Hamburg. Die meisten Banken in Hamburg bieten Immobilienfinanzierungen zu 100 Prozent an. Es gibt allerdings eine Voraussetzung.
Diese Regel haben Immobilienkäufer seit Jahrzehnten verinnerlicht: kein Hauskauf ohne Eigenkapital. Banken und Verbraucherschützer raten, bei einem Immobilienkauf mindestens 20 bis 30 Prozent des Kaufpreises mitzubringen. „Doch in Zeiten, in denen die Immobilienpreise immer neue Rekorde aufstellen, ist eine solche Forderung weltfremd“, sagt Max Herbst von der FMH-Finanzberatung. Kaum eine junge Familie könne das noch erfüllen. Ein Einfamilienhaus in Hamburg aus dem Bestand kostet im Durchschnitt nach dem Immobilienmarktatlas der LBS Bausparkasse Schleswig-Holstein-Hamburg rund 485.000 Euro.
Knapp 100.000 Euro an eigenen Ersparnissen wären für einen Eigenkapitalanteil von 20 Prozent notwendig. Doch auch die Nebenkosten des Hauskaufs wie Grunderwerbsteuer, Notargebühren und Maklerkosten müssen bezahlt werden. Hier wären dazu weitere knapp 60.000 Euro erforderlich, zusammen also 160.000 Euro. Doch oft reichen die Ersparnisse gerade für die Nebenkosten. Werden Immobilien auch zu 100 Prozent finanziert? Welche Banken bieten das an? Wie teuer ist das? Welche Risiken bestehen? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was bedeutet 100-Prozent- Finanzierung?
Der Kaufpreis wird komplett über einen Kredit finanziert. Lediglich die Erwerbsnebenkosten müssen aus eigenen Ersparnissen finanziert werden. Angesichts der hohen Immobilienpreise in Hamburg können die Kreditsummen dann schnell 400.000 bis 500.000 Euro erreichen. Selbst eine Eigentumswohnung aus dem Bestand mit einer Wohnfläche von 80 Quadratmetern kostet im Durchschnitt 359.000 Euro in Hamburg.
Welche Banken bieten eine solche Finanzierung an?
Nach einer Umfrage des Abendblatts bieten die meisten Banken in Hamburg eine 100-Prozent-Finanzierung von Immobilien an. Dazu gehören Hamburger Sparkasse, Commerzbank, Hamburger Volksbank, Postbank und Santander Bank (siehe Grafik). Bei der Deutschen Bank gelten gewisse Einschränkungen. Das Institut verweist auf die Notwendigkeit von mindestens 20 Prozent Eigenkapital. „Doch bei entsprechenden Voraussetzungen wie ausreichende Bonität, sicheres Einkommen und Rücklagen kann sowohl für Eigenheimerwerber als auch für Kapitalanleger eine Vollfinanzierung infrage kommen“, sagt eine Sprecherin der Deutschen Bank. Lediglich die Sparda-Bank Hamburg bietet keine Vollfinanzierung für Immobilienkäufer an.
Die HypoVereinsbank selbst zwar auch nicht, sie vermittelt aber solche Darlehen von anderen Banken an ihre Kunden. In der Abendblatt-Umfrage wollten sich die Geldinstitute in der Regel nicht zu den Größenordnungen dieses Geschäfts äußern. „Generell nimmt aber die 100-Prozent-Finanzierung zu“, sagt Herbst. Unter Käufern kristallisieren sich nach seiner Einschätzung zwei Gruppen heraus. „Die einen haben sehr viel Eigenkapital, weil sie eine Immobilie verkauft oder geerbt haben, die anderen haben kein oder kaum Eigenkapital.“
Was kostet eine Vollfinanzierung?
An Bedeutung gewinnt die Vollfinanzierung, weil die Zinsen so niedrig sind. Der Zinssatz für eine zehnjährige Zinsbindung liegt knapp unter einem Prozent und ist damit so niedrig wie 2016. Aber je weniger Eigenkapital die Käufer mitbringen und je länger sie den Zins festgeschrieben haben wollen, desto höher ist der Zins. Der Grund ist das größere Risiko für die Bank, im Fall einer Zwangsversteigerung nicht den gesamten Darlehensbetrag zurückzubekommen. Die FMH-Finanzberatung hat exklusiv für das Abendblatt die durchschnittlichen Zinsen abhängig von der Zinsbindung und der Beleihungsgrenze ermittelt (siehe Grafik). Das ist vereinfacht gesagt der Anteil des Kaufpreises, der von der Bank finanziert wird. Bei einer Zinsbindung von 15 Jahren und einer Beleihung von 100 Prozent beträgt der Effektivzins durchschnittlich 2,01 Prozent, während er mit 20 Prozent Eigenkapital, also einer Beleihungsgrenze von 80 Prozent, nur bei 1,34 Prozent liegt.
Zum Vergleich: Vor zehn Jahren hätte bei einer Vollfinanzierung noch ein Zins von 6,36 Prozent bezahlt werden müssen. „Bei diesen Vollfinanzierungen verlangen die Banken außerdem zwei bis drei Prozent Tilgung“, sagt Herbst. Ein vollfinanziertes Einfamilienhaus im Wert von 485.000 Euro führt bei einer Tilgung von drei Prozent pro Jahr so zu einer monatlichen Belastung von 2045 Euro. Bei einer Immobilie im Wert von 350.000 Euro reduziert sich die Belastung auf monatlich 1460 Euro. Außerdem führt eine Vollfinanzierung zu einer wesentlich längeren Kreditlaufzeit. Ohne Eigenkapital ist eine Immobilie im Wert von 300.000 Euro erst nach 46 Jahren komplett abbezahlt. Mit 60.000 Euro Eigenkapital dauert es nur rund 28 Jahre (siehe Beispielrechnung).
Welche Voraussetzungen müssen die Käufer mitbringen?
Die Kunden, die eine solche Finanzierung nutzen möchten, benötigen ein hohes Einkommen und ein sicheres Beschäftigungsverhältnis. „Wir prüfen, ob der Kunde die monatliche Belastung nachhaltig tragen kann“, sagt ein Sprecher der Haspa. Die Commerzbank verweist auf die Gesamtverschuldungssituation des Kunden. Wenn also schon andere Kredite bedient werden müssen, ist das eher ungünstig. Die Hamburger Volksbank verweist darauf, dass es einen erkennbaren Überschuss des Haushaltseinkommens nach Abzug der Darlehensraten und der anderen Ausgaben geben muss. Bei der Immobilie erleichtert nach Einschätzung des Baugeldvermittlers Dr. Klein eine ausgezeichnete Lage und ein sehr guter Zustand des Objekts die Vollfinanzierung. Die Käufer sollten auch an einen ausreichenden Versicherungsschutz in Form einer Berufsunfähigkeitsversicherung und einer Risikolebensversicherung denken.
Was ist bei einer Vollfinanzierung zu beachten?
Die hohe finanzielle Belastung spricht dafür, eine lange Zinsbindung zu vereinbaren, um das Zinsänderungsrisiko bei Auslauf der Bindung zu reduzieren. „Wir raten zu einer Zinsbindung von 15 bis 20 Jahren“, sagt Herbst. Wichtig sei es zudem, Sondertilgungen zu vereinbaren, um zusätzliche Abzahlungsmöglichkeiten zu haben. Auch eine Veränderung der Tilgungsrate während der Laufzeit sei sinnvoll. „Außerdem sollte die Familienplanung abgeschlossen sein, um die Einkommenssituation nicht durch Unterbrechungen zu verschlechtern“, sagt Dirk Scobel von der Verbraucherzentrale Hamburg. Er warnt bei Vollfinanzierungen vor komplexen Vertragskonstruktionen mit Bausparverträgen, die erst noch angespart werden müssen.
„Eine Vollfinanzierung bleibt ein hohes Risiko, auch wenn die Einkommensverhältnisse sehr gut sind“, sagt Scobel. „Das mag einige Jahre gut gehen, aber ob es ein Jahrzehnt oder noch länger funktioniere, sei sehr ungewiss. So lange könne ein Käufer in aller Regel nicht verlässlich vorausplanen. So könne es beispielsweise kritisch werden, wenn der Wert der Immobilie sinkt. „Wer in ständiger Sorge lebt, dass unvorhergesehene Reparaturen oder Anschaffungen anfallen oder sich während der Laufzeit keine angenehmen Dinge wie einen Urlaub leisten kann, der sollte von einer Vollfinanzierung Abstand nehmen“, sagt Tarkan Atik, Spezialist für Baufinanzierungen bei Dr. Klein.
Lässt sich ein Eigenheim auch ganz ohne eigenes Geld erwerben?
Wenn die Ersparnisse noch nicht einmal ausreichen, um die Nebenkosten des Immobilienkaufs zu bezahlen, wird die Finanzierung deutlich schwieriger. „Nur wenige Banken bieten Finanzierungen von mehr als 100 Prozent an“, sagt der Finanzierungsexperte Herbst. In der Abendblatt-Umfrage geben nur Postbank, Commerzbank und Targobank an, solche Finanzierungen zu ermöglichen. Die anderen Institute tun dies gar nicht oder nur in Ausnahmefällen. Die Nebenkosten werden dann zumeist über einen Ratenkredit finanziert, der deutlich höhere Zinsen als ein Immobiliendarlehen hat. In diesem Fall sollten acht bis zehn Jahre bis zur völligen Tilgung Zeit bleiben. „Alternativ kann man versuchen, einen Kredit bei Verwandten aufzunehmen oder die Lebensversicherung zu beleihen“, sagt Herbst. Eine Immobilienfinanzierung zu mehr als 100 Prozent ist aber noch einmal deutlich risikoreicher als eine normale Vollfinanzierung.