Hamburg. Otto-Group stellt Bilanz eines “sehr erfolgreichen Geschäftsjahrs“ vor. Eigentümerfamilie geht ungewöhnlichen Schritt.

Links steht Otto-Group-Chef Alexander Birken, in der Mitte Finanzchefin Petra Scharner-Wolff und rechts Kommunikationsdirektor Thomas Voigt. Im Hintergrund sieht man eine blaue Wand. Der Hamburger Handelskonzern hat zur Vorlage seiner Jahresbilanz geladen. Doch die drei Protagonisten gibt es diesmal nicht zum Anfassen, sondern nur via Videochat.

Es sind eben Corona-Zeiten. Und wegen des weiterhin bestehenden Infektionsrisikos hat das Hamburger Unternehmen darauf verzichtet, Medienvertreter vor Ort nach Bramfeld einzuladen. Mehr als zwei Dutzend Journalisten sind nun über Smartphone oder Laptop zugeschaltet, bekommen die bereits bekannten, durchaus guten Jahreszahlen des Gesamtkonzerns und seiner Einzelgesellschaften präsentiert, bevor Petra Scharner-Wolff ein Thema offensiv anspricht, zu dem sich die Hamburger in der Vergangenheit nur sehr verhalten geäußert hatten.

Otto spricht mit "mehreren Interessenten" über Hermes

Es geht um den konzerneigenen Paketzusteller Hermes. Schon länger ist bekannt, dass die Otto Group einen Partner für das Unternehmen mit seinen 15.500 Beschäftigten und 2,39 Milliarden Euro Umsatz sucht. „Wir planen noch im laufenden Geschäftsjahr 2020/21 eine konkrete Vereinbarung“, sagt die Finanzchefin nun überraschend offen.

Es würden Gespräche mit „mehreren Interessenten“ geführt. Sogar ein Mehrheitsverkauf von Hermes sei denkbar, so Scharner-Wolff. Die Managerin stellt zugleich klar, dass die Otto Group auch nach dem Teilverkauf weiter „Einfluss auf die Geschäftspolitik bei Hermes“ nehmen wolle. Die Namen der Interessenten gibt Scharner-Wolff an diesem Mittwochmittag nicht preis.

Spekulationen über prominente Hermes-Interessenten

In den vergangenen Monaten wurde häufiger über einen Einstieg des chinesischen Onlinehändlers Alibaba oder des US-Logistikunternehmens Fedex bei Hermes spekuliert. Scharner-Wolff macht deutlich, dass die Otto Group auch nach einem Verkauf von Hermes-Anteilen darauf hinwirken wolle, die Qualität des Paketzustellers zu erhalten und dessen technische Innovationen voranzutreiben. In Deutschland schreibt Hermes aktuell Verluste, insgesamt ist das Unternehmen nach Angaben der Otto Group aber profitabel.

Gerade in den vergangenen Wochen hatten die Fahrer der Hermes-Fahrzeuge überdurchschnittlich viel zu tun. Otto-Chef Birken vergleicht das Paketaufkommen in Corona-Zeiten mit dem Weihnachtsgeschäft. Aber auch er möchte während des Telefonats mit dem Abendblatt im Anschluss an die Bilanzvorlage keine Namen der Hermes-Interessenten nennen. Es wäre „ein schlechter Beginn für eine Partnerschaft“, wenn diese schon während der Verhandlungen kommuniziert würden, sagt er. Birken stellt klar, dass Hermes weiter „eine Fokusgesellschaft“ für die Otto Group bleiben werde und nennt die Wahrscheinlichkeit, dass der Vertrag noch im Geschäftsjahr 2020/21 (Ende Februar) zustande kommt, „außerordentlich hoch“.

Otto blickt auf ein "sehr erfolgreiches Geschäftsjahr" zurück

Im Rückblick spricht er über ein „insgesamt sehr erfolgreiches Geschäftsjahr 2019/20“ für den Konzern. Der weltweite Umsatz legte um 4,8 Prozent auf 14,3 Milliarden Euro zu, allein im E-Commerce erreichten die Erlöse 8,1 Milliarden Euro (plus 6,2 Prozent). Der Jahresüberschuss stieg sogar um mehr als 20 Prozent auf 214 Millionen Euro.

Schaut Birken nach vorne, so wird er zumindest bei der Gewinnprognose vorsichtig: „Die Corona-Pandemie wird unser Ergebnis beeinflussen, wenn auch weniger stark als die Ergebnisse der rein stationären Händler.“ Eine konkrete Voraussage für den Gewinn traut er sich nicht zu. Beim Umsatz halte er es aber für möglich, dass der Konzern wieder ein Plus zwischen vier und fünf Prozent wie im Vorjahr erziele.

Familie Otto verzichtet auf Gewinnausschüttungen

Vor allem die Margen bei Textilien bereiten Birken Sorgen. Die Lager sind voll mit Kleidern, Hosen, T-Shirts, Jacken und Pullis. Denn der Textilverkauf hat in Corona-Zeiten gelitten, während bei Otto zum Beispiel Elektronikartikel für das Homeoffice in den vergangenen Monaten besonders stark nachgefragt wurden. „Die Kunden können bei Textilien nun mit hohen Rabatten rechnen“, prognostiziert Birken. Gut für die Konsumenten, schlecht für die Gewinnrechnung der Händler und Produzenten.

Birken blickt „respektvoll optimistisch“ nach vorne und weiß bei seiner Strategie die Eigentümerfamilie Otto an seiner Seite, die in Corona-Zeiten einen ungewöhnlichen Schritt geht: Sie verzichtet bis auf weiteres auf Gewinnausschüttungen. Die Familie habe sich dazu entschieden, sagt Birken, damit das Unternehmen weiter kräftig investieren könne. Zudem wappne man sich so für alle Risiken, die im Zuge der Corona-Krise auf den Konzern zukommen könnten. Im Frühjahr 2019 waren noch 74 Millionen Euro an die Familieneigentümer und die Stiftung ausgeschüttet worden.

96 Prozent der Otto-Textilien werden nachhaltig produziert

Birken verfolgt bei seiner Strategie nicht nur quantitatives Wachstum – bis zum Geschäftsjahr 2022/23 soll der Umsatz auf 17 Milliarden Euro steigen. Er betont zudem, dass das Unternehmen seine ethischen, ökologischen Grundsätze keinesfalls dem ökonomischen Erfolg unterordnen wolle. So verweist der Konzernchef unter anderem auf die Tatsache, dass schon 96 Prozent der Textilien (Eigen- und Lizenzmarken) nachhaltig produziert würden und das Unternehmen bereits 51 Prozent weniger CO verursacht als im Referenzjahr 2006.

Und am Ende des Telefonats findet Birken beruhigende Worte in unruhigen Zeiten für die insgesamt fast 52.000 Beschäftigten. Zwar gebe es aktuell wegen der Corona-Krise einen Einstellungsstopp. Doch der Vorstandsvorsitzende macht klar: „Wir haben nicht vor, Arbeitsplätze abzubauen.“