Hamburg. Der Chef der Hamburger Arbeitsagentur über die Jobaussichten für 2019, Ungelernte und die Integration von Flüchtlingen.

In Hamburg läuft es rund auf dem Arbeitsmarkt. Die Hansestadt wird auch im kommenden Jahr von der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften und dem ausgewogenen Branchenmix profitieren. Nicht nur die Arbeitslosigkeit dürfte deshalb weiter sinken, gleichzeitig wird wohl auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den Unternehmen in der Stadt wachsen, erwartet Sönke Fock, der Chef der Agentur für Arbeit.

Herr Fock, wann wird die Marke von 60.000 Arbeitslosen unterschritten?

Sönke Fock: Ich erwarte, dass wir nächstes Jahr im Sommer weniger als 60.000 Arbeitslose in der Hansestadt haben werden. Diesen Wert hatten wir zuletzt im Dezember 1992 erreicht. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt aus meiner Sicht bei 80 Prozent.

Wie lange wird diese günstige Entwicklung noch anhalten?

Fock: Wir verzeichnen einen ungewöhnlich lang anhaltenden Aufschwung am Hamburger Arbeitsmarkt. Seit 2014 gibt es diese Entwicklung. Für 2019 erwarte ich keine dramatischen Veränderungen, auch wenn erste Anzeichen für eine Abschwächung der Konjunktur existieren. Der Arbeitsmarkt folgt einer solchen Entwicklung erst mit einer