Hamburg. Zahl der offenen Stellen um mehr als 19 Prozent gestiegen. Ladeninhaber bieten Yoga-Kurse, Kinderbetreuung und vieles mehr.
Das Schild hängt immer noch da – am Schaufenster der Teemanufaktur Tee Maass, auf dem „Verkäufer gesucht“ steht. Es hängt schon seit einigen Wochen dort – Bewerbungen gab es bisher aber keine. Jeanett Didszon, Filialleiterin von Tee Maass an der Börsenbrücke in der Innenstadt, sucht eine geeignete Arbeitskraft für den Verkauf in ihrem kleinen Teeladen auf 30-Stunden-Basis. „Bisher wurde noch keine einzige Bewerbung eingereicht“, klagt sie.
Auch Tillmann Knoerehagel, stellvertretender Filialleiter von der Sportbekleidungsmarke Odlo in der Großen Johannisstraße, weiß um die Schwierigkeiten, passendes Personal zu finden: „Wir haben mehrere Monate eine Aushilfe gesucht“, sagt er. „Auf die Stelle erhielten wir aber nur drei Bewerbungen.“ Die Suche nach geeignetem Personal sei beschwerlicher als früher und dauere länger. „Früher konnten wir uns die Angestellten aussuchen. Aufgrund des Fachkräftemangels gestaltet sich die Suche nach geeignetem Personal deutlich schwieriger.“
Die Statistik ist eindeutig
Viele Unternehmen im Einzelhandel klagen über Personalmangel. In der aktuellen Statistik der Hamburger Arbeitsagentur stehen Arbeitssuchenden insgesamt 1236 Stellen im Einzelhandel zur Verfügung, im Vergleich zum vorherigen Jahr ist der Personalbedarf damit um 19,3 Prozent gestiegen. Im Schnitt konnte eine Stelle deutschlandweit erst nach 135 Tagen vergeben werden. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 36 Tagen, in Hamburg betrug die Wartezeit 111 Tage – eine lange Durststrecke.
„Die flexiblen Arbeitszeiten und auch die Sonnabendarbeit ist für viele potenzielle Bewerber wahrscheinlich nicht sehr reizvoll“, sagt Eugen Pfloh, Filialleiter beim Herrenausstatter Anton Meyer in der Kleinen Johannisstraße. Er blickt auf eine lange Karriere im Einzelhandel zurück, war zehn Jahre bei Peek & Cloppenburg und hat dort ähnliche Erfahrungen gesammelt: „Manche Angestellte haben schon nach ein paar Tagen das Handtuch geworfen, weil ihnen die Arbeit zu viel war und sie mit den flexiblen Arbeitszeiten nicht zurechtkamen.“
Langjähriges Know-how muss ersetzt werden
Knut Böhrnsen, Sprecher der Agentur für Arbeit in Hamburg, sieht das ähnlich. So sei seiner Ansicht nach die fachlich fehlende Eignung oft ausschlaggebend, aber auch die Schwierigkeit Familie und Beruf im Einzelhandel zu vereinen. Generell sei der Fachkräftebedarf aber branchenübergreifend sichtbar: „Durch den demografischen Wandel und die damit ausscheidenden Babyboomer bleibt der Fachkräftebedarf hoch, weil diese Mitarbeiter kurz- oder mittelfristig ersetzt werden müssen“, sagt Böhrnsen. „Deren langjähriges Know-how muss ersetzt werden, was nicht von heute auf morgen geht.“
Brigitte Nolte, Geschäftsführerin des Handelsverbandes Nord, spricht von einem bundesweiten Trend: „Grundsätzlich ist es für Einzelhandelsunternehmen in allen Bundesländern schwieriger geworden, qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zu finden.“ Den Hauptgrund für die Schwierigkeit der Geschäfte, offene Stellen zu besetzen, sieht sie auch in der guten Wirtschaftslage: „Alle Branchen leiden unter dem Fachkräftemangel. Im Vergleich zu früheren Generationen planen junge Menschen heute Karrieren, die nicht unbedingt an ein Unternehmen gebunden sind. Die Möglichkeiten sind deutlich vielfältiger.“ An Attraktivität hat das Berufsbild lau Nolte nicht eingebüßt: „Die Aufstiegschancen im Einzelhandel sind sehr gut und durch den Onlinehandel ist ein neues Berufsbild entstanden: der E-Commerce-Kaufmann. Diese Möglichkeiten der beruflichen Bildung und Karriere müssen aber besser kommuniziert werden.“
Kleine Geschäfte leiden besonders
Generell litten aber die kleinen Geschäfte besonders stark unter dem Personalmangel. Denn die großen Unternehmen können sich laut Nolte eine ganze Reihe von Benefits leisten und viel Zeit und Geld in Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter stecken. „Den zahlreichen kleinen Unternehmen ist dies oftmals nicht möglich.“
So bietet der kriselnde Einzelhandelskonzern Tom Tailor seinen Angestellten beispielsweise Yoga-Kurse, eine Mitgliedschaft in Fitnessvereinen oder die Kooperation mit einem Familienservice zur Kinderbetreuung an. Weil Bewerber spärlich sind, agieren Unternehmen vielfältig. „Sie gucken auch im Betrieb, welche Mitarbeiter gezielt weitergebildet und gefördert werden können“, so Böhrnsen. „Lebenslanges Lernen ist hier ein wichtiger Aspekt“.
Trotz hoher Werbeausgaben und Goodies ist es aber auch für größere Unternehmen deutlich schwieriger geworden, geeignete Bewerber zu mobilisieren. Nicole Hulka, Sprecherin von Tom Tailor, berichtet, dass man im vergangenen Jahr 368 Stellen im Verkauf ausgeschrieben hatte, davon konnten 308 Stellen besetzt werden. Mit internen Programmen wie „Mitarbeiter empfehlen Mitarbeiter“ versuche man zudem, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken: „Jeder Mitarbeiter, der einen geeigneten Kandidaten für uns empfiehlt, wird durch eine Prämie belohnt“, sagt Hulka. So hoffe man, geeignete Kollegen zu finden, die das „Entdecker-Gen leben“ und Lust haben, Tom Tailor aktiv mit nach vorne zu bringen.
Auch bei der Hamburger Drogeriemarktkette Budnikowsky ist der Personalbedarf groß, wie Sprecherin Wiebke Spannuth dem Abendblatt sagt. „Wir haben 50 offene Stellen, suchen vor allem Aushilfen und Teilzeitkräfte.“ Bei Filialleitern seien auch Quereinsteiger aus anderen Branchen willkommen. Um diese für Budnikowsky zu begeistern, veranstalte das Unternehmen regelmäßig extra Informationsabende. Als Vorteil für die eigenen Beschäftigten nennt Spannuth den Mitarbeiter-Rabatt bei Einkäufen in den Filialen in Höhe von zehn Prozent. Doch trotz dieser und anderer Goodies weiß Spannuth: „Gute Leute zu finden auf diesem engen Arbeitsmarkt ist sehr, sehr schwierig“.
Auch Tchibo sucht Personal
Der Kaffeeröster Tchibo hat bereits vor drei Jahren mit Blick auf den enger werdenden Bewerbermarkt die Zahl der Auszubildenden verdreifacht und setzt auf den „eigenen Nachwuchs“, so Firmensprecher Arnd Liedtke. Allein 2019 werden in den deutschen Filialen etwa 140 Azubis neu starten, die Kaufleute im Einzelhandel werden wollen. „Wir geben Übernahmegarantien“, so Liedtke. Für die Mitarbeiter, zumeist Frauen, sei vor allem die familiengerechte Gestaltung der Arbeitszeit wichtig. Neben guter Bezahlung orientiert an den Tarifgehältern, Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Deputaten (Kaffeepakete sind umsonst) biete Tchibo flexible Arbeitszeiten, dezentrale Einsatz-Planung in den Filialteams, Förderprogramme für den Führungsnachwuchs und ein Unterstützungsangebot über einen externen Familienservice, etwa wenn die Kinderbetreuung ausfällt. „Der Personalmarkt ist eng und wird eng bleiben. Es gilt der Wettbewerb um die besten Kräfte“, sagt Liedtke. Bundesweit hat das Unternehmen aktuell 140 offene Stellen in den Filialen.