Hamburg. Für die Wilhelmsburger Nordwandhalle sollte 2020 das Jahr werden – dann kam Corona. Nun ringt sie um ihre Existenz.

Christian Erenyi zeigt auf die Wand des Sonnendecks. Große und kleine blaue Griffe sind dort befestigt. Ein Stück weiter links sind es pinkfarbene, dann folgen schwarze, lilafarbene, gelbe und grüne. „Das ist eine Corona-Beschraubung“, sagt der Geschäftsführer der Nordwandhalle. Heißt: Links und rechts neben den gleichfarbigen Griffen ist viel Platz. Jede Farbe ist gleichbedeutend mit einer Kletterroute, die die Sportler schaffen sollen. In diesem Bereich wird gebouldert, also ohne Seil und Gurt trainiert. Wer sich nicht mehr halten kann, springt auf die Weichbodenmatte. Dieser Abschnitt trägt den Namen Sonnendeck – aber nach eitel Sonnenschein ist Erenyi nicht zumute.

Zweieinhalb Monate musste die Kletterhalle im Wilhelmsburger Inselpark wegen der Corona-Epidemie geschlossen bleiben. Seit dem 27. Mai darf sie wieder öffnen, zwei Wochen vorher durfte schon der Außenbereich aufmachen. Doch die Geschäfte laufen derzeit schlecht. „Wir bangen um unsere Existenz“, sagt Erenyi. Dabei befand sich das Unternehmen eigentlich auf einem guten Weg. 2009 gründete er die Firma mit seiner Frau Katrin und deren Bruder Jost Hüttenhain, 2012 eröffnete die Nordwandhalle. Für sein Konzept wurde das Trio mit dem Hamburger Gründerpreis in der Kategorie Existenzgründer ausgezeichnet.

Kosten reduziert, die Preise erhöht und das Angebot angepasst

Auch wenn die Zahl der Besucher stetig stieg, waren die ersten Jahre wie bei fast jedem Start-up finanziell hart. „Seit drei Jahren geht es bergauf“, sagt Erenyi, der nur „Chrisu“ genannt wird. Man habe die Kosten reduziert, die Preise erhöht und das Angebot angepasst. Vor zwei Jahren wurde eine Zwischendecke eingezogen und der Boulderbereich – der zweite große Bereich ist das Seilklettern, bei dem die Kletterer mit Gurten und Seilen an der knapp 16 Meter hohen Wand üben – erweitert. Zusätzliches Geschäft wie Kletter- und Boulderevents wurde akquiriert. Der 40-Jährige baut zudem Kletterwände, zum Beispiel für die Europa Passage. Ein Bankkredit mit hohen Zinsen läuft zum Jahresende aus, ein Neuabschluss bei gesunkenem Zinsniveau hätte künftig eine Menge Kosten sparen können, sagt Erenyi: „2020 wäre unser Jahr geworden.“

Doch dann kam der 16. März und der Shutdown. Wegen der Corona-Krise musste die Halle schließen. Das Unternehmen beantragte Soforthilfe und bekam sie auch. Die rund ein Dutzend Festangestellten beziehen Kurzarbeitergeld. Die Agentur für Arbeit übernimmt dabei 60 beziehungsweise 67 Prozent (bei Menschen mit Kindern) des letzten Nettogehalts. „Wir sind heilfroh, dass Kurzarbeit in dieser Form angeboten wird“, sagt Erenyi und ist erfreut über die staatlichen Hilfsmaßnahmen.

Dickes Umsatzminus

Aber das dicke Umsatzminus bleibt. „Einige Hunderttausend Euro fehlen“, sagt Erenyi. Von heute auf morgen fielen die Umsatzbringer Kindergeburtstage, die angebotenen Kurse und das Firmenkundengeschäft komplett weg, bei dem sich Unternehmen entweder in den 140 Quadratmeter großen Seminarraum einbuchen oder wie Google auch mal für drei Tage die ganze Kletterhalle mieten.

Für einen wichtigen Teil des Umsatzes sorgen normalerweise die Stammkunden, die zum Beispiel Jahres- und Zehnerkarten erwerben oder Mitgliedschaften abschließen. Weil im April aber komplett geschlossen war, konnten die Beiträge nicht eingezogen werden. Mit einer Crowdfunding-Aktion wurde zumindest etwas Geld eingesammelt. Immerhin 8500 Euro kamen zusammen, im Gegenzug gab es für die Spender beispielsweise Trainingsstunden mit „Chrisu“ oder Gutscheine.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Die Schließzeit wurde genutzt, um ein neues Küchenkonzept umzusetzen, den Gastrobereich zu streichen und mit neuen, selbst gebauten Möbeln aufzufrischen. Ein Konzept für die Wiedereröffnung wurde entwickelt. Mitte Mai kam dann vom Hamburger Senat die Nachricht, den Außenbereich wieder öffnen zu dürfen. Später folgte auch die gut 1000 Quadratmeter große Halle.

Einchecken erfolgt per Karte und Scanner kontaktlos

Wer das Gebäude betritt, muss als Erstes gründlich Hände waschen. Das Einchecken erfolgt per Karte und Scanner kontaktlos. Umkleiden, Duschen und der Sitzbereich der Gastronomie sind gesperrt. Es gibt ein Einbahnstraßensystem. Sauberkeit und Abstand sind die Gebote der Stunde in Corona-Zeiten. Daher wurden zunächst alle Griffe abgeschraubt und die Wände per Hand gewaschen. Dann wurden die Routen neu gesetzt, ihre Zahl sank aber deutlich. An den Boulderwänden sind es nur halb so viele wie vorher. Für Seilkletterer gilt die Vorgabe, dass nur jede zweite Sicherungslinie genutzt werden darf und zeitversetzt gestartet werden muss.

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden

So soll der beim Sport vorgeschriebene Abstand von 2,50 statt normalerweise 1,50 Meter eingehalten werden. Kletterer sollen ein Täschchen mit Magnesia tragen. Zum einen sorgt es für trockene Hände, zum anderen habe es einen hohen pH-Wert, den die Viren nicht mögen, sagt Erenyi. Jede Stunde gibt es eine Stoßlüftung, um die Aerosole aus der Halle zu wehen. Dafür können die mächtigen, fast 16 Meter hohen Fensterelemente auf ganzer Höhe gedreht und geöffnet werden.

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Doch die Wiedereröffnung verlief enttäuschend. „Wir hatten uns darauf eingestellt, überrannt zu werden. Aber es lief ganz sanft an“, sagt Erenyi. Kamen früher bis zu 250 Sportler pro Tag, wurden deren Zahl nun auf maximal 150 begrenzt. Meistens sind es aber deutlich weniger. Auf der Homepage der Nordwandhalle wird mit einem Verzug von etwa fünf Minuten angezeigt, wie viele Besucher da sind und wie viele freie Plätze es noch gibt. Mittwochnachmittag waren es 40 Gäste und 110 freie Plätze.

Seit der Wiedereröffnung liege der Umsatz nur bei etwa 30 Prozent des Vorjahresniveaus, sagt Erenyi. Die Kosten für Personal und Strom steigen aber wieder. Und mit Juni, Juli und August steht das traditionelle Sommerloch vor der Tür. Die Verhandlungen mit der Hausbank über einen KfW-Kredit liefen seit Längerem und gestalteten sich kompliziert. „Wenn wir kein externes Kapital bekommen, wird es für uns schwierig“, sagt Erenyi. Er befürchtet dann spätestens im Herbst einen Liquiditätsengpass. Aber trotz allem hat er seinen Optimismus nicht verloren: „Wir haben in den vergangenen zehn Jahren so viel erlebt. Das werden wir auch noch schaffen.“