voll gewesen, obwohl Sky die Partien überträgt. Ich gehe fest davon aus, dass wir unsere alten Besucherzahlen wieder erreichen und noch steigern können.
Lesen Sie auch: Rekordzahlen: Lohnt sich der Kauf von Netflix-Aktien noch?