Hamburg. Fast jedes zweite Unternehmen senkt die Überschussbeteiligung. Im Schnitt bekommen die Kunden nur noch 2,23 Prozent.

Die Versicherten müssen sich auf eine weiter sinkende Verzinsung ihrer Lebens- und Rentenversicherungen einstellen. Denn die Überschussbeteiligung der 40 größten Lebensversicherer sinkt 2020 auf 2,23 Prozent, wie eine Abendblatt-Umfrage bei den 40 größten Anbietern, die rund 80 Prozent des Marktes repräsentieren, ergab.

Im Vorjahr lag der Durchschnittswert noch bei 2,37 Prozent und war erstmals seit 2008 nicht mehr gesunken. Deshalb keimte noch Hoffnung, die Verzinsung der Lebens- und Rentenversicherungen könnte sich auf einem niedrigen Niveau stabilisieren. Denn immerhin hielten im vergangenen Jahr 85 Prozent der 40 größten Lebensversicherer ihre Überschussbeteiligung stabil. Diese laufende Verzinsung des Sparanteils der Versicherten wird jedes Jahr von den Versicherern neu festgelegt. Das Abendblatt beantwortet hier die wichtigsten Fragen zu der noch immer am weitesten verbreiteten Altersvorsorge der Deutschen.

Wie hoch fällt die Absenkung aus?

Im Durchschnitt sinkt die Überschussbeteiligung nur um 0,14 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Doch im Einzelfall sind die Absenkungen beträchtlich. So nimmt die Überschussbeteiligung bei der Debeka gleich um einen halben Prozentpunkt ab und erreicht jetzt nur noch 1,75 Prozent. Bereits im Vorjahr hatte die Debeka die Überschussbeteiligung um 0,25 Prozentpunkte gesenkt.

Auch bei der VGH Provinzial fällt die Verzinsung für 2020 gleich um einen halben Prozentpunkt. Beim Marktführer Allianz und fünf weiteren Versicherern wie AachenMünchener, R + V und Cosmos Direkt sinkt die Überschussbeteiligung um 0,30 Prozentpunkte.

Wer bietet noch relativ hohe Zinsen?

19 der 40 Anbieter haben eine Überschussbeteiligung, die über dem Durchschnittswert liegt. Die höchste Verzinsung bieten folgende der großen Gesellschaften: Axa (2,90 Prozent), Europa (2,60), Provinzial Rheinland (2,60), Deutsche Ärzteversicherung (2,90), Ergo Vorsorge (2,55) und DEVK a. G. (2,70). Die mit Abstand höchste Überschussbeteiligung bietet der kleine Berliner Lebensversicherer Ideal mit 3,30 Prozent. Als einen der Hauptgründe dafür nennt Ideal-Finanzchef Karlheinz Fritscher „die antizyklische Kapitalanlagepolitik, die das Unternehmen seit 15 Jahren einschlägt“.

Der Lebensversicherer verfügt über einen ungewöhnlich hohen Anteil an Immobilien, vor allem in Berlin. Heute liegt der Anteil am Portfolio bei 24 Prozent, während die Branche nur auf 3,3 Prozent kommt. Eine Verzinsung von weniger als zwei Prozent haben Generali, Debeka, Gothaer, WWK und Provinzial Nordwest. Die Generali, deren Lebensversicherungsbestände inzwischen an die Viridium-Gruppe verkauft wurden, kommt nur noch auf 1,25 Prozent.

Damit liegt die Überschussbeteiligung unterhalb der Teuerungsrate, beklagt der Bund der Versicherten. „Wie von uns befürchtet, werden die Kunden besonders schlecht behandelt und bekommen nur noch eine sehr geringe Überschussbeteiligung“, sagt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten.

Warum sinkt die Verzinsung?

Die Versicherer sind stark von Anleihen abhängig, in denen im Branchendurchschnitt fast 85 Prozent ihrer Kapitalanlagen stecken, doch das Zinsniveau hat im vergangenen Jahr neue Tiefststände erreicht. Es wird deshalb immer schwieriger, neu hereinkommendes Geld gewinnbringend anzulegen.

„Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen lag im vergangenen Jahr im Schnitt bei minus 0,22 Prozent“, sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa. Auch in diesem Jahr werde sich am Zinsniveau kaum etwas ändern. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im Kampf gegen Konjunkturschwäche und niedrige Inflation ihre ultralockere Geldpolitik im September nochmals verschärft.

Dazu zählen höhere Strafzinsen für Banken, neu gedruckte Milliarden für Anleihekäufe durch die EZB und ein auf unbestimmte Zeit zementiertes Zinstief.

Für wen gelten die Tabellenwerte?

Die Überschussbeteiligungen gelten vor allem für Kunden, die eine Kapitallebens- oder Rentenversicherung mit einem Garantiezins von 0,90 Prozent abgeschlossen haben. Die Werte gelten in der Regel auch für Kunden mit einem staatlich geförderten Riester-Vertrag – bei gleichem Garantiezins. Auch für Neuverträge gelten die Werte in der Tabelle in der Regel.

Erhalten manche Kunden mehr Zinsen?

Ja, denn in jedem Fall erhalten Kunden ihren Garantiezins, dessen Höhe sich nach dem Jahr des Abschlusses richtet (siehe Grafik). „Der Garantiezins ist den Kunden zugesichert“, sagt Lars Heermann von der Ratingagentur Assekurata.

„Man kann davon ausgehen, dass mehr als die Hälfte der Kunden eine höhere Überschussbeteiligung bekommt als die Gesellschaften offiziell ausweisen“, so Heermann. Ursache sind die Verträge mit den noch hohen Garantiezinsen.

Wie sicher ist der Garantiezins?

Es ist bisher keine Gesellschaft bekannt, die den Garantiezins nicht mehr bezahlen kann. „Um die Garantien der Kunden auch in einem langfristigen Niedrigzinsumfeld zu sichern, wurde bereits 2011 die Zinszusatzreserve eingeführt“, sagt Heermann.

Das ist für die Versicherungen eine Art Kapitalpuffer, den sie mit eigenen Mitteln auffüllen müssen. Die Branche hat dafür bisher 65 Milliarden Euro zurückgelegt. „Aber die Zusatzbelastung drückt auf die Fähigkeit, Rendite an die Kunden auszuschütten“, sagt Reiner Will, Geschäftsführer der Ratingagentur Assekurata.

„Die Zinszusatzreserve stärkt aber die bilanzielle Widerstandsfähigkeit der Unternehmen“, ergänzt sein Kollege Heermann. Aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geht es Lebensversicherern besser als Pensionskassen.

„Wir gehen davon aus, dass die deutschen Lebensversicherer robust genug sind, die nächsten Jahre zu überstehen“, sagt der oberste Versicherungsaufseher der BaFin, Frank Grund. „Die wirtschaftliche Lage ist deutlich besser als bei den Pensionskassen.“

Was bedeutet die sinkende Verzinsung für die Kunden?

Sie müssen sich darauf einstellen, dass die Ablaufleistung oder die monatliche prognostizierte Rente weiter sinkt. Die einst bei Abschluss prognostizierten Werte werden bei Weitem nicht erreicht.

„Sicher sind zunächst nur die garantierten Renten oder Kapitalabfindungen“, sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg. Gefährlich kann es bei sogenannten Kombiverträgen im Zusammenhang mit einer Immobilienfinanzierung werden: „Dann steht für die Tilgung weniger Geld zur Verfügung als einst kalkuliert.“

Soll man die Versicherung kündigen?

„Eine solche Entscheidung setzt eine gründliche Beratung voraus und ist von den persönlichen Verhältnissen und der Art des Vertrages abhängig“, sagt Becker-Eiselen. Eine vorzeitige Kündigung ist außerdem meist mit Einbußen verbunden. Kapitallebensversicherungen können auch mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) kombiniert sein.

Dann ist eine Kündigung erst recht nicht sinnvoll, wenn der BU-Schutz so nicht wieder erlangt werden kann, weil sich der Gesundheitszustand verschlechtert hat. Aber die Verbraucherzentrale rät davon ab, neue Policen für die Altersvorsorge abzuschließen. Viele Gesellschaften bieten auch gar keine klassischen Tarife mit Garantiezins mehr an.