Hamburg. Der Händler repariert Pkw nicht mehr auf Rechnung. Was zur Pleite führte, wann Käufer Geld verlieren können und wie es weitergeht.
„Wir sind weiterhin für Sie da!“ Mit dieser Zeile über einem Gruppenfoto der Beschäftigten wendet sich das Hamburger Autohaus Wichert, das am Dienstag Insolvenz anmelden musste, an die Kunden. Sehr viele konkrete Informationen darüber, wie es jetzt weitergeht, gibt das Unternehmen, mit 1350 Beschäftigten immerhin einer der größten Volkswagen-Händler Norddeutschlands, allerdings nicht – die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was bedeutet die Insolvenz für die Kunden von Wichert?
„Der Geschäftsbetrieb von Auto Wichert wird an allen 23 Standorten ohne Einschränkung fortgeführt“, sagt ein Firmensprecher. Für Kunden, die ihr Fahrzeug dort zur Reparatur gebracht oder ihre Winterreifen zur Einlagerung abgegeben haben, dürfte die Insolvenz keine Auswirkungen haben, da das Auto beziehungsweise die Reifen eindeutig weiter ihr Eigentum sind. Allerdings werden Autokäufer auf ihren Wagen etwas warten müssen. „Unter dem nunmehr geltenden Insolvenzrechtsregime müssen wir den gesamten Fahrzeugbestand noch einmal erfassen und die jeweilige Vertragslage dokumentieren“, sagt der Sprecher. In den nächsten Tagen könne man daher keine Fahrzeugauslieferungen vornehmen. Im Servicegeschäft sei die Bezahlung auf Rechnung aus rechtlichen Gründen leider nicht mehr möglich: „Wir müssen Sie daher bitten, bei Abholung des Fahrzeuges entweder in bar oder mit EC-Karte zu zahlen.“
In welchen Fällen besteht für Kunden ein Risiko, Geld zu verlieren?
„Grundsätzlich fällt jede Forderung gegen das Unternehmen, die vor dem Stichtag der gerichtlichen Anordnung der Eigenverwaltung datiert, in die Insolvenzmasse“, sagt Parsya Baschiri, Rechtsberater bei der Verbraucherzentrale Bremen. Das würde bedeuten: Wer vor dem Dienstag dieser Woche ein Auto bei Wichert zwar schon bezahlt oder angezahlt, es aber noch nicht erhalten hat, muss Verluste befürchten – er würde nach langer Wartezeit nur einen Teil des Geldes zurückbekommen. Besser sieht es für diejenigen Käufer aus, die zumindest bereits die Fahrzeugpapiere in der Hand halten. Dies betraf Gebrauchtwagenkäufer, als das Hamburger Autohaus Willy Tiedtke Insolvenz anmelden musste. „Die Papiere dienen als Eigentumsnachweis“, sagte Kerstin Föller, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg, damals. „Wenn jemand die Fahrzeugpapiere für das von ihm schon bezahlte Auto noch nicht erhalten hat, dann hat er Pech gehabt.“ Bei der Abwicklung von Garantie- oder Gewährleistungsfällen sollte es nach Angaben von Baschiri keine Probleme geben.
Wie geht es bei Wichert jetzt weiter?
Seit dem Dienstag sind für die operative Leitung des Unternehmens nicht mehr allein die drei bisherigen Geschäftsführer zuständig. Das Gericht hat ihnen die „sanierungserfahrenen Rechtsanwälte“ Gerrit Hölzle und Thorsten Bieg von der Kanzlei Görg zur Seite gestellt. Sie waren zuletzt nach eigenen Angaben unter anderem bei dem Hamburger Windenergieanlagenhersteller Senvion im Einsatz, aber auch bei den insolventen Autohäusern Willy Tiedtke (Hamburg) und Max Moritz (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen). „In den kommenden Wochen“ will die erweiterte Geschäftsleitung ein Konzept erarbeiten, um Auto Wichert „zukunftsfähig aufzustellen“. Im Mittelpunkt der Neuausrichtung stehe dabei die Suche nach Investoren.
Bekommen die Beschäftigten weiter ihre Gehälter?
Für die nächsten drei Monate seien die Löhne und Gehälter durch das Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit gesichert, teilt das Unternehmen mit. Laut der Arbeitsagentur liegt dieses Insolvenzgeld in der Regel auf dem Niveau des Nettoverdienstes.
Welche Ursache hatte die Insolvenz?
Von Auto Wichert selbst heißt es dazu lediglich, man sei zu dem Insolvenzantrag „aufgrund kurzfristig eingetretener und für uns nicht vorhersehbarer Ereignisse“ aus gesetzlichen Gründen gezwungen gewesen. Im Geschäftsbericht 2018, der im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, weist die Firma für 2018 einen Gewinn von 2,3 Millionen Euro bei einem Umsatz von 351 Millionen Euro aus. Für 2019 erwartete man einen Nettogewinn von 2,2 Millionen Euro bei rund 455 Millionen Euro Umsatz. Die deutliche Steigerung der Erlöse resultiert aus der Übernahme von mehreren Willy-Tiedtke-Standorten im Januar 2019.
Im Geschäftsbericht 2018 weist Wichert jedoch auf eine Reihe von Belastungen und Risikofaktoren hin. So wirke sich die „Dieselproblematik“ in „drastisch gesunkenen Wiederverkaufswerten von gebrauchten Dieselkraftfahrzeugen“ aus. Damit ergebe sich ein „Vermarktungsrisiko aus der Fahrzeugrücknahme bei Auslauf von Leasingverträgen mit Kunden“. Wichert verkaufte im Jahr 2018 gut 17.900 Autos, davon mehr als 8700 Gebrauchtwagen, so der Bericht.
„Die aktuellen Absatzzahlen sind zufriedenstellend“, teilte die Geschäftsführung am Mittwoch mit: „Wir konnten den jährlichen Absatz von 2018 auf 2019 noch mal steigern. Auch im Service sind unsere Auftragsbücher gut gefüllt.“ Laut der Prognose im Geschäftsbericht 2018 ist aber generell das „Nachlassverhalten“ der Händler gestiegen, was zu einer Ertragsminderung im Neuwagenverkauf führe. Und wegen der von VW auferlegten Preisgestaltung im Servicegeschäft werde Wichert in diesem Bereich „zukünftig auch nach kostensenkenden Maßnahmen keine evidenten Gewinne mehr erwirtschaften.“
Warum nehmen die Herausforderungen für die Kfz-Händler zu?
„Der Kampf um die Kunden wird härter“, sagt Ansgar Klein, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands freier Kfz-Händler (BVfK). Wie es in einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company aus dem Jahr 2019 heißt, können sich in Deutschland bereits 42 Prozent der Kunden vorstellen, ihr nächstes Fahrzeug online zu erwerben – mit steigender Tendenz. Dadurch gehe der Neuwagenverkauf im Autohaus zurück. Doch auch die Hersteller tragen nach den Worten von Klein dazu bei, dass der Druck auf die Kfz-Händler zunimmt: „Man lässt den Vertragshändlern zu wenig vom Verkaufspreis übrig.“
Gerade die VW-Händler haben nach Angaben von Klein vielfältig zu leiden: „Normalerweise rettet der lukrative Werkstattbereich das defizitäre Handelsgeschäft. Aber die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen, die praktisch kein Geld bringt, blockiert ertragreichere Service-Aufträge.“ Nach Einschätzung der Experten von Bain ist im Servicebereich auch für die nächsten Jahre wegen des Wandels zur Elektromobilität keine Besserung absehbar: „Reine Batterieautos müssen deutlich seltener gewartet werden, da weniger bewegliche Teile auch weniger Verschleiß bedeuten. Darunter leidet jedoch das Servicegeschäft der Autohäuser.“
Viele Standorte und Werkstätten könnten daher nicht mehr rentabel arbeiten, insbesondere in teuren Innenstadtlagen. Ohnehin werde das „klassische, städtische Full-Service-Autohaus mit großer Fläche und hohem Personalbedarf“ einem Mix aus effizienteren Standorten weichen müssen. Und so stellen sich die Unternehmensberater die Zukunft des Autohandels vor: „Neben Marken-Stores in bester Innenstadtlage entstehen kurzfristige Pop-up-Stores, Testfahrtcenter oder hoch spezialisierte Servicefabriken am Stadtrand.“