Gunderhandviertel. Claus Blohms Familie baut Obst im Alten Land an. Jetzt sieht sich der Landwirt bedroht und zieht vor Gericht – mit prominenter Hilfe.
„Am besten erst mal gucken, sonst wissen Sie ja gar nicht, wovon wir reden“, sagt Claus Blohm. Der Biobauer winkt ungeduldig. Die Apfelernte im Alten Land ist voll im Gang. Kurz darauf kurvt er im bunt beklebten Minitransporter über seine Plantage. „Hier“, sagt er und stoppt unvermittelt. Links und rechts des Wegs stehen die Bäume in Reih und Glied, zwischen den Blättern hängen rot-grüne Äpfel. Jonagold, die Sorte ist bei Kunden beliebt. Alles sieht so aus, wie es sollte. Bis Blohm nach einem Apfel greift.
Über die Schale ziehen sich dunkle ledrige Flecken wie eine Geschwulst. „Sonnenbrand“, sagt er knapp. Dann zeigt er auf einen Apfel weiter oben, in dem ein braunes Loch klafft. „Da ist der Apfelwickler am Werk“, sagt der 62-Jährige. Im Inneren bohrt der Schädling sein verzweigtes Tunnelsystem. Als Tafelobst kann der Landwirt diese Früchte nicht mehr verkaufen, sondern nur für die Vermostung – zu deutlich niedrigeren Preisen. Und in dem Baum wartet schon der nächste Feind. Die Pfennigminiermotte hat sich eingenistet und hinterlässt runde, braune Verfärbungen auf den Blättern.
Familie Blohm baut seit 500 Jahren Obst im Alten Land an
Der Hof der Blohms liegt in Guderhandviertel, 35 Kilometer nordwestlich von Hamburg im Landkreis Stade. Eine schmale Straße schlängelt sich zwischen Deich und perfekt restaurierten Elbmarschen-Fachwerkhäusern. Ab und zu knattert ein Trecker mit Anhängern voller Äpfel aus einer Einfahrt. Sonst ist es still. Seit 500 Jahren baut die Familie hier Obst an.
1986 hat Claus Blohm den Betrieb übernommen und 1999 auf ökologischen Landbau umgestellt. Auf 21 Hektar stehen hauptsächlich Äpfel, außerdem Birnen, Zwetschgen, Pflaumen und Mirabellen. Früher gab es auch Kirschen. Ob Blohms Kinder Johannes und Franziska den Hof in die nächste Generation führen, ist nicht sicher. Die Bauernfamilie sieht sich in ihrer Lebensgrundlage bedroht.
Nicht nur die Schädlinge machen den Blohms zu schaffen, sondern auch extremer Regen, Hagel, Stürme, Hitze und Trockenheit haben die Ernten zuletzt schlechter ausfallen lassen. „In diesem Jahr erwarten wir deutlich weniger Ertrag. Und davon ist viel geschädigt“, sagt der Biobauer. Wie er über die Runden kommen will? Blohm zuckt mit den Achseln. „Man hofft immer, dass man so viel zusammenbekommen hat, dass es noch reicht.“
Blohm: Klimawandel gefährdet unsere Existenz
Nach Ansicht der Blohms ist ihre existenzgefährdende Situation eine Folge des Klimawandels. Gemeinsam mit zwei weiteren Biobauern-Familien auf Pellworm und aus Brandenburg sowie der Umweltschutzorganisation Greenpeace haben sie sich deshalb entschlossen, die Bundesregierung zu verklagen. Diese, so die Argumentation, erfülle nicht das für den Schutz des Klimas, was sie selbst beschlossen hat.
Schon 2007 hatte sich Deutschland verbindlich verpflichtet, bis 2020 40 Prozent des klimaschädlichen Treibhausgases im Vergleich zu 1990 einzusparen. Inzwischen ist klar, dass das nichts wird. Deutschland bleibt damit weiter seinen Beitrag schuldig, die globale Erhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Ein Verstoß gegen europäisches Umweltrecht, sagen die Kläger, und gegen die Grundrechte zum Schutz von Eigentum, Beruf sowie Leben und Gesundheit der von der Erderwärmung betroffenen Menschen.
