Hamburg. Firmen gegen ungewollte Betriebsschließungen versichert, doch jetzt sollen sie mit geringen Beträgen abgespeist werden.
Bis zu 1500 Gäste bewirtete Christoph Stern mit seinen 58 Mitarbeitern in normalen Zeiten im Schweinske im Hauptbahnhof pro Tag. Vor neun Jahren hat er als Franchisenehmer das Restaurant mit 220 Plätzen und 58 Mitarbeitern übernommen. Franchisenehmer sind selbstständige Unternehmer, die sich einer Marke angeschlossen haben.
„Sie sind in dieser Krise mit ihren Familien ebenso existenziell betroffen wie der Grieche oder der Italiener um die Ecke“, sagt Klaus Rösler, Geschäftsführer der Schweinske Franchise GmbH. Denn seit mehr als einen Monat macht Stern wegen des Coronavirus keinen Euro Umsatz mehr.
Restaurants sorgen mit Versicherungen vor
Für den Fall, dass eine Behörde wegen Infektionsgefahr ein Restaurant oder Hotel schließen lässt, sorgen viele Gastgeber vor. Denn am Markt gibt es bereits seit längerer Zeit Policen für Betriebe, die infolge von Infektionsgefahr schließen müssen. „Hierbei handelt es sich um Betriebsunterbrechungs- oder Praxisausfallversicherungen“, sagt Björn Thorben Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke Reichow.
Wichtig für die aktuelle Lage sei aber, dass die Betriebsunterbrechungsversicherung eine Deckungserweiterung wegen Schließungen wegen des Infektionsschutzgesetzes beinhalte. Für die Versicherer wäre die Leistungspflicht jetzt ein sehr teurer Schadensfall von mehreren Hundert Millionen Euro. Manche Versicherer hatten noch Anfang des Jahres damit geworben, dass auch coronabedingte Schließungen mit einer solchen Police abgedeckt seien.
Zehntausende Schadensmeldungen gehen bei den Versicherern ein
Doch jetzt, wo Zehntausende Schadensmeldungen bei den Versicherern eingehen, blocken die Assekuranzen ab. „Nach meiner Kenntnis lehnt die Mehrzahl der Versicherer die Leistung ab oder bietet nur eine minimale Entschädigung an“, sagt Ulrike von Albedyll, Geschäftsführerin der Dehoga Hamburg. Das hat auch Gastronom Stern erfahren. Er hat darauf vertraut, dass seine Versicherung, die Allianz, zahlt, wenn die Schließung des Restaurants behördlich angeordnet wird. „Eigentlich müsste ich für einen Zeitraum von 30 Tagen meinen Umsatz abzüglich des Wareneinsatzes von der Versicherung erstattet bekommen“, sagt Stern.
„Das wären in meinem Fall rund 141.000 Euro.“ Das lehnte die Allianz ab. Inzwischen hat der Gastronom bereits einen umfangreichen Schriftverkehr mit der Versicherung, aber noch kein Geld, um die laufenden Kosten zu bestreiten. Aus eigenen Mitteln kann er das nicht. „Ich weiß, dass viele Kollegen aus der Branche ähnliche Probleme mit ihren Versicherungen haben und sich bereits juristisch beraten lassen“, sagt Stern.
Knackpunkt ist die konkrete behördliche Anordnung
Das bestätigt Anwalt Jöhnke, dessen Kanzlei rund 70 Fälle in dieser Sache betreut. „Die meisten Versicherer sagen, dass eine coronabedingte Schließung nicht versichert sei“, sagt Jöhnke. Viele Ablehnungen hat er von Versicherern wie Helvetia, Axa und R+V auf dem Tisch und auch von der Hamburger Signal Iduna. Mehrere Tausend Betriebe haben eine Betriebsschließungsversicherung bei dieser Gesellschaft abgeschlossen.
„Wir leisten bei der Schließung einzelner Betriebe aufgrund des Coronavirus, wenn diese durch behördliche Anordnung geschlossen werden“, sagt Claus Rehse von der Signal Iduna. Es werde jeder Einzelfall genau geprüft. Der Knackpunkt ist die konkrete behördliche Anordnung, und die gibt es nur, wenn der Betrieb geschlossen wird, weil etwa ein Mitarbeiter infiziert ist, sei es an Corona oder einer anderen ansteckenden Krankheit.
Allianz lehnt viele Schadensmeldungen wegen Corona ab
„Beispiele dafür sind der Salmonellenbefall in der Eisdiele, eine Norovirus-Erkrankung bei Hotelangestellten oder Coli-Bakterien in der Metzgerei“, sagt Kathrin Jarosch vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Zahlungen wegen einer rein von der Behörde angeordneten präventiven Schließung der Betriebe, um Sozialkontakte zum Wohle der allgemeinen Sicherheit zu minimieren, fallen nach Einschätzung der Versicherer nicht unter die Betriebsschließungsversicherung.
Mit dieser Begründung lehnt auch die Allianz viele Schadensmeldungen wegen Corona im Rahmen der Betriebsschließungsversicherungen ab. „Covid-19 ist ein neuer Krankheitserreger, der nicht unter die versicherten meldepflichtigen Krankheiten der Betriebsschließungsversicherung fällt“, sagt Christian Weishuber von der Allianz. Außerdem sei vielen Gastronomen die Abgabe und Lieferung von Speisen weiterhin gestattet. Von einer vollständigen Schließung könne nicht die Rede sein.
Gastronomen stecken in einem Überlebenskampf
„Ob die Argumente der Versicherungen rechtlich haltbar sind, ist eine Frage der Einzelfallprüfung“, sagt Jöhnke. So sehen Experten in der Lieferung von Speisen außer Haus nur die Pflicht des Versicherungsnehmers, den Schaden zu minimieren. Nach Jöhnkes Einschätzung geben die meisten Versicherungsbedingungen der Anbieter eine Leistungspflicht her. „Wenn die Leistungspflicht an das Infektionsschutzgesetz anknüpft, dann, so meine ich, wird der Versicherer leisten müssen, auch wenn das Wort Corona damals im Gesetz noch nicht stand“, sagt der Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski im Branchendienst „Versicherungsbote“.
Die Ablehnung der Versicherer trifft Gastronomen und Hoteliers in einem Überlebenskampf. Laut einer Dehoga-Umfrage droht jedem dritten Gastgeber die Pleite. Auf politischen Druck wurde in Bayern von Wirtschaftsverbänden und zunächst drei Versicherungen ein Kompromiss erarbeitet, der inzwischen bundesweit gilt und dem sich viele weitere Versicherer wie Allianz, Gothaer, Haftpflichtkasse, Nürnberger, Signal Iduna, Versicherungskammer Bayern, Zurich und HDI angeschlossen haben. Die Regelung sieht vor, dass die Betroffenen mit zehn bis 15 Prozent des in den Versicherungsbedingungen vereinbarten Tagessatzes von ihrem Versicherer entschädigt werden – für maximal 30 Tage. Allerdings erstreckt sich der reguläre Versicherungsschutz der Policen ohnehin nur über einen oder zwei Monate.
Stern würde sich gern einer Sammelklage anschließen
Auf dieser Basis hat auch Schweinske-Franchisenehmer Stern ein Angebot von der Allianz bekommen. „Es wurden mir lediglich 15 Prozent angeboten. Das sind in meinem Fall rund 21.000 Euro. Das ist natürlich nicht akzeptabel“, sagt Stern, der sich gern einer Sammelklage anschließen würde, denn die Argumente der Versicherung kann er nicht nachvollziehen. Inzwischen hat er bereits einen KfW-Schnellkredit in sechsstelliger Höhe beantragt. „Aber den muss ich natürlich auch zurückzahlen“, sagt Stern. In Harburg betreibt er mit einem Partner ein weiteres Schweinske-Restaurant. Auch für diesen Standort hat der Unternehmer eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen, bei der Signal Iduna.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden
Die hat ihm jetzt angeboten immerhin 25 Prozent des Umsatzausfalls zu übernehmen. „Die meisten werden wahrscheinlich die Angebote der Versicherer annehmen“ erwartet Anwalt Jöhnke. Die Versicherer wissen, dass die meisten Gastronomen kein Geld mehr für einen jahrelangen Rechtsstreit haben. Außerdem werden auf das Kompromissangebot keine Kurzarbeitergeldzahlungen angerechnet. Fließt die volle Leistung aus der Versicherung, müsste das Kurzarbeitergeld der Arbeitsagentur wieder zurückgezahlt werden.