Berlin. Online-Casinos sind oft in Deutschland illegal. In der Corona-Krise werden sie aber stark beworben. Die Drogenbeauftragte ist entsetzt.

Drei Yetis entdecken einen Inka-Schatz, ein Flugsaurier fliegt durch eine vergessene Welt und Scooter-Frontsänger H.P. Baxxter singt in Anspielung an seine Erfolgs-Single: „Are you ready? Hyper, Hyper, Hyperino!“ Andreas Wardemann kann über diese Werbeclips von Online-Casinos, die Namen wie Wunderino, Hyperino oder DrückGlück tragen, nicht lachen.

Im Gegenteil. „Da kommt schon Wut hoch, wenn ich so etwas sehe“, sagt Wardemann, der Geschäftsführer von 20 Spielhallen in Nordrhein-Westfalen und Sachsen ist. Drei Jahre ist es her, dass Wardemann eine seiner Spielhallen in der Leipziger Eisenbahnstraße schließen musste.

Sie lag 100 Meter neben einer Grundschule, das war seit der Wiedervereinigung so. Doch seit 2017 gelten in Sachsen wie in allen anderen Bundesländern Abstandsregeln.

Fußläufig muss eine sächsische Spielhalle seitdem 250 Meter von einer Schule entfernt sein. Auch vor Wardemanns Spielhalle machte diese Regelung nicht halt, er musste zugunsten des Jugendschutzes schließen. „Kinder sollen nicht spielsüchtig werden, indem sie an einer Spielhalle vorbeigehen. Aber im Fernsehen werben Online-Casinos mit Stars und teils sehr kindlich für sich. Das passt nicht zusammen“, ärgert sich Wardemann.

Online-Casinos sind bundesweit verboten – bis auf ein Bundesland

Bis auf ein kleines Schlupfloch sind Online-Casinos in Deutschland illegal. Das Schlupfloch ist Schleswig-Holstein. Elf Anbietern gewährt das norddeutsche Bundesland Lizenzen, um ihr Online-Glücksspiel anzubieten – ausdrücklich nur für Spieler in Schleswig-Holstein.

Trotzdem werben Online-Casinos bundesweit, auch wenn sie dabei auf die Einschränkung hinsichtlich des Bundeslandes verweisen müssen. Die Seiten sind auch von jedem anderen Bundesland aus abrufbar. Die Bundesländer waren in den vergangenen Jahren der Situation recht hilflos ausgesetzt.

Mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag wollen sie die Online-Casinos deutschlandweit ab 2021 erlauben. Das hat auch finanzielle Gründe. Denn pro Jahr nehmen Bund, Länder und Kommunen 5,4 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben durch das legale Glücksspiel ein. Doch jeder fünfte Euro wird mittlerweile im unerlaubten Bereich eingesetzt – und oftmals nicht versteuert. Bereits 2019 hatten die Medienaufsichten ein Werbeverbot durchgesetzt – nach der Lizenzverlängerung in Schleswig-Holstein warben die Anbieter aber weiter.

Online-Casinos gaben in der Corona-Krise mehr für Werbung aus

In diesem Jahr könnte das Verhältnis noch stärker kippen. Wie alle anderen Vergnügungseinrichtungen hatten auch die staatlichen Spielbanken sowie die privaten Spielhallen während der Beschränkungen geschlossen. Viele Online-Casino-Anbieter witterten dabei offenbar das große Geschäft.

Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres stieg das Brutto-Volumen an geschalteter TV-Glücksspielwerbung um 60 Prozent, wie aus Daten des Datenanalyseunternehmens Nielsen hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegen. Im März und April, also den Monaten mit den stärksten Einschränkungen, verdoppelten sie sich sogar gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Werbeschaltenden. Die Soziallotterie Aktion Mensch etwa reduzierte im März und April zur Corona-Krise ihre Brutto-Werbeausgaben gegenüber den Vorjahresmonaten um 54 Prozent, die Deutsche Fernsehlotterie um knapp sieben Prozent.

Werbung für Online-Casinos und Sportwetten in der Kritik

Beim Online-Casino Mr. Green wurde dagegen drei Prozent mehr Werbung investiert als noch im Vorjahreszeitraum. Noch deutlicher werden die Unterschiede zwischen den Monaten. Hyperino steigerte sein Bruttowerbevolumen zwischen Februar und April um 175 Prozent, Wunderino um fast 50 Prozent.

Als einen „ziemlichen Schlag ins Gesicht“ wertet die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, das erhöhte Werbeaufkommen. „Von mir aus brauchen wir überhaupt keine Werbung für Online-Casinos“, sagte die CSU-Politikerin unserer Redaktion.

Und fügte hinzu: „Ich könnte auch gut und gerne auf Werbung für Sportwetten verzichten, wenn wir schon mal dabei sind. Beides kann nämlich schnell abhängig machen und Menschen in den finanziellen Ruin treiben.“ Knapp 500.000 Menschen in Deutschland sind spielsuchtgefährdet, insofern sei das Bewerben „ethisch-moralisch total daneben“, sagte Ludwig.

Drogenbeauftragte schreibt TV-Veranstalter an

Bereits im April schrieb Ludwig daher die Geschäftsführungen mehrerer bundesweiter privater TV-Veranstalter an. Der Verband Privater Medien (VAUNET) antwortete ihr. Es ließe sich kein Anstieg beim Werbeumfang feststellen, insbesondere seit Beginn der Corona-Krise sei der Werbeanteil nicht gestiegen. „Ohne Worte“, zeigt sich Ludwig fassungslos über das Schreiben.

Um Verständnis für die TV-Werbung wirbt Dirk Quermann, Präsident des Deutschen Online Casinoverbands (DOCV): „Eine erfolgreiche Kanalisierung kann es nur geben, wenn lizenzierte Anbieter in einem ausreichenden Umfang auf ihr Produkt aufmerksam machen können. Ansonsten überlässt man das Feld dem Schwarzmarkt“, sagte Quermann unserer Redaktion.

Die DOCV-Unternehmen hätten ihre Werbung bereits freiwillig reduziert oder eingestellt. „Leider sorgen jedoch einige wenige, nicht im DOCV organisierte, Unternehmen für einen gegenteiligen Eindruck“, sagte Quermann. Megapixel Entertainment etwa, das die Marken Wunderino und Hyperino betreibt, ist kein Mitglied im DOCV. Mr. Green dagegen schon.

„Rechtslage muss durchgesetzt werden“

„An Dreistigkeit kaum zu überbieten“, findet dagegen Georg Stecker, Vorstandssprecher des Dachverbandes Die Deutsche Automatenwirtschaft, das gesteigerte Werbe-Volumen. Die Zuwächse würden zeigen, dass hier nicht nur um Spieler aus Schleswig-Holstein geworben wird. „Und im Rest der Republik ist Online-Glücksspiel verboten. So ist die Rechtslage. Und die muss von den Landesmedienanstalten und den Glücksspielaufsichten durchgesetzt werden“, sagt Stecker.

Er habe nichts gegen Online-Angebote, solange sie sich an den rechtlichen Rahmen halten und Jugend- und Spielerschutz gewährleisten. „Illegales Online-Glücksspiel findet im Wohnzimmer statt, wo man es nicht sieht, das ist das Gefährliche daran“, sagt Stecker.

Ein Vorbild zum entschlossenen Vorgehen gegen Werbung illegaler Online-Angebote sieht Stecker im Saarland. Die dortige Landesmedienanstalt verfügte ein Werbeverbot gegen zwei Online-Casinos mit Lizenz in Schleswig-Holstein.

Zustimmung gibt es von der Drogenbeauftragen Daniela Ludwig. „Die Saarländer haben einfach mal genau das richtige zur richtigen Zeit gemacht: Deckel drauf und Sendepause!“

Viele Besucher bleiben den klassischen Spielhallen noch fern

Auch Unternehmer Andreas Wardemann begrüßt die Entscheidung, zu oft behandele sonst die Politik die Online-Anbieter wie eine „heiße Kartoffel“. Er hofft, dass die Kunden nun wieder in die klassischen Spielhallen zurückkehren.

Seit Mitte Mai haben die Spielhallen wieder geöffnet, rund ein Viertel der Besucher, die vor der Pandemie kamen, blieben aber nach wie vor fern, möglicherweise sind sie nun nur noch online aktiv.

Gefallen lassen will Wardemann sich das nicht: „Spielhallen sind greifbar, uns kann man leicht regulieren. Aber ich beobachte, dass bei Online-Casinos mit zweierlei Maß gemessen wird. Die sind fast bundesweit illegal - ich vermisse einen durchgreifenden Vollzug.“

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