Berlin. Der Chef fordert, zurück ins Büro zu kommen. Doch nicht jedem passt das. Arbeitsrechtler erklären, welche Rechte gelten.
Die Lage in Deutschland hat sich stabilisiert. Die Maßnahmen, um das Coronavirus einzudämmen, werden immer weiter zurückgenommen. Auch für viele Arbeitnehmer ändert sich derzeit viel. Die meisten sollen nach und nach aus dem Homeoffice wieder ins Büro zurückkehren. Doch innerhalb der drei Monate seit dem Lockdown Mitte März hat sich viel verändert.
Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben gelernt, dass die Arbeit gemacht wird, auch wenn man sich nicht täglich sieht und jeder von Zuhause aus arbeitet. In vielen Betrieben ist so eine verschleppte Mobilisierung der Arbeit und Digitalisierung über Nacht wirksam geworden. Mancher Arbeitnehmer will vielleicht sogar gar nicht mehr zurück ins Büro, viele können es nicht, weil die Kinderbetreuung in Schulen und Kitas noch nicht wieder im gewohnten Ausmaß angeboten wird.
Im Privaten haben viele Arbeitnehmer Zeit gewonnen, Arbeitswege sind weggefallen, Dienstreisen waren nicht möglich. Zwei Arbeitsrechtler, Boris Dzida, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, und Marta Böning, Juristin und Referatsleiterin für individuelles Arbeitsrecht beim Deutschen Gewerkschaftsbund, beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema Rückkehr aus dem Homeoffice ins Büro.
Homeoffice: Ab wann kann der Arbeitgeber die Corona-Pandemie für beendet erklären?
Auf diese Frage gibt es eine einfache Antwort: Boris Dzida, Arbeitsrechtler der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer: „Wenn das Robert-Koch-Institut eine entsprechende Erklärung abgegeben hat.“ Heißt also, der Arbeitgeber kann die Coronavirus-Pandemie nicht für beendet erklären, weil er ja sie auch nicht ausgerufen hat. Marta Böning, DGB-Rechtsexpertin antwortet darauf: „Es wird in diesem Zusammenhang viel an dem eigentlichen Problem vorbei diskutiert: Die Pflicht, Beschäftigte bei der Arbeit vor Gesundheitsgefahren zu schützen und diese zu minieren, hat der Arbeitgeber nicht nur während der Pandemie sondern generell.“
Heißt je nachdem, um welche Gefahren es sich bei der Arbeit handelt, müssen entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Böning: „Bei einem erhöhten Ansteckungsrisiko muss der Arbeitgeber Maßnahmen ergreifen, sodass Beschäftigte ihre Arbeit ohne Ansteckungsrisiko erledigen können.“
Wenn ich Angst vor einer Ansteckung habe, darf ich dann zu Hause bleiben?
Leider, nein. Denn laut Boris Dzida reicht die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus allein nicht aus. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer einer Risikogruppe angehört und der Arbeitgeber aufgrund der Art der Arbeit kein Schutzkonzept erstellen kann, das den Arbeitnehmer ausreichend schützt. In solchen Ausnahmefällen kann es einen Anspruch auf Homeoffice-Arbeit geben, selbst wenn dies nicht in einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag vorgesehen ist. Falls man tatsächlich der Meinung ist, in seinem Betrieb werden nicht ausreichende Schutzvorkehrungen getroffen oder Hygieneregeln eingehalten, sollte man mit seinem Betriebsrat Kontakt aufnehmen oder sich bei seiner Gewerkschaft melden, rät Marta Böning vom DGB. Auch für das Arbeiten zu Hause gibt es viel zu beachten, die besten Tipps für das Homeoffice.
Kann der Arbeitgeber Beschäftigte zwingen, vom Homeoffice ins Büro zurückzukehren?
Boris Dzida: „Wenn die Arbeit im Homeoffice in einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag geregelt ist, hängt die Antwort davon ab, was dort zur Rückkehr ins Büro geregelt ist.“ Ist dort etwa geregelt, dass man drei Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten darf, könne der Arbeitgeber keine vollständige Rückkehr ins Büro erzwingen. Bestünden keine solchen Regelungen, kann der Arbeitgeber eine Rückkehr ins Büro anordnen.
Ähnlich sieht es Marta Böning, DGB-Rechtsexpertin, immer müsse beachtet werden, was vorher zur Arbeit im Homeoffice vereinbart wurde. Allerdings beschreibt der DGB eine problematische Entwicklung: „Durch die Corona-Pandemie gibt es beim Homeoffice viel Willkür und Wildwuchs. Deshalb sind neben den betrieblichen Regelungen, die im Idealfall den Rahmen für die Arbeit von Zuhause setzen, auch gesetzliche Regeln wichtig.“ Der DGB erwarte, dass das Gesetz zum Recht auf Homeoffice wie von der Bundesregierung angekündigt im Herbst kommt. Böning: „Wir brauchen klare Regeln zum Schutz der Beschäftigten – denn Arbeiten im Homeoffice kann auch Entgrenzung bedeuten.“ Viele Regeln und gesellschaftliche Veränderungen werden durch die Corona-Pandemie nun schneller umgesetzt. In welchen Bereichen die Krise die Gesellschaft voranbringt.
Wann wird aus dem Homeoffice-Zustand eine „betriebliche Übung“ ?
Die Frage stellt sich nur, wenn es keine Betriebsvereinbarung oder keine arbeitsvertragliche Regelung zum Homeoffice gibt, sagt Anwalt Dzida. Das Homeoffice löse während der Pandemie keine betriebliche Übung aus und bedeute nicht, dass man fortan immer im Homeoffice arbeiten darf. „Denn das ist eine Ausnahmesituation“ so Dzida. Wenn sich aber die Coronasituation vollständig entspannt hat und der Arbeitgeber es weiterhin toleriere, dass Arbeitnehmer im Homeoffice arbeiten, dann kann nach vielen Monaten oder einigen Jahren eine betriebliche Übung entstehen, wonach Arbeitnehmer einen Anspruch auf Homeoffice haben. Allerdings seien die Arbeitsgerichte vor Corona schon recht zurückhaltend gewesen, eine solche betriebliche Übung anzunehmen.
Welche Regeln gelten, wenn wie in den meisten Betrieben beim Beginn der Corona-Maßnahmen nichts geregelt worden ist, und die Geschäftsführung nur gesagt hat,„arbeitet bitte von zu Hause“?
Dann darf die Geschäftsführung auch sagen: „Kommt bitte wieder zurück ins Büro“, so Dzida. „Allerdings muss das mit einer angemessenen Frist erfolgen, zum Beispiel damit Kinderbetreuung und ähnliches geregelt werden kann.“ Ist das Homeoffice immer an die eigenen vier Wände gebunden. Darf man auch Homeoffice im Ferienhaus oder am Strand machen?
Wie lang ist eine angemessene Frist für die Rückkehr ins Büro?
Da gibt es keine klaren Vorgaben. Arbeitsrechtler Dzida empfiehlt mindestens drei Tage, bei Mitarbeitern mit Kindern eine Woche.
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Und was ist, wenn die Kinderbetreuung noch nicht so stattfindet wie vor der Pandemie?
Für diesen Fall weist Rechtsanwalt Dzida auf eine neue gesetzliche Regelung hin: Eltern, die aufgrund von Kita- oder Schulschließungen, die Betreuung ihrer Kindern übernehmen müssen, können Ersatzleistungen für den eintretenden Entgeltausfall erhalten. Das Gesetz sieht vor, dass der Staat 67 Prozent des Nettoeinkommens, maximal aber EUR 2016 im Monat, erstattet. Der Lohnersatz gilt für Eltern von Kindern unter zwölf Jahren. Eltern, die ein Kind mit Behinderung betreuen, können die Hilfe unabhängig vom Alter des Kindes erhalten. Marta Böning vom DGB kritisiert, dass die Höhe der Entschädigung von der Bundesregierung viel zu knapp bemessen sei. Außerdem greife das Recht nur bei ganztägigen Fehlzeiten, nicht stundenweise. Sie betont, dass die Auswirkungen der Schließungsmaßnahmen gerade Arbeitnehmer, die Eltern sind, vor ganz große Herausforderungen stellt.
Was ist, wenn ich zu einer bestimmten Risikogruppe gehöre?
Das kommt immer auf den Einzelfall an, so Arbeitsrechtler Dzida. Wenn ein Arbeitgeber ein Schutzkonzept für Risikogruppen erstellt hat, zum Beispiel Einzelzimmer statt Großraumbüro, möglichst wenig Kundenkontakt, Maskenpflicht auf dem Flur und im Aufzug, dann bestehe eine Pflicht zur Rückkehr ins Büro. Wenn es dagegen aufgrund der Art der Arbeit nicht möglich ist, Risikogruppen ausreichend zu schützen, kann ein Anspruch bestehen, weiterhin im Homeoffice arbeiten zu dürfen.
Marta Böning vom DGB: „Beschäftigte haben zudem das Recht auf die sogenannte Wunschvorsorge beim Betriebsarzt, der dem Arbeitgeber individuelle Schutzmaßnahmen für die jeweilige Person vorschlagen kann.“ Weil Unternehmen, Tätigkeiten und Arbeitsumfelder aber sehr unterschiedlich sind, gibt es beim Arbeitsschutz aber keine „All-fits-one“-Lösung. Die Betriebe brauchen deshalb individuelle Arbeitsschutzkonzepte. Solche Konzepte müssen im Zusammenspiel mit dem Betriebs- oder Personalrat, den Betriebsärzten und den für die Arbeitssicherheit zuständigen Personen verabschiedet werden. „Da sehen wir jetzt im akuten Fall auch Mängel durch die Versäumnisse beim Arbeitsschutz in den letzten Jahren, auf die die Gewerkschaften immer wieder nachdrücklich hingewiesen haben.“
Welche Rechte hat der Betriebsrat bei der Rückkehr aus dem Homeoffice ins Büro?
Darin sind sich die Arbeitsrechts-Experten einig: Wenn Arbeitnehmer länger als einen Monat im Homeoffice gearbeitet haben, dann ist die Rückkehr ins Büro eine Versetzung. Der Betriebsrat muss dieser Versetzung zurück ins Büro zustimmen. Das wird in der betrieblichen Praxis oft übersehen. Wenn der Betriebsrat nicht zustimmt, muss der Arbeitgeber das Arbeitsgericht anrufen, er kann dann aber bei Dringlichkeit die Versetzung einseitig anordnen – und so erst einmal vollendete Tatsachen schaffen.
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