Lübeck. Hasen und Eier: Beim Marzipanhersteller läuft die Produktion für die umsatzstarke Jahreszeit. Das Abendblatt schaute vorbei.

Weiße Kopfhaube, weißer Kittel, weiße Handschuhe, weißer Tisch. Marion Asses sitzt im zweiten Stock von Niederegger in der sogenannten Schminkstube und greift neben sich. Sie nimmt einen liegenden Marzipan-Hasen in die linke Hand und hält eine Art Pinsel in der rechten. „Das ist der Pieker“, sagt sie und tupft ihn kurz in eine mit Kakaomasse gefüllte Untertasse. „Damit mache ich die Augen.“ Sie verpasst dem Tier zwei schwarze Punkte. Dann stellt sie es in eine Reihe neben die anderen fertigen Hasen. Langsam füllt sich die Holzstiege.

In diesen Tagen läuft die Produktion bei dem Lübecker Traditionsunternehmen auf Hochtouren. Ostern ist die zweitwichtigste Jahreszeit für die 1806 gegründete Firma, die in achter Generation von den Schwestern Theresa Mehrens-Strait und Antonie Strait zusammen mit ihren Eltern geleitet wird.

„Weihnachten macht etwa 50 Prozent unseres Umsatzes aus, Ostern 30 Prozent“, sagte Firmensprecherin Kathrin Gaebel. Die Stammbelegschaft von 500 Mitarbeitern wird um etwa 250 Saisonarbeitskräfte aufgestockt. Von Mitte Januar bis Ende Februar wird für das Frühjahrsfest produziert. Abhängig davon, wie es im Jahr liegt – 2020 findet es am 12. April und damit relativ spät statt.

Australien gehört zu den Wachstumsmärkten

Wochen vorher müssen die Produkte allerdings schon in Supermärkten und Geschäften positioniert sein. Teilweise haben sie einen weiten Transportweg – bis auf die andere Seite der Erdkugel. In Australien erziele man gute Wachstumsraten, heißt es. Niederegger gibt es auch in Japan, Singapur, Hongkong, Südafrika, Namibia, Brasilien, USA und Kanada zu kaufen. In Europa gehören Großbritannien, Skandinavien und Russland zu den wichtigsten Ländern. Der Großteil wird aber in Deutschland abgesetzt: Es sind etwa 80 Prozent des Jahresumsatzes.

Die Grundlage für die meisten Produkte wird im Erdgeschoss hergestellt. In einem Nebenraum sitzen drei Mitarbeiter mit Ohrschutz. In einer lauten Maschine werden die meist aus Spanien stammenden Mandeln mit heißem Wasser abgebrüht und gegeneinander gerieben. Dadurch soll sich die Schale lösen. Allerdings gelingt das nicht immer, weil jede Mandel anders beschaffen ist. Daher gibt es zwei Kontrollstufen. Zunächst pustet ein Lasergerät mit einem Luftstoß ungeschälte Mandeln heraus. Dann greift der Mensch ein. Die drei Mitarbeiter streichen mit der Hand über die Mandeln und sortieren ungeschälte aus.

Marzipan besteht aus zwei Drittel Mandeln und ein Drittel Zucker

In einem Rohrsystem reist die Mandel anschließend weiter. Zunächst geht es in die Waschtrommel. Dort werden die letzten kleinen Stückchen Schale abgespült. Wieder geht es in ein Rohr, das durch die Wand aus dem Nebenraum in die Mandelküche führt – dem Herzstück der Produktion. Die Mandeln fliegen in einen Trichter und erhalten Gesellschaft. Zucker kommt hinzu. Nach dem vorgeschriebenem Mischungsverhältnis: zwei Drittel Mandeln, ein Drittel Zucker.

In Granitwalzen wird zunächst ein etwas gröberer Teppich aus den beiden Zutaten gemacht, dann ein etwas feinerer. Die Mandeln sollen nicht kaputtgemahlen werden, sondern noch leicht stückig bleiben, lautet das Firmencredo. Aus der zweiten Walze fließt das krümelige Mandel-Zucker-Gemisch in ein „Schiffchen“. So heißt intern der Metallbehälter. Kery Kauli drückt auf einen Knopf und lässt ihn in gut zwei Meter Höhe fahren. Unter der Decke hängt ein Schienensystem, an dem das Schiffchen eine Schleife fährt. Ein paar Meter weiter hält Kauli den Transport an, fährt das Schiffchen herunter und lässt den Inhalt in einen der 20 Röstkessel fallen.

Geröstet wird mindestens 30 Minuten lang

Diese teilweise 70 Jahre alten runden Maschinen werden von einer Gasflamme in der Mitte erhitzt und drehen sich. Der Mandel-Zucker-Mix wird geröstet – und der Geruch füllt die ganze Produktionshalle aus. Bei welcher Temperatur und wie lange, bleibt Betriebsgeheimnis. Verraten wird nur, dass es mindestens 30 Minuten sind. Und: „Es ist heiß genug, um sich zu verbrennen“, sagt Gaebel. Der Nebeneffekt: Der Raum wird durch das Erhitzen wohlig-warm.

Mit einem Pieker erhalten die Marzipanhasen ihre Augen aus Kakaomasse.
Mit einem Pieker erhalten die Marzipanhasen ihre Augen aus Kakaomasse. © Andreas Laible

Über die Dauer des Röstvorgangs entscheiden die Mitarbeiter anhand ihrer Erfahrung. Kauli rührt mit einem Spachtel in dem Mix. Die Marzipanmasse ist fertig, lautet sein Fazit. Er packt sie mit einer Schaufel in einen Wagen und fährt sie zum „Kühlschiff“. Dann kommt in die runde Maschine etwa eine Minute lang Trockeneis hinzu. Nebel steigt auf.

Die einst heiße Marzipanrohmasse ist nur noch lauwarm. Ein Rohr wird in die Trommel gefahren, der Mix fährt hoch auf ein Fließband. Eine Maschine schneidet ihn in etwa 15 Kilogramm schwere Blöcke und umhüllt sie mit rosafarbener Folie. Nun ruht das Rohmarzipan für mindestens eine Woche, damit sich die Aromen entfalten können.

Die Rohmasse bekommt noch ein „süßes Geheimnis“

Vor dem nächsten Verarbeitungsschritt geht es in die „Anwirkerei“. Dort wird es mit einem „süßen Geheimnis“ versehen, wie es in der Firmensprache heißt. Es sind die Stoffe, die das Nieder­egger-Marzipan von normalem Marzipan unterscheiden – und sie fallen unter die Stufe höchster Verschwiegenheit. Ähnlich wie beim sagenumwobenen Rezept für Coca-Cola kennen nur wenige Menschen den genauen Zutatenmix.

In einem benachbarten Raum geht die Produktion weiter. Ein Wagen mit Marzipanrohmasse plus „süßem Geheimnis“ wurde hochgefahren und der Inhalt in den Trichter einer Maschine gekippt. In ihrem Inneren dreht sich eine Walze, die Hohlräume für Dutzende Eier hat. Das Marzipan fällt hinein, wird gepresst und dann auf einem Fließband abgelegt. Alle paar Sekunden hört man eine Art Zischen. Es stammt von einem Kali­briergerät. Es sorgt dafür, dass die Eier nicht zu dick werden. Eine Mitarbeiterin kontrolliert per Auge nach und drückt zu runde Eier bei Bedarf in Form.

Rund 30 Tonnen Produkte werden pro Tag hergestellt

Etwa zwei Meter weiter werden die Eier schwarz. Von oben fließt flüssige Schokolade hinab, unten laufen die Eier durch ein Schokobad und werden durchgerüttelt, damit sich der Kakaoüberzug ordentlich verteilt. Im Anschluss fahren sie in einen Kühltunnel.

Damit eine ordentliche Schokoladenschicht drauf ist, erfolgen beide Schritte ein zweites Mal. Auf dem Fließband ist in Spiegelschrift der Name Niederegger eingestanzt, der später auf jedem Osterei zu zu sehen ist. Etwa 90 Minuten dauert es, bis die Ostereier fertig sind.

Am Ende einer benachbarten Fertigungsstraße laufen unterdessen Schokohasen aus dem zweiten Kühltunnel. „Hasen und Eier werden zu Ostern am meisten nachgefragt“, sagt Gaebel. Vier Mitarbeiter nehmen die Hasen herunter und packen sie in eine weiße Plastikkiste. An einem normalen Tag werden im Zweischichtsystem rund 30 Tonnen Produkte hergestellt.

Der Verkaufsschlager unter den rund 300 Produkten ist und bleibt der Klassiker, also die kleine Praline im Format eines Mini-Kastenbrotes. Um sich unabhängiger von der Saison zu machen, wurden in den vergangenen Jahren auch neue Artikel wie Eis oder Tee auf den Markt gebracht.

Obst wird per Airbrush-Pistole verziert

Wie viele Eier und Osterhasen produziert werden? Darüber gibt das hinsichtlich Zahlen verschwiegene Unternehmen ebenso wie zu Umsatz und Gewinn keine Auskunft. Man sei in einem eher stagnierenden Markt stabil bis leicht wachsend und zufrieden, heißt es. Die Schoko-Osterhasen werden später per Hand in eine Verpackungsmaschine gelegt, erhalten darin eine Folie und das Etikett. Am Ende des Fließbands werden die Schokohasen per Hand in einen Karton verpackt. Bei Niederegger ist vieles noch Handarbeit.

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Die Feinarbeit passiert in der Schminkstube im zweiten Stock. Corinna Koschnick hat sich dafür bewaffnet. Sie greift in ein Regal und zieht eine Stiege mit leicht gelben Marzipanäpfeln heraus. 24 Stunden nach ihrer ersten Schicht bekommen sie ihren zweiten „Anstrich“. Zunächst werden alle Äpfel umgedreht. Dann zückt Koschnick die Airbrush-Pistole und spritzt auch die Unterseite mit Lebensmittelfarbe gelb an. „Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich“, sagt sie. Später erhalten die Äpfel noch rötliche Streifen, um möglichst echt auszusehen.

Der Aufwand für die Früchte, die nur in den Cafés verkauft werden, ist hoch. Birnen erhalten nach ihrer gelben Grundfärbung leichte braune Stellen und einen Wurmstich, Aprikosen rötliche Wangen, Bananen braune und grüne Enden, Paprika und Maiskolben bekommen zuerst einen grünen Stiel und einen Tag später eine gelbe beziehungsweise rote Frucht verpasst.

Ab Mitte August geht das Weihnachtsgeschäft los

Auch die Hasen, denen Asses mit dem Pieker Kakaoaugen malt, erhielten zuvor ihren Teint aus einer Airbrush-Pistole. Neben ihr sitzen zwei Kolleginnen, die mit einer Papierspritztüte geflämmten Hasen verzieren. Für ein paar Wochen haben die Tiere in der Schminkstube noch Saison. Dann ist die Oster-Produktion für dieses Jahr vorbei.

Es kehrt ein wenig Ruhe ein, denn im Sommer greifen die Menschen eher selten zu Marzipan. Mitten in der heißen Jahreszeit gehen aber die Arbeiten für das Hauptgeschäft los. Ab Mitte August fertigt Niederegger Weihnachtsprodukte – und statt Osterhasen werden Weihnachtsmänner geschminkt.