Hamburg. Reiner Brüggestrat fordert als bekennender Bahnfahrer mehr Investitionen in den Nahverkehr und plädiert für eine autofreie Innenstadt.

Reiner Brüggestrat, Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, fährt täglich mit der S-Bahn zur Arbeit und zurück. Als Topmanager in Hamburg zählt er damit zu den Ausnahmen. Das Abendblatt sprach mit ihm über seine Beweggründe, Erfahrungen mit dem öffentlichen Nahverkehr, die Vorteile einer autofreien Hamburger Innenstadt und ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

Herr Brüggestrat, Sie fahren seit knapp 15 Jahren nahezu täglich mit der S-Bahn zur Arbeit. Warum?

Reiner Brüggestrat Ich habe damals gemerkt, dass Autofahren in Hamburg ineffizient ist. Ich stand ständig im Stau, darauf hatte ich keine Lust mehr. Vor fünf Jahren habe ich zudem meinen Parkplatz in der Bankzentrale abgegeben; den brauche ich ja nicht mehr.

Als Topmanager ist es doch eher ungewöhnlich, täglich mit der Bahn zur Arbeit zu fahren – und dann auch noch mit der S 3, die in Hamburg nicht gerade den besten Ruf hat. Wie haben andere Manager-Kollegen auf Ihre Entscheidung reagiert?

Vor zehn Jahren ist man noch ein wenig komisch angeschaut worden, damals haben nicht wenige die Nase gerümpft, weil aus ihrer Sicht die S 3 nicht dem Status eines Managers entsprach. Doch das hat sich geändert – dazu hat sicherlich auch die Debatte über den Klimawandel beigetragen. Heute wird es auch von den Kollegen in anderen Firmen anerkannt, wenn man mit ökologisch verträglichen Verkehrsmitteln unterwegs ist.

Gerade die S 3 hat in den vergangenen Monaten immer wieder für negative Schlagzeilen wegen Verspätungen, Zugausfällen, schlechter Klimatisierung und übervoller Waggons gesorgt. Wie erleben Sie persönlich die Situation?

Es steht außer Frage, dass die S 3 deutlich voller geworden ist. Während ich früher morgens immer einen Sitzplatz zwischen Heimfeld und Hammerbrook bekommen habe, ist es nun ein Glücksspiel, ob ich sitzen kann oder stehen muss. Zudem ist die S 3 in den vergangenen zwölf Monaten aus meiner Sicht unzuverlässiger geworden. Das heißt: Sie kommt häufiger verspätet oder fällt auch schon mal aus. Allerdings bewerte ich das subjektiv nicht über. Denn wenn ich – dann und wann – doch noch mal mit dem Auto fahre, dann merke ich, dass ich heutzutage auch länger im Stau stehe als früher.

Wie lange brauchen Sie von Haustür zur Bankzentrale, die direkt an der Station Hammerbrook liegt, mit der S 3 – wenn sie pünktlich fährt?

25 Minuten.

Und alternativ mit dem Auto?

Mindestens 40 Minuten, aber auch 50 Minuten sind keine Seltenheit.

Wie nehmen Sie den Komfort in der S-Bahn wahr?

Man darf nicht allzu anspruchsvoll sein.

Und konkret – wie war es während der heißen Tage, gerade für einen Manager, der nicht selten mit Anzug, Hemd und Krawatte unterwegs ist?

Da gab es durchaus Tage, an denen ich das Jackett ablegen musste, weil Hemd und Hose bereits durchgeschwitzt waren. Bei den alten Bahnen ist es doch ex­trem heiß, die neuen Züge haben dagegen eine ordentliche Klimatisierung.

Sie haben drei Wünsche frei: Was müsste sich im Hamburger Nahverkehr verbessern?

Der Fahrtakt müsste kürzer und die Bahnen sollten länger werden, damit sie mehr Fahrgäste transportieren können. Zudem müssten die Informationen über Verspätungen und Ausfälle an die Kunden besser werden. Warum kann man diese Infos zumindest Jahreskarteninhabern nicht als Push-Nachrichten auf das Smartphone senden? Und das Infotainment-Programm via Bildschirm, welches man in den U-Bahnen bereits hat, sollte auch auf die S-Bahn ausgeweitet werden.

Bisher haben wir vor allem über Ihren Weg von der Haustür zur Arbeit gesprochen, der relativ simpel mit der S 3 oder der S 31 erfolgt. Wie ist Ihre Erfahrung, wenn Sie zu Terminen müssen, die etwas abseits in Hamburg stattfinden?

In diesem Fall kommt es auf den genauen Ort und die aktuelle Stausituation an. Wenn ich weiß, dass die Straßen sehr voll sind, versuche ich, das Ziel auf der Schiene zu erreichen, ansonsten nutze ich durchaus auch DriveNow- und Car2go-Angebote, übrigens tun das auch meine Mitarbeiter. Vor zehn Jahren hatten wir bei der Hamburger Volksbank noch 18 eigene Fahrzeuge für die Beschäftigten, nun sind es noch neun, davon drei E-Mobile. Wir haben zudem gerade ein Kooperationsabkommen mit Moia geschlossen, sodass ich mir eine weitere Reduzierung unserer Firmenwagen durchaus vorstellen kann. Als Unternehmen wünschen wir uns vor allem, dass es eine zentrale App für alle Verkehrsmittel gibt, über die der Beschäftigte seine Fahrten abrechnen kann, egal, ob er mit der S-Bahn, Moia oder Car2go unterwegs ist. Das zu harmonisieren wäre ein Riesenschritt nach vorn für nachhaltige Mobilität.

Nun gibt es auf Hamburgs Straßen seit Monaten immer mehr und neue Mobilitätsanbieter – sinnvoll oder vor allem Spielerei?

Es ist wichtig und richtig, auf diesem Feld zu experimentieren. Doch diese Testphasen für neue Mobilitätskonzepte sollte nicht zu lange dauern. Sonst entsteht ein Wildwuchs, der zu noch mehr Verkehr und volleren Straßen führt. So halte ich die neuen E-Scooter für eine Spinnerei. Ich sehe dieses Fortbewegungsmittel vor allem als ein Lifestyle-Produkt. Verkehrsprobleme löst man nicht mit E-Scootern. Da halte ich Fahrräder doch für wesentlich sinnvoller. Auch unsere Beschäftigten können übrigens Dienstfahrräder günstig leasen.

Beeinflusst die Diskussion über den Klimawandel auch Ihr persönliches Verhalten abseits des beruflichen Alltags?

Ja, auf jeden Fall. So mache ich mit meiner Tochter einmal im Jahr eine gemeinsame Reise – nur wir zwei. In diesem Jahr haben wir entschieden, nicht mit dem Flugzeug zu fliegen, sondern mit dem Zug in den Harz zu fahren. Der Klimawandel ist in meinem Kopf schon sehr präsent.

Bei der Flugreise mit Ihrer Tochter geht es um freiwillige Entscheidungen. Was halten Sie von staatlich verordneten Verboten wie zum Beispiel einer Hamburger Innenstadt, in der alle Autos mit Verbrennungsmotoren untersagt werden?

Ich halte das für eine gute Idee. Man sieht ja, wie sich die Lebensqualität in dem Bereich der Schauenburgerstraße, wo derzeit zwischen 11 bis 23 Uhr keine Autos fahren dürfen, verbessert hat. 2022/23 kann ich mir eine autofreie Hamburger Innenstadt sehr gut vorstellen. Die Politik sollte aber bis dahin die Zeit nutzen, um in der Bevölkerung für die Vorteile dieses Verbots zu werben. Zudem bin ich mittlerweile auch für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, obwohl ich früher selbst sehr gern schnell gefahren bin. Aber heute bin ich der Überzeugung, dass die Vorteile eines Tempolimits mit Blick auf den Klimawandel und die Todesfälle im Straßenverkehr die Nachteile des sogenannten Freiheitsverlustes deutlich überwiegen.