Berlin. Das Dax-Vorzeigeunternehmen Wirecard wird ein Kriminalfall – und ist für die größte Volkswirtschaft Deutschlands hochnotpeinlich.

Deutschland wird gern als Industriemuseum verspottet – bis heute lebt die Wirtschaft vor allem vom Erfindungsreichtum, der 100 Jahre und länger zurückliegt, von Gründern wie Daimler, Siemens, Bayer. Das bald jüngste Weltunternehmen im DAX, die Firma „Systeme, Anwendungen und Produkte in der Datenverarbeitung“ – besser bekannt als SAP, ist auch schon fast 50 Jahre alt. Das noch jüngste Unternehmen im Aktienindex namens Wirecard dürfte hingegen bald Geschichte sein – zumindest als Mitglied der ersten Börsenliga.

Der Internet-Zahlungsdienstleister musste am Donnerstag die Bilanz verschieben, weil plötzlich Prüfungsnachweise für Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro fehlen. Das entspricht etwa einem Viertel der Bilanzsumme. Das Unternehmen sieht sich als mögliches Opfer eines „gigantischen Betrugs“, doch das Mitleid dürfte sich bald in Grenzen halten.

Wirecard: Offenbar wurden fundamentale Standards verletzt

Matthias Iken.
Matthias Iken. © Funke Foto Services | Reto Klar

Denn schuld sind für den Unternehmensgründer Markus Braun immer die anderen – mal kritische Journalisten, dann Leerverkäufer. Dabei wurden im Unternehmen offenbar fundamentale Standards der Bilanzierung verletzt. Warum Wirtschaftsprüfer bis vor Kurzem Wirecards Bilanzen überhaupt testiert haben, dürfte noch eine spannende Frage werden.

Den Schaden hat aber nicht nur das Unternehmen, sondern der Kapitalmarkt insgesamt – und die Anleger. Für die größte Volkswirtschaft Deutschlands ist ein DAX-Unternehmen, das wie eine Frittenbude wirtschaftet, hochnotpeinlich. Und für Sparer, die viel Geld verlieren werden, das Vertrauen in die Anlageform Aktie fundamental erschüttert.

Immerhin wird der Platz von Wirecard im DAX bald wieder besetzt sein – als Favorit gilt die Online-Bestellplattform Delivery Hero, eine Art moderner Pizzalieferservice. Was für eine Innovation im Industriemuseum Deutschland!