Hamburg. Veranstalter versuchen, Rückzahlung der Kosten an Kunden zu verhindern. Wahrscheinlich muss Staat helfen. Viele Hamburger betroffen.
Wolfgang Junker und seine Frau Gudrun haben schon viel von der Welt gesehen. In der Wohnung des Rentnerehepaars in Hamburgs Süden hängen viele Fotos vergangener Urlaubsfreuden: Die Brücke des 25. Aprils über den Tejo in Lissabon, die Ruinen von Knossos auf Kreta und den Tafelberg im südafrikanischen Kapstadt sieht man da, aber auch Strände auf Mauritius oder Sansibar. Gern hätten die Junkers nun noch Fotos von Rom dazugehängt, aber daraus wird vorerst nichts: Die Reederei Hapag-Lloyd Cruises hat die gebuchte Mittelmeer-Kreuzfahrt auf der „Europa 2“ von Monte Carlo nach Civitaveccia, Roms nächstgelegenem Hafen, wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
„Das ist zwar bedauerlich, aber verständlich“, findet Junker. „Die Reise hätte am 28. März stattfinden sollen, also als Italien fest im Griff der Infektionswelle war.“ Allerdings fehlt Junker das Verständnis dafür, dass er die Kosten für die abgesagte Reise lange nicht erstattet bekommen hat. Es geht immerhin um 14.100 Euro, die er im Februar überwiesen hat – die „Europa 2“ ist ein Fünf-Sterne-Luxusschiff.
Hapag-Lloyd Cruises spielte offenbar auf Zeit
Hapag-Lloyd Cruises spielte offenbar auf Zeit. Auf seine erste Anfrage bei der Hamburger Kreuzfahrtreederei erhielt Junker noch ein langes Schreiben vom Geschäftsführer von Hapag-Lloyd Cruises, Karl J. Poyer. Darin warb er um Verständnis. Da alle Schiffsreisen abgesagt sind, mache das Unternehmen keinen Umsatz, bei laufenden Kosten. Man müsse auch an die Existenzsicherung des Unternehmens und seiner Mitarbeiter denken. Deshalb bitte er die Kunden um Unterstützung: „Schenken Sie uns weiterhin Ihr Vertrauen und ersetzen Sie Ihre entfallene Reise durch eine neue.“
Das will Junker aber nicht: „Wer weiß, wann die überhaupt stattfinden kann? Wir sind beide 75 Jahre alt und nicht mehr ganz gesund. Wir möchten deshalb unser Geld zurückhaben“, sagt er. Praktisch wöchentlich schreibt er an Hapag-Lloyd Cruises. Antworten erhält er nicht mehr. „Das finde ich unmöglich“, schimpft er.
Telefone der Verbraucherzentrale Hamburg klingeln ständig
Zwischenzeitig hat er sich an die Rechtsberatung der Verbraucherzentrale gewandt. Dort erfährt Junker, dass es vielen Hamburgern ähnlich geht. „Die Telefone klingeln praktisch ständig“, sagt Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Am anderen Ende sind Hamburger, die auf die Erstattung ihrer entfallenen Pauschal- oder Flugreisen warten. Aber sie werden von den Reiseveranstaltern hingehalten.“ Die Veranstalter hofften nämlich durch die Verzögerungstaktik darauf, dass sie um die Zurückzahlung der Beträge herumkommen – sei es durch Gutscheine oder durch die direkte Vermittlung neuer Reisen. „Dabei gibt es aber einen klaren Rechtsanspruch der Kunden“, so Rehberg: „Innerhalb von zwei Wochen muss die Reise bezahlt werden. Aber die Reiseveranstalter spielen auf Zeit. Sie warten auf Unterstützung durch die Politik.“
Die Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang für die Verbraucher keine Hilfe. Weil die Reisebranche wirtschaftlich wichtig ist und viele Menschen beschäftigt, hat sich Berlin bisher für eine Gutscheinlösung eingesetzt. Das würde bedeuten, dass die Kunden kein Geld zurückerhalten, sondern eine neue Reise bekämen.
Forderung der Reiseunternehmer
Die Allianz selbstständiger Reiseunternehmer fordert dies: „Der Umsatzausfall bei den deutschen Reiseveranstaltern und Reisebüros summiert sich nach unseren Hochrechnungen, deren Ergebnis sich mit denen des Deutschen Reiseverbandes (DRV) decken, alleine für die bisher abgesagten Reisen von Mitte März bis Ende April auf mehr als 4,8 Milliarden Euro.“ Hinzu kämen bereits erhaltene Anzahlungen für Reisen ab Mai bis zum Teil schon ins Jahr 2021 oder bei Kreuzfahrten sogar für 2022 – diese liegen bei noch einmal mindestens fünf Milliarden Euro.
„Insgesamt stehen also knapp zehn Milliarden Euro Kundengelder aktuell im Risiko“, heißt es in einem Schreiben des Verbands an die Mitglieder des Bundestags. Deshalb sei die Gutscheinlösung notwendig. Und zwar verpflichtend, nicht freiwillig, sodass der Kunde auswählen kann, ob er einen Gutschein oder das Geld zurückhaben möchte. Denn im optimistischen Fall seien nur 20 Prozent der Kunden zur freiwilligen Gutscheinlösung bereit. Junker ist es beispielsweise nicht: „Ich will keine neue Kreuzfahrt bei Hapag-Lloyd.“
EU sieht die Verbraucher im Recht
Die EU sieht die Verbraucher im Recht und hat die Gutscheinlösung in dieser Woche gestoppt. In einem Schreiben von Justizkommissar Didier Reynders an mehrere Bundesminister heißt es, ihm sei bewusst, dass die Reisebranche dringend Unterstützung benötige: „Doch muss gleichzeitig der Verbraucherschutz gewahrt werden, zumal die Krise auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher trifft. Des Weiteren halte ich es für wichtig, dass die Reise- und Tourismusbranche ihre Erholung auf Vertrauen aufbaut.“ Nach EU-Recht müssen Pauschalreisen sowie Flugtickets weiterhin zeitnah erstattet werden.
„Dieses Recht gilt auch bei uns“, sagt Andreas Baatz, Experte für Reiserecht bei der Hamburger Kanzlei EHB Rechtsanwälte. „Wir haben derzeit massenhaft Fälle, bei denen Reiseveranstalter ihre Kunden hinhalten. Vor mir auf dem Tisch liegt sogar die Klage eines Mandanten, der 18.000 Euro für eine abgesagte Australienreise bezahlt hat.“ Baatz rät Betroffenen der Verzögerungstaktik, ihren Reiseveranstaltern schriftlich eine klare Rückzahlungsfrist zu setzen. Verstreicht diese ohne Erfolg, könne man einen Anwalt einschalten. Dieser könnte dann seine Kosten als Verzugskosten ebenso dem Reiseveranstalter auferlegen. Bei einer Reise von 14.000 Euro seien das immerhin schon 1000 Euro zusätzlich. „Das überlegen sich die meisten Reiseveranstalter zweimal.“ Sollten sie dann aber immer noch nicht bezahlen, müsste der Mandant Mahn- und Klageverfahren anstrengen. Dann kämen allerdings erhebliche Gerichtskosten auf ihn zu. „Geht es also um eine Mallorca-Reise für unter 1000 Euro, sollte man sich das genau überlegen“, sagt Baatz.
Lesen Sie auch:
Nachdem die Gutschein-Lösung erst einmal vom Tisch ist, geht der Anwalt davon aus, dass die Reiseveranstalter darauf warten, dass die Bundesregierung ihnen unter die Arme greift, um ihnen die Liquidität zu sichern. Und darauf könnte es auch hinauslaufen. So hat der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß, die Einrichtung eines Fonds vorgeschlagen, der die Rückerstattungen an die Kunden übernimmt. Der Staat könnte diesen Fonds zunächst auffüllen, und die Reiseveranstalter könnten das Geld dann peu à peu zurückzahlen. Auch die SPD schlägt einen staatlich finanzierten Fonds vor, aus dem die Reisegelder zurückerstattet werden.
Wolfgang Junker benötigt diesen Fonds nicht mehr. Für ihn hat sich die Beharrlichkeit ausgezahlt. Nach sechs Wochen hat Hapag-Lloyd Cruises ihm die 14.100 Euro kurz vor Erscheinen dieses Artikels überwiesen. Ohne Anschreiben, ohne Kommentar. Hauptsache Geld zurück – das würden sich wohl viele betroffene Kunden in Deutschland und Hamburg wünschen.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden