Berlin. Trotz des Dieselfahrverbots in Hamburg und anderen Städten: SCR-Katalysatoren sind kaum gefragt. Dabei ist das Angebot groß.
Im Kampf gegen Dieselfahrverbote wegen dicker Luft in deutschen Großstädten sollten Hardware- Nachrüstungen den Durchbruch bringen. Darauf einigten sich Bund und Hersteller nach langer Debatte bei einem Dieselgipfel 2017. Während zehn Städte ältere Dieselautos bereits ausgesperrt haben oder dies kurz bevorsteht, blieb es um die lang ersehnte Technik still. Erst seit Sommer 2019 sind Systeme von den deutschen Herstellern Dr. Pley und Twintec Baumot auf dem Markt und vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zugelassen.
Doch trotz Dieselfahrverboten etwa in Berlin, Gelsenkirchen, Hamburg oder Stuttgart: Die Nachfrage nach dem Einbau des nötigen SCR-Katalysators ist bundesweit mehr als verhalten – obwohl zumindest VW und Daimler Kosten von bis zu 3000 Euro auf Antrag erstatten.
Die nüchterne Bilanz: Bundesweit sind erst einige Hundert Dieselautos nachgerüstet worden. Martin Pley, Chef des Technikentwicklers Dr. Pley, spricht von 350 Fahrzeugen. In der Regel handele es sich um Mercedes-Pkw aus der Region Stuttgart. Dort dürfen ältere Diesel seit vergangenem Jahr nicht mehr ins Stadtgebiet und es drohen vergleichsweise hohe Strafen.
5,2 Millionen Diesel-Fahrzeuge in Deutschland betroffen
Dabei sind auf deutschen Straßen nach jüngsten KBA-Zahlen noch rund 5,2 Millionen Diesel mit der Abgasnorm Euro 5 unterwegs. Das SCR-System, das Harnstoff (Adblue) in den Abgasstrom einspritzt, soll die potenziell gesundheitsschädlichen Stickoxide unter den Grenzwert von 270 Milligramm pro Kilometer reduzieren. Der Umbau wird im Fahrzeugschein eingetragen. Damit haben die Besitzer wieder überall freie Fahrt.
Die Hersteller der Nachrüst-Systeme garantieren eine Lebensdauer von bis zu fünf Jahren oder 100.000 Kilometern. Bei Bedarf könne die monatliche Produktion schnell auf bis zu 45.000 Systeme gesteigert werden, sagt Pley.
Nachrüst-Systeme gibt es für die gängigsten Dieselmodelle
Inzwischen gibt es die SCR-Katalysatoren für eine breite Palette von Euro-5-Dieseln von BMW, Mercedes, Volvo und den Marken des VW-Konzerns. Zudem werde laut Pley an Lösungen für zwei langlebige Exoten gearbeitet, den Jeep Wrangler und den Landrover Defender.
Erst nach einer langen Debatte hatten die beiden deutschen Autohersteller Daimler und Volkswagen beim Dieselgipfel 2017 finanzielle Unterstützung für die Autobesitzer zugesagt. Sie zahlen für den Einbau des SCR-Katalysators bis zu 3000 Euro. BMW sperrte sich dagegen. Eigene Systeme wollten die Automarken nicht entwickeln, auch die jetzt zugelassenen Nachrüstungen sehen sie wegen der technischen Eingriffe kritisch.
Zuschuss nur in Regionen mit besonders dicker Luft – außer in Berlin
Obendrein profitieren von dem „Mobilitätszuschuss“ nur Diesel-Besitzer in 15 Schwerpunktregionen, wo Fahrverbote wegen besonders dicker Luft bereits bestehen oder drohen. Auf der Liste stehen unter anderem Bochum und Düsseldorf, Hamburg und Kiel sowie München und Stuttgart – die Hauptstadt Berlin gehört trotz Fahrverbot nicht dazu. So lautete die Einigung bei dem Dieselgipfel vor bald drei Jahren.
Doch anders als bei dem millionenfachen Rückruf im Zuge des Abgasskandals können die Hersteller nach Ansicht des Verkehrsministeriums bei der Hardware-Nachrüstung nicht zu einer Kostenübernahme gezwungen werden. Bei der Diskussion um Dieselfahrverbote und saubere Luft gehe es – anders als beim Abgasskandal – um Fahrzeuge, die rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind und über eine gültige Zulassung verfügen, betont das Haus von Minister Andreas Scheuer (CSU) auf Nachfrage.
In der Praxis stoßen Euro-5-Diesel jedoch bei Tests des Umweltbundesamtes durchschnittlich viermal mehr Stickoxide aus als erlaubt.
Berliner Rechtsanwalt will Kostenerstattung für alle einklagen
Die Berliner Kanzlei Gansel Rechtsanwälte, die im Dieselskandal über 30.000 Einzelkläger gegen VW vor Gericht vertritt, sieht die Sache mit der Kostenübernahme angesichts zunehmender Fahrverbote anders. Rechtsanwalt Timo Gansel will die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen der Marken Audi, BMW, Daimler und VW einklagen. Dazu werde er in acht bereits laufenden Prozessen vor Landgerichten und Oberlandesgerichten Zusatzanträge stellen, kündigt er an.
Bislang müssen Diesel-Besitzer bei Nachrüstungen das Geld vorstrecken, sagt Gansel. Und das Verfahren zur Erstattung sei kompliziert. Daimler mache bei der Auszahlung aber keine Probleme.
Bei VW ist dagegen kein einziger Antrag für eine Kostenerstattung eingegangen, teilt der Autohersteller unserer Redaktion mit. Es habe lediglich eine niedrige dreistellige Zahl an Voranfragen gegeben, ob Anträge unter bestimmten Voraussetzungen bewilligt werden würden.