Hamburg. Hamburger Windanlagenbauer braucht vor allem Geld vom Ankeraktionär Acciona, um seine vielen Aufträge zu erfüllen. Die Hintergründe.

Der große Konkurrent Siemens Gamesa hat Teile des insolventen Hamburger Windanlagenbauers Senvion gekauft. Derweil hat der spanische Acciona-Konzern vor kurzem seine Anteile an Nordex erhöht und den verbliebenen Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreitet. Verliert nach der Pleite des einen nun der zweite Windkraftkonzern mit Zentrale in der Hansestadt seine Eigenständigkeit? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zum Vorstoß der spanischen Acciona und zur Zukunft von Nordex.

Wie ist aktuell die wirtschaftliche Lage von Nordex?
In den vergangenen Jahren schwächelte der Konzern wie die gesamte Branche, nun sind die Auftragsbücher prall gefüllt. Vor wenigen Tagen gab Nordex bekannt, dass allein im dritten Quartal Kunden vor allem aus Europa, Südamerika und den USA neue Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 1700 Megawatt (MW) bestellt haben – das waren fast 75 Prozent mehr als im Vorjahresquartal (974 MW). In den ersten neun Monaten sammelten die Hamburger damit Neuaufträge für insgesamt 4700 Megawatt ein; deutlich mehr als im gesamten Jahr 2018 (3600 MW). Ende Juni hatte Nordex mitgeteilt, man habe – inklusive Servicekontrakten – Aufträge im Gesamtwert von etwa sieben Milliarden Euro in den Büchern.

Für 2019 erwartet das Unternehmen zwischen 3,2 und 3,5 Milliarden Euro Umsatz. Im Vorjahr waren die Erlöse um 20 Prozent auf weniger als 2,5 Milliarden Euro gefallen, Nordex verbuchte 2018 fast 84 Millionen Euro Verlust. Gleichzeitig stieg die Verschuldung von 1,9 auf 2,4 Milliarden Euro, die Eigenkapitalquote sank auf magere 22 Prozent. Auch 2019 werden unter dem Strich voraussichtlich zwar rote Zahlen stehen. Aber 2020 – wenn viele der neuen Aufträge abgearbeitet und von den Kunden bezahlt werden – werde das Unternehmen wieder Gewinn einfahren, erwarten Branchenbeobachter. Der Aktienanalyst Guido Hoymann vom Bankhaus Metzler, der den Konzern seit Jahren beobachtet, sagt: „Es läuft derzeit sehr gut für Nordex. Das Unternehmen kann aus der Schwächephase der vergangenen Jahre herauskommen.“

Wie viele Nordex-Anteile besitzen die Spanier derzeit?
Acciona ist seit etwa vier Jahren der mit Abstand größte Nordex-Aktionär. Damals übernahmen die Hamburger die gesamte Windenergiesparte (Acciona Windpower) des spanischen Mischkonzerns, zu der auch mehrere Produktionsstandorte gehörten. Mehr als die Hälfte des Kaufpreises von 785 Millionen Euro wurde in neuen Aktien gezahlt. Zudem verkaufte die damalige Nordex-Hauptaktionärin, die BMW-Erbin Susanne Klatten, einen Großteil ihrer Anteile an die Spanier.

Seitdem hielt Acciona 29,9 Prozent der Aktien. Nach einer Kapitalerhöhung vor einigen Tagen sind es 36,27 Prozent. Knapp 9,7 Millionen neue Aktien zum Stückpreis von 10,21 Euro gingen ausschließlich an die Spanier, sie zahlen dafür 99 Millionen Euro an Nordex. Acciona machte deutlich, dass die Idee dazu aus Hamburg kam: Man habe den Vorschlag des Nordex-Vorstands akzeptiert, das Eigenkapital des Windkraftkonzerns zu erhöhen, heißt es in einer Erklärung des Unternehmens, das seinen Sitz in der Nähe von Madrid hat.

Warum kam es zu der Kapitalerhöhung?
Um die vielen Neuaufträge zu bewältigen, kann Nordex frisches, eigenes Geld gut gebrauchen. „Wir begrüßen, dass Acciona sein Engagement ausbaut und Nordex mit weiterem Eigenkapital stärkt. Diese Stärkung unserer Finanzstruktur unterstützt uns dabei, den Wachstumskurs des Unternehmens im Jahr 2020 und darüber hinaus vorzubereiten“, sagte Vorstandschef José-Luis Blanco dem Abendblatt. Er war 2016 von Acciona Windpower in den Nordex-Vorstand gekommen.

Die zusätzlichen knapp 100 Millionen Euro sollen das Unternehmen weniger abhängig davon machen, ob die Banken bereit sind, die notwendigen Kredite zu geben. Es ist eine Lehre aus der Senvion-Insolvenz. Auch Senvion hatte ein dickes Auftragspolster, aber einige verlustreiche Geschäfte gemacht und so das Vertrauen der Geldgeber zerstört. Analyst Hoymann sieht in der Kapitalerhöhung denn auch vor allem „ein Signal an die finanzierenden Banken, dass der Ankeraktionär den Wachstumskurs mitträgt und mitfinanziert. Acciona setzt ein Zeichen.“ Die Spanier selbst sagen das auch. „Das strategische Investment ist ein starkes, an Kunden, Zulieferer und Banken gerichtetes, Signal des Vertrauens in Nordex nach der Senvion-Insolvenz“, erklärte Acciona.

Warum macht Acciona ein Übernahmeangebot?
Dazu ist das Unternehmen gesetzlich verpflichtet. Laut dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz muss ein Aktionär, dessen Anteil am Grundkapital eines börsennotierten Unternehmens auf mehr als 30 Prozent steigt, allen anderen Aktionären anbieten, ihre Anteile zu einem nach bestimmten Regeln festgelegten Kurs zu kaufen. Acciona erwartet, dass es 10,32 Euro pro Aktie sein werden. Das ist der Durchschnittskurs des Nordex-Papiers in den vergangenen drei Monaten. Acciona müsste für die Übernahme sämtlicher Aktien demnach etwa 700 Millionen Euro aufwenden.

Wie wahrscheinlich ist es, dass es zu einer Übernahme kommt?
Im Moment spricht mehr dagegen als dafür. Nach Bekanntwerden von Kapitalerhöhung und Übernahmeangebot stieg der Kurs der Nordex-Aktie von knapp über zehn auf mehr als elf Euro und notierte zuletzt im Bereich um 11,70 Euro. Für die Inhaber der anderen Anteilsscheine, die ganz überwiegend in Streubesitz sind, wäre ein Verkauf für die erwarteten 10,32 Euro also ein schlechtes Geschäft. Milliardärin Susanne Klatten, deren Anteil an Nordex nun auf unter fünf Prozent gesunken ist, hat bereits erklären lassen, dass sie ihre Aktien nicht an die Spanier verkaufen wolle.

„Kaum einer der Aktionäre wird das Angebot annehmen“, ist Analyst Hoymann überzeugt. Mehr noch. „Ich glaube nicht, dass Acciona ernsthaft vorhat, Nordex zu übernehmen“, sagt er. Die Spanier haben durchaus Einfluss darauf, ob ihr Pflicht-Übernahmeangebot ein Erfolg oder Misserfolg wird. In den genauen Angebotsbedingungen lassen sich hohe Hürden aufbauen. Bisher sind die Bedingungen nicht bekannt. Sie müssen vor der Veröffentlichung von der Finanzaufsicht Bafin geprüft werden. Acciona erwartet, dass Anfang nächsten Jahres Klarheit über das Ergebnis des Angebots besteht.

Welche Folgen könnte eine Übernahme für die Hamburger Zentrale haben?
Derzeit sind in der Konzernzentrale an der Langenhorner Chaussee 800 der weltweit gut 6000 Nordex-Mitarbeiter beschäftigt. Es gilt als unwahrscheinlich, dass es dort nach einer möglichen Übernahmezu grundlegenden Veränderungen kommen würde. Offiziell äußerte sich das Unternehmen zur Zukunft des Standorts nicht. „Wir wissen nicht, ob Acciona Pläne dazu hat“, hieß es.

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