Hamburg. Das Gebrauchtwarenkaufhaus verzeichnet stark steigende Anlieferungen. Viele Menschen haben derzeit den Wunsch, für Ordnung zu sorgen.

Der rote Kinderroller, der Ohrensessel im Fifties-Look, der Plattenspieler aus den 80er-Jahren – beim Ausmisten stoßen die Hamburger derzeit auf Tausende alte Schätze. Viele der wiederentdeckten Dinge aus dem Keller und vom Dachboden finden ihren Weg in diesen Tagen zu Stilbruch. „Wir freuen uns, dass so viele ihre freie Zeit für kleinere und größere Projekte zu Hause nutzen und die aussortierten Gegenstände zu uns bringen“, sagte Roman Hottgenroth, Betriebsleiter der Hamburger Secondhand-Kaufhäuser.

Der 49-Jährige steht im Annahmelager der Stilbruch-Filiale in Wandsbek. Mitarbeiter hieven Bücher und Kleidung auf die Regale, dann kommen einige CD-Player an, die in der Werkstatt nebenan auf Funktionsfähigkeit geprüft werden. „Es ist schon verrückt, was aussortiert wird – von Möbeln, Geschirr, Silbersammlungen und Kunst bis hin zu teuren Rennrädern und vielem mehr,“ beschreibt Hottgenroth die Vielfalt der bei Stilbruch abgelieferten Waren.

Volle Parkplätze und Regale

Wegen der Corona-Krise mit all ihren Nebenerscheinungen wie Quarantäne, Homeoffice und Kurzarbeit haben viele Menschen gerade die Gelegenheit und den Wunsch, daheim für neue Ordnung zu sorgen. Das führt bei Stilbruch, dem Gebrauchtkaufhaus und seinen Annahmestellen in Altona und Wandsbek zu besonders vollen Parkplätzen und Regalen: „Wir haben sogar Lagerflächen zusätzlich schaffen müssen, um dem Andrang standzuhalten“, sagt Hottgenroth.

Gleich zwei Hallen hätten die bestehenden Logistikkapazitäten ergänzt. Denn im März seien die Anlieferungen von Privatleuten um gut zehn Prozent, im April sogar um knapp die Hälfte gegenüber dem Vorjahreszeitraum angestiegen. Damit sind allein im vergangenen Monat umgerechnet 70 Möbelwagen voller ausrangierter Dinge bei Hottgenroth angekommen. Nach der Prüfung warten die Produkte nun auf Kunden: Das Rezeptbuch für 1 Euro in der Literaturecke genauso wie das Kinderfahrrad von Puky für zwölf Euro.

Vor allem bei Kleidung ist Ausmisten Trend

Den groß angelegten „Frühjahrsputz“ der Menschen erlebt auch Dirk Zimmer. „Neben Gartenarbeiten nehmen sich die Menschen gerade ihre Wandschränke, Keller und Dachböden vor und sortieren aus. Das zeigt sich ganz deutlich an größeren Mengen entsorgten Sperrmülls“, sagt der Leiter des Recyclingcenters der Stadtreinigung Hamburg. „Es kommen zwar nicht unbedingt mehr Leute, aber wer seinen Weg zu uns findet, entsorgt größere Mengen“.

Was ist erlaubt, was nicht? Fragen an den Bürgermeister

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Bei Möbeln, Spielzeug und Elektroprodukten ist Ausmisten Corona-Trend, aber vor allem bei Kleidung. Das spüren auch die Altkleidersammelorganisationen. Sie versinken derzeit buchstäblich in Bergen von Textilien. In vielen Kommunen rufen karitative Vereinigungen bereits dazu auf, zurzeit auf Kleiderspenden zu verzichten. In Hamburg werden Nachfrage und Angebot weitgehend durch die Gebrauchtkaufhäuser ausgeglichen. Im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft arbeiten die Stadtreinigung und Stilbruch Hand in Hand.

Stetiger Nachschub

Die Mitarbeiter auf den Recyclinghöfen kümmern sich nicht nur um die Wertstofftrennung, sie haben außerdem einen fachkundigen Blick für Wiederverwendbares: „So finden wir regelmäßig wahre Schätze, denen in den Stilbruch-Kaufhäusern zu fairen Preisen ein zweites, drittes oder sogar viertes Leben geschenkt wird. Bei den aktuellen Mengen an Sperrmüll ist da gerade einiges dabei“, sagt Zimmer und erklärt das Prozedere: „Wir haben auf unseren Recyclinghöfen seit vielen Jahren eine extra Stilbruch-Ecke, und viele Kunden kommen gezielt, um etwas als Spende abzugeben“.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Anders als in vielen anderen Bundesländern blieben die Recyclinghöfe in Hamburg auch während des Lockdown geöffnet, das sorgte für stetigen Nachschub. Rund 45 Prozent der Stilbruchware kommt von den Recyclinghöfen, etwa 40 Prozent werden direkt in den Kaufhäusern abgegeben, die mit dem Slogan „Altes Neues täglich frisch“, um Kunden werben. Und diese kommen auch in Zeiten von Corona: „Es wird nicht nur geliefert, sondern auch gestöbert und gekauft“, berichtet Hottgenroth über den Erfolg des Kaufhauses. „Die Leute sind viel zu Hause und haben dann auch mal Sehnsucht nach etwas Neuem und wollen ein Stück Veränderung“.

Wartezeiten von bis zu einer halben Stunde

Die Hamburger hätten zuletzt sogar Wartezeiten von bis zu einer halben Stunde in Kauf genommen, um bei Stilbruch zu stöbern – denn auch hier gilt natürlich die Abstandsregel und die damit begrenzte Kundenzahl. Hottgenroth, St.Pauli- und Musikliebhaber, der sogar einen eigenen „Die Ärzte“-Fanclub ins Leben gerufen hat, leitet die Tochterfirma der Stadtreinigung Hamburg mit viel Herzblut. „Wir sind hier wie eine große Familie“, sagt er über den Betrieb mit seinen 70 Beschäftigten. Die Mitarbeiter seien immer wieder mit Kreativität bei der Sache. Zuletzt haben sie sogar in Eigeninitiative Masken genäht – aus den Tragetaschen von Stilbruch, freut sich der Chef und präsentiert ein buntes Modell aus dieser Reihe.

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden

Wegen der coronabedingten Schulschließungen musste Hottgenroth einen Teil seines Familienlebens in die Firma verlegen: Sein zehnjähriger Sohn erledigte die Hausaufgaben zuletzt häufiger im Büro in der Filiale in Wandsbek. Zwischen einer alten Standuhr, einer Vitrine und etlichen weiteren Dingen mit Geschichte und Charme, breitete er dort die Hefte aus und spazierte auch immer wieder durchs Geschäft. Denn er habe die Leidenschaft seines Vaters für Modernes von gestern geerbt, so Hottgenroth: „Auch mein Sohn liebt Stilbruch.“