Hamburg. Bei Brauereien werden wegen Corona die Flaschen knapp. Ratsherrn greift in Hamburg deshalb bereits zu ungewöhnlichen Mitteln.
„Vermisst“ steht oben auf dem Steckbrief, der mit Klebebandstreifen an einem Baumstamm befestigt ist. Das Foto auf dem Zettel zeigt aber nicht etwa eine entlaufene Katze, sondern eine leere Fritz-Kola-Flasche, irgendwo draußen an einem Wegrand abgestellt. „Wir vermissen unsere Flasche“, heißt es darunter, und weiter: „Belohnung: 8 Cent und vielviel Liebe.“
Mit diesem Bild macht die Hamburger Getränkemarke in sozialen Medien auf eine Schwierigkeit aufmerksam, vor der in diesem Sommer auch etliche Brauer und Mineralwasserabfüller stehen: Das Leergut wird knapp. „Das ist ein richtig großes Problem, vor allem bei Grünglas“, sagt Mariann von Redecker, Marketingleiterin der Hamburger Ratsherrn Brauerei: „Es herrscht in Deutschland ein krasser Glasmangel. Der Kampf um Ressourcen hat schon begonnen.“
Bei Ratsherrn greift man zu ungewöhnlichen Mitteln, wenn zu wenige leere Flaschen von Großhändlern zurückkommen: „Wir fahren manchmal selbst zur Rindermarkthalle, um Leergut dort abzuholen und nicht Glas zukaufen zu müssen“, sagt Mariann von Redecker.
Nachfrage nach Flaschenbier steigt in der Corona-Krise
Dabei ist es nicht zuletzt die Corona-Pandemie, die zu den Schwierigkeiten der Branche beigetragen hat. „Anfangs haben viele Verbraucher Getränke in den Haushalten gehortet“, erklärt Julian Schwarzat, Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Getränkefachgroßhandels. „Vor allem aber hat sich das Konsumverhalten geändert: Es wird nun weniger Bier vom Fass in Bars oder Restaurants konsumiert, dafür steigt die Nachfrage nach Flaschenbier, das man zu Hause trinkt.“
Bei Ratsherrn hat man diesen Wandel deutlich zu spüren bekommen. „Bis zum Beginn der Corona-Beschränkungen hat die Gastronomie mehr als 60 Prozent unseres Absatzes ausgemacht, aber vom Geschäft mit diesen Kunden ist vieles weggebrochen“, sagt von Redecker. „Etliche Bars zum Beispiel haben auch jetzt noch nicht wieder geöffnet.“ Dafür hätten sich die Verkäufe über den Onlinehandel ungefähr verdoppelt.
Nordrhein-Westfalens Brauereien haben bereits einen dringenden Appell an die Verbraucher gestartet, zu Hause befindliche leere Kästen und Mehrwegflaschen wieder im Handel abzugeben. „Angesichts der deutlich spürbaren Mehrverkäufe von Flaschenbier“ zum Sommer befürchte man Engpässe, sagt der Geschäftsführer des Brauereiverbandes Nordrhein-Westfalen, Heinz Linden.
Keine Probleme bei Holsten
Bei der Holsten-Brauerei in Hamburg gibt es derzeit „zum Glück keine Probleme“ mit dem Leergutmangel, sagt eine Sprecherin von Carlsberg Deutschland. Das hat wohl nicht nur mit der von ihr angeführten „guten Planung“ zu tun. Nach Angaben von Carlsberg Deutschland hat Holsten „beim Comeback der Dose eine führende Rolle inne“ – immer mehr Produkte des Konzerns, zu der die Hamburger Traditionsmarken Holsten und Astra gehören, gibt es auch in Aluminiumdosen.
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Die waren zwar nach der Einführung eines Zwangspfands auf Einweg-Verpackungen im Jahr 2002 nahezu vollständig vom Markt verschwunden, weil die großen Handelsketten sie zunächst aus den Regalen verbannten. Doch im vorigen Jahr wurden immerhin schon wieder gut 3,9 Milliarden Getränkedosen in Deutschland verkauft – das entspricht einem Plus von zehn Prozent gegenüber 2018 und bereits wieder mehr als der Hälfte des Absatzes in der Zeit vor der Pfandpflicht. Offenbar ist das Einweg-Pfand von 25 Cent für Fans des „Six-Packs“ kein Hindernis.
Zu dem Wiederanstieg des Dosen-Marktanteils in den zurückliegenden Jahren hat zwar auch die wachsende Vielfalt der koffeinhaltigen Energy-Drinks beigetragen. Doch mehr als 40 Prozent aller Getränkedosen in Deutschland werden mit Bier befüllt.
In der Dose bleibt Bier länger frisch, heißt es in der Branche
„Die Dose kühlt ihren Inhalt schnell, ist handlich und platzsparend und besonders in den Sommermonaten gefragt“, heißt es von der Brancheninitiative Forum Getränkedose. Umsatzstärkster Monat sei auch im Jahr 2019 der Juli gewesen. Der Carlsberg-Konzern wirbt ebenfalls für die Leichtmetallverpackung: „Wer den Feierabend nicht zu Hause, sondern auch gern draußen verbringt, für den eignet sich besonders das Bier aus der Dose.“ Denn das geringe Gewicht und die Stabilität machten sie „praktisch für unterwegs“.
Umweltschützer sehen im Comeback der Getränkedose hingegen eine äußerst bedenkliche Entwicklung. Die Dose sei ein „Klimakiller“, sagt Philipp Sommer von der Deutschen Umwelthilfe. So ist Studien zufolge der Energieaufwand einer Dose im gesamten Lebenszyklus einschließlich aller Transportwege um mehr als ein Drittel höher als bei der Mehrwegflasche, die bis zu 30-mal neu befüllt wird. Dennoch ist die Dose gerade bei den jungen sogenannten Craft-Beer-Brauereien beliebt. Diese Verpackungsform lasse sich besser individuell gestalten als eine Flasche, heißt es.
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Hinzu komme ein weiterer Vorteil der Dose, den gerade handwerklich arbeitende Brauer zu schätzen wüssten: „Komplett lichtdicht und quasi kein Restsauerstoff – das hält Bier länger frisch“, erklärt Nina Anika Klotz, Gründerin des Online-Magazins „Hopfenhelden“.
Auch Ratsherrn – immerhin nach eigenem Selbstverständnis ein Teil der Craft-Beer-Szene – erwäge, künftig einen Teil des Sortiments in Dosen abzufüllen, verlautet aus Branchenkreisen. Zunächst aber soll nach Angaben von Marketingleiterin Mariann von Redecker im August ein „Hamburg Hell“ mit 5,1 Prozent Alkohol auf den Markt kommen – in braunem Glas. Für das klassische Pilsener bleibe es aber trotz der Leergutknappheit bei Grün: „Für die Haltbarkeit wäre Braun zwar eigentlich besser. Aber in Norddeutschland wird Grünglas für Pilsener einfach erwartet.“