Hamburg. Konzern verzeichnet 2019 bislang mehr Abbestellungen als Neuaufträge. Beim Rivalen Boeing ist die Lage noch schwieriger.
So schlecht dürfte Airbus schon seit sehr langer Zeit nicht mehr in ein Geschäftsjahr gestartet sein: In den ersten fünf Monaten 2019 hat der europäische Flugzeugbauer fast doppelt so viele Stornierungen erhalten wie neue Aufträge eingingen. Bei 68 Bestellungen und 125 Streichungen – darunter 31 für den doppelstöckigen A380, dessen Fertigung im Jahr 2021 endet – ergibt sich im Orderbuch für diesen Zeitraum ein Negativsaldo von 57 Maschinen.
Allerdings spricht einiges dafür, dass sich das Bild im weiteren Jahresverlauf noch aufhellt. So unterzeichnete Chinas Staatspräsident Xi Jinping Ende März anlässlich seines Europa-Besuchs eine Rahmenvereinbarung über den Kauf von 300 Airbus-Jets der Typen A320 und A350. Sie sind bislang nicht als Festbestellung verbucht. Vor allem aber beginnt am heutigen Montag in Paris-Le Bourget die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung, die bedeutendste Messe für Zivilflugzeughersteller – und Airbus ist bekannt dafür, Neuaufträge öffentlichkeitswirksam während solcher Veranstaltungen bekanntzugeben.
Neue Aufträge kommen spärlich
Beobachter sehen die traditionsreiche Industrieschau in diesem Jahr angesichts der bisher spärlichen Neubestellungen auch als einen Stimmungsindikator. „Ich glaube zwar noch nicht an einen Einbruch der Branchenkonjunktur“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt, „aber es gibt Anzeichen dafür, dass das Umfeld bei den Fluggesellschaften rauher wird.“ Die Erträge gingen zurück, und das nicht nur in einzelnen Regionen, sondern an vielen Stellen der Welt. „Vor diesem Hintergrund sieht es nicht nach einer Messe mit Rekordaufträgen aus“, sagt Großbongardt.
Beim Airbus-Konkurrenten Boeing läuft es im Hinblick auf die Bestellungen sogar noch schlechter als bei den Europäern: Zwar orderten Kunden seit Jahresbeginn 99 Boeing-Jets, nach einer Reihe von Stornierungen und von Bereinigungen des Orderbuchs steht bei den Amerikaner unterm Strich gar ein Minus von 125 Maschinen. Zum Vergleich: Für 2018 meldete Airbus 747 Netto-Bestellungen, bei Boeing waren es 893.
Auftragsbücher sind prall gefüllt
„Allerdings haben ihre Kunden in den zurückliegenden Jahren mit vielen Großaufträgen geradezu einen Wettlauf um Lieferpositionen bei Airbus und Boeing ausgetragen“, sagt Großbongardt. Angesichts dieser Orderflut und dem Berg von ausstehenden Lieferungen – rund 7200 bei Airbus, gut 5500 bei Boeing – fuhren beide Flugzeugbauer ihre Produktionsraten immer weiter hoch. Während Mitte 2015 in den Airbus-Werken noch 43 Kurz- und Mittelstreckenmaschinen der A320-Familie pro Monat gefertigt wurden, sollen es in diesem Sommer schon 60 sein, im Jahr 2021 will man eine Monatsrate von 63 Jets erreichen. Mehr als die Hälfte dieser Flieger wird in Hamburg endmontiert.
Doch der „aggressive Produktionshochlauf“ ist nach Einschätzung von Großbongardt gemessen an den langfristigen Prognosen für den Luftfahrtmarkt bereits jetzt überzogen: „Es besteht durchaus das Risiko, dass man auf die Bremse treten muss, anstatt noch weiter Gas zu geben.“
Boeing verzichtet in Paris auf 737 Max
Tatsächlich hat Boeing die monatliche Fertigungsrate für die 737-Reihe im April von zuvor 52 auf 42 Flugzeuge gekürzt. Das hat jedoch einen Grund, der nicht mit der Marktentwicklung zusammenhängt: Nach dem Absturz einer Maschine vom Typ 737 Max im Oktober 2018 in Indonesien und einer weiteren in Äthiopien im März diesen Jahres mit zusammen 346 Todesopfern verhängten Flugsicherheitsbehörden ein praktisch weltweites Verbot von Passagierflügen mit der modernsten 737-Variante. In diesem Zusammenhang zeigt Boeing auf der Messe in Paris auch keine 737 Max, sondern nur eine zum Frachter umgebaute ältere 737-Ausführung.
Zwar hat der Konzern eine elektronische Steuerhilfe, die erstmals in der neuesten Generation der Kurz- und Mittelstreckenjets aus Seattle verwendet wird und die nach dem Eingeständnis von Boeing bei beiden Unglücken eine Rolle spielte, inzwischen technisch verändert. Die behördliche Zulassung dieser Anpassung steht aber noch aus. Boeing-Chef Dennis Muilenburg, der an zwei der zahlreichen Testflüge mit dem neu programmierten Elektronikbauteil selbst teilnahm, rechnet mit einer Aufhebung des Verbots der Passagierbeförderung „bis Jahresende“. Ihm ist aber klar, dass es damit nicht getan ist: „Wir werden daran arbeiten müssen, Vertrauen zurückzugewinnen – und das werden wir.“
Nach Auffassung von Großbongardt wird die 737-Max-Krise zwar nicht zu massiven Abbestellungen dieses Flugzeugtyps führen, schon weil Airbus wegen der bereits für mehr als acht Jahre weitgehend ausgebuchten Produktionskapazitäten nicht so bald einspringen und den bisherigen Boeing-Kunden eine Alternative liefern könne. „Es besteht aber die Gefahr, dass das Vertrauen der Passagiere in die 737 Max nachhaltig beschädigt ist“, sagt der Experte. „Damit wäre Boeing womöglich gezwungen, viel früher als vorgesehen über einen 737-Nachfolger nachzudenken.“
Airbus zeigt A321 mit 7400 Kilometern Reichweite
Bis zu einer solchen Entscheidung könnte der Wettbewerber aus Europa, der im Segment der Kurz- und Mittelstreckenjets ohnehin schon die Nase vorn habe, seine Marktführerschaft noch weiter ausbauen. Auf der Messe in Le Bourget zeigt Airbus das Spitzenmodell dieser Flugzeugkategorie, das seit einigen Monaten große Aufmerksamkeit in der Branche erregt, auch wenn es äußerlich keine Besonderheiten zeigt: Zusätzliche Tanks im Frachtraum ermöglichen es dem A321LR, mit 206 Passagieren bis zu 7400 Kilometer weit zu fliegen. Das reicht auch für Transatlantikstrecken aus. Derzeit versetzt Airbus Mitarbeiter aus dem Ausland nach Hamburg, um die Produktion dieses A321-Modells mit seiner gegenüber anderen Typen der A320-Familie aufwendigeren Kabine schnell hochfahren zu können.
Dabei gibt es aber schon Spekulationen, wonach das Airbus-Management auf der Messe die Entwicklung einer A321-Ausführung für sogar noch längere Flüge verkünden könnte: Ein A321XLR, an dem bereits mehrere Airlines Interesse angemeldet haben, könnte noch ungefähr 1500 Kilometer weiter fliegen.