"Lächerliches Klimapaket" verstößt gegen Grundrechte
„Daran ändert auch das lächerliche Klimapaket nichts, dass die Große Koalition gerade beschlossen hat“, sagt Franziska Blohm kämpferisch. Sie ist 25 Jahre alt, ihr Bruder 28. Die Durchschnittstemperatur im Alten Land ist seit ihrer Geburt um etwa ein Grad gestiegen. Als die Idee mit der Klage vor einem Jahr aufkam, waren sie sofort dafür. Deutlich bevor es mit den „Fridays for Future“-Protesten so richtig losging.
Am 31. Oktober verhandelt das Verwaltungsgericht in Berlin über die Klage. Es ist das erste Mal, das ein Gericht in Deutschland den mangelnden Klimaschutz der Regierung verhandelt. Dabei gehe es nicht um finanzielle Entschädigungen. „Es muss endlich etwas passieren“, sagt Johannes Blohm.
Die Geschwister sind zwischen Obstbäumen aufgewachsen. Früher haben sie im Sommer in der Kirschplantage gelegen und gewettet, wer die Kerne weiter spuckt. Sie sind mit ihrem Vater zum Markt gefahren, um die frisch gepflückte Ernte zu verkaufen. Wie dramatisch die Folgen der Klimaveränderungen auch in unseren Breiten sein können, haben sie vor drei Jahren erlebt.
Kein biologischer Schutz: Eingewanderte Fliege vernichtet Kirschplantage
Binnen kurzer Zeit hatte eine kleine Fliege den gesamten Süßkirschen-Bestand der Familie zerstört – vier Hektar insgesamt. Die Kirschfruchtfliege, ein Schädling aus Asien, hatte sich angesichts des globalen Temperaturanstiegs in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter in den Norden vorgearbeitet. In den ungespritzten Früchten der Blohms fanden die Fliegen offenbar ideale Bedingungen für ihren Nachwuchs. Die Kirschen waren plötzlich faulig und voller Maden, ließen sich nicht mehr verkaufen.
„Einen biologischen Schutz gibt es nicht. Pestizide sind nicht erlaubt“, sagt Biolandwirt Blohm. Die Kirschplantage musste gerodet werden. Jetzt stehen dort Apfelbäumchen mit der allergikerfreundlichen Sorte Santana. Noch sind kaum Früchte an den dünnen Zweigen. Ein Reihe Kirschbäume gibt es noch, als Windschutz. Auch die alten Baumstämme liegen dort. „Es schmerzt immer noch“, sagt Johannes Blohm.
Seitdem registriert die Bauernfamilie in jedem Jahr Schäden, die etwas mit dem Klima zu tun haben. 2017 waren es Niederschläge, Hagel und Sturm. 2018 machte den Blohms der Dürresommer mit extremer Hitze und Trockenheit zu schaffen. „Es gab viele Äpfel, aber sie waren sehr klein“, sagt Claus Blohm. Mit Folgen bis in dieses Jahr. Die Bäume hätten zu wenig Kraft gehabt und viele Blüten verloren, dazu kamen Frostnächte im Frühjahr. Während der Obstbauer in normalen Jahren zwischen 400 und 500 Tonnen Äpfel erntet, rechnet er jetzt mit 60 Prozent weniger.
Blohms Biohof ist für ihn auch ein Stück Identität
Grauer Kurzhaarschnitt, wettergegerbtes Gesicht, kräftige Arme – eigentlich ist Blohm keiner, den so schnell was umhaut. Er macht den Mund auf, wenn ihn etwas stört. Nach der Schule hat er eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht. Weil er sich mit seinen Eltern nicht über die Führung des Betriebs einigen konnte, sattelte er zum Zahntechniker um. Aber als seine Mutter ihn vor mehr als 30 Jahren zurückholte, hat er nicht Nein gesagt.
Der Hof ist mehr als wirtschaftliches Auskommen, es ist auch Identität. Die beiden Kinder hat er allein großgezogen. Auch wenn es eng wurde, hat Blohm immer eine Lösung gefunden. Aber jetzt? Manchmal guckt er rüber zu den übervollen Apfelbäumen bei den Nachbarn, die konventionell anbauen und viele Probleme mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln lösen. Für ihn ist das keine Option.
Inzwischen ist er mit seinem Mini-Transporter weitergefahren. „Guten Tag“ begrüßt er die polnischen Erntearbeiter mit Handschlag. Die Männer pflücken in atemberaubender Geschwindigkeit Äpfel von den mannshohen Bäumen. Gerade ist Elstar dran. Zwei große Holzkisten sind fast voll, 320 Kilogramm jeweils. Das sind die guten Äpfel. Dahinter steht noch eine Kiste. Die Äpfel darin sind wurmstichig, verbrannt von der Sonne oder einfach zu klein für die Norm im Handel. Eine weitere Kiste ist schon abgeholt worden. „Wir haben in diesem Jahr weniger gute Äpfel als sonst“, sagt Pflücker Karol.
Bundesregierung hält Klage für unzulässig
Rechtsanwältin Roda Verheyen vertritt die Klimaklage der aufständischen Bauern und von Greenpeace vor Gericht. Gemeinsam wollen sie erreichen, dass die Bundesrepublik Maßnahmen ergreift, um die eigenen Klimaschutzvorgaben für das Jahr 2020 zu erfüllen. „Wenn die Klimaziele bindend sind, können wir auch Grundrechte geltend machen“, sagt die Juristin.
Das sieht die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme anders. Sie hält die Klage für unzulässig, weil ihr nicht gerichtlich vorgeschrieben werden dürfe, welche Politik sie zu verfolgen habe. Außerdem sei die Klage nicht mit dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar. Inzwischen hat das Verwaltungsgericht Berlin die Bundesregierung allerdings aufgefordert darzulegen, welche Anstrengungen sie unternimmt, um eine Überschreitung des an die EU zugesagten Klimaziels zu vermeiden.
Für die Kläger ist das ein Indiz, dass das Gericht den Vorwurf ernst nimmt und die Bundesregierung verpflichtet, kurzfristig wirksame Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. „Viele UN-Gremien und auch Gerichte haben bestätigt, dass der Klimawandel ein akutes Risiko und eine Verletzung der Menschenrechte darstellt“, sagt Verheyen.
Der Hof liegt einen Meter unter dem Meeresspiegel
Die Blohms setzen große Hoffnungen in den Prozess. Denn da ist auch noch der Anstieg des Meeresspiegels, der sich auch in der Elbe-Region bemerkbar mache. „Unser Hof liegt 0,5 bis einen Meter unter dem Meeresspiegel“, sagt Claus Blohm. Das Hochwasserrisiko bei Sturmfluten steige. Es gebe zwar Deiche, aber niemand könne sagen, wie lange die noch halten.
Beide Blohm-Kinder sind inzwischen meistens in Hamburg und haben ein Studium begonnen, das wenig mit der Führung eines landwirtschaftlichen Betriebs zu tun hat. Johannes Blohm studiert Sprache und Kultur Südostasiens. Er lernt Thailändisch und jobbt nebenbei in einem Handelsunternehmen. Franziska Blohm ist für Medien- und Kommunikationswissenschaften eingeschrieben und interessiert sich vor allem fürs Filmemachen. Der Hof ist für sie Heimat. Beide könnten sich auch vorstellen, ihn mal zu übernehmen. „Es kommt darauf an, wie es jetzt weitergeht“, sagt Johannes Blohm.