Hamburg. In einem Schreiben stimmt der Konzernchef die Mitarbeiter auf schwere Zeiten ein: Man müsse „alle Optionen“ in Betracht ziehen.

Dass die Luftfahrtindus­trie eine Wachstumsbranche ist, erschien als Leitsatz fast so verlässlich wie ein Naturgesetz – bis das Coronavirus kam. Zwar gab es immer wieder einmal kurze, heftige Abschwünge, etwa nach dem 11. September 2001 oder in der Finanzkrise 2008/2009. Aber nie drohten sie die weltweite Erfolgsgeschichte des Luftverkehrs für längere Zeit zu gefährden. Die Töne, die Airbus-Chef Guillaume Faury jetzt in seinem dritten internen Brief an die Beschäftigten des Konzerns seit dem Ausbruch der Pandemie anschlägt, machen sehr deutlich, dass Faury genau dies für möglich hält. „Dies ist eine globale Krise in einem Ausmaß, wie es unsere Generation noch nie erlebt hat“, heißt es in dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt. Es gehe ihm darum, so der Chef des Flugzeugbauers, die Mitarbeiter auf „die neue Realität unseres Geschäftsumfeldes“ vorzubereiten.

Vor etwa zwei Wochen hatte der Airbus-Vorstand beschlossen, die Produktion drastisch zu verringern. So wird die monatliche Fertigungsrate bei der für den Standort Hamburg besonders wichtigen A320-Familie der Kurz- und Mittelstreckenjets von bisher konzernweit 60 auf 40 Maschinen heruntergefahren. Eine derart kräftige Produktionskürzung ist für Airbus ohne Beispiel; lediglich 2008/2009 reduzierte man die Rate geringfügig von 36 auf 34 Flieger, ansonsten ging es niemals abwärts.

Airbus hat in Coronakrise fast ein Drittel des Geschäfts verloren

„Wir haben über Nacht fast ein Drittel unseres Geschäfts verloren“, schreibt Faury über die aktuelle Kürzung. Um die Beschäftigung daran anzupassen, habe man nun begonnen, „in verschiedenen Ländern die neuen staatlichen Regelungen für Kurzarbeit anzuwenden“. In den Werken in Deutschland werden derzeit die individuellen Zeitkonten abgebaut, um anschließend das Kurzarbeitergeld für die jeweiligen Mitarbeiter beantragen zu können.

„Möglicherweise müssen wir jetzt jedoch noch weitreichendere Maßnahmen vorbereiten“, so Faury: „Wir erleben einen der größten wirtschaftlichen Schocks in der Geschichte und müssen daher alle Optionen in Betracht ziehen.“ In seinem Brief an die Beschäftigten nennt er das Instrument des Arbeitsplatzabbaus zwar nicht ausdrücklich. Dieser könne aber nicht ausgeschlossen werden, sagte ein Firmensprecher auf Abendblatt-Anfrage.

Kritik von IG Metall Küste

Daniel Friedrich, Bezirksleiter IG Metall Küste, wandte sich gegen solche Andeutungen. „Jetzt über Stellenabbau zu spekulieren, bringt nur Verunsicherung“, so Friedrich. „Wir erwarten, dass das Unternehmen gemeinsam mit Betriebsräten und IG Metall über die weitere Entwicklung spricht. Klar muss sein, dass betriebsbedingte Kündigungen weiterhin ausgeschlossen sind.“

Dies ist in dem für Deutschland geltenden „Zukunftstarifvertrag“ festgeschrieben, der noch bis Ende 2020 läuft und über dessen Neufassung oder Verlängerung vom Sommer an verhandelt werden soll. Der Vertrag ist seinerseits ein Nachfolger der „SiduFlex“-Vereinbarung („Sicherheit durch Flexibilität“), mit der die Geschäftsführung von Airbus Deutschland und die Arbeitnehmervertreter auf die Branchenkrise 2001/2002 reagierten. Unter anderem wurde damals ein System von Arbeitszeitkonten beschlossen, mit dem sich temporäre Beschäftigungsschwankungen von bis zu 30 Prozent ausgleichen lassen.

Ausmaß der Coronakrise ist noch nicht klar

Nach Auffassung des Gewerkschaftlers Daniel Friedrich muss erst mehr Klarheit darüber herrschen, wie nachhaltig der Flugzeugbauer durch die Coronakrise betroffen ist, bevor über „weitreichendere Maßnahmen“ gesprochen werden kann: „Die kurzfristigen Auswirkungen für die Luftfahrtbranche sind drastisch, was das mittel- und langfristig für die Produktion bei Airbus und Zulieferern bedeutet, ist offen.“

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Auch Faury räumte ein, die Antwort auf die wesentliche Frage noch nicht zu kennen: „Wird es eine kurze und tiefe Krise mit einer schnellen Erholung sein? Oder wird es länger dauern und schmerzhafter sein, wenn die ursprüngliche Nachfrage erst in fünf oder zehn Jahren wieder erreicht wird?“ Bis eine „gründlichere Bewertung der nächsten Schritte“ erfolgt sei, bleibe die bisherige Planung bestehen: „Das bedeutet wahrscheinlich einen Zeitraum zwischen zwei und drei Monaten.“

Gefährliche Einnahmeausfälle

Allerdings führe die prekäre Lage der Airbus-Kunden bei dem Herstellerkonzern schon jetzt zu gefährlichen Einnahmeausfällen, erklärte Faury: „Viele Fluggesellschaften auf der ganzen Welt kämpfen ernsthaft um ihr Überleben und können deswegen unsere Flugzeuge weder kurzfristig noch auf absehbare Zeit abnehmen.“ Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte kürzlich in einer Videobotschaft an die Mitarbeiter deutlich gemacht, was der Stillstand fast der gesamten Flotte für die Airline bedeutet: Sie verliere jede Stunde eine Million Euro ihrer Liquiditätsreserve – „Tag und Nacht, Woche für Woche und wohl auch noch Monat für Monat“, sagte Spohr.

Auch Airbus muss wegen der ausbleibenden Kaufpreiszahlungen nun sparen und hat daher bereits Investitionen gestoppt, wobei der Standort Hamburg bisher vergleichsweise glimpflich davonkommt: Während der Plan, auch in Toulouse eine Fertigungslinie für das zuletzt immer gefragtere Modell A321 einzurichten (das Abendblatt berichtete), auf Eis gelegt wurde, bleiben die Vorbereitungen für den Bau der Langstreckenvariante A321XLR, für die seit ihrer Ankündigung vor einem Dreivierteljahr schon 450 Bestellungen hereinkamen, von den Sparmaßnahmen unberührt.

Appell an den Zusammenhalt der Airbus-Mitarbeiter

Mit einem eindringlichen Appell an den Zusammenhalt der Airbus-Mitarbeiter in seinem Schreiben reagiert Faury offenbar darauf, dass in Ländern wie Frankreich und Spanien manche Beschäftigte in den vergangenen Wochen nicht zur Arbeit erschienen sind, obwohl dies möglich gewesen wäre: „Und bitte geben Sie auch Ihr Bestes, um unsere Geschäftskontinuität zu sichern.“

Für jeden bleibe es die oberste Priorität, alle Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten, die dazu beitragen, die Übertragung des Virus in der Arbeit und zu Hause zu verhindern. Denn schließlich gelte, so Faury: „Wir, Airbus, brauchen einander – das ist jeder Einzelne von Ihnen – mehr denn je.“

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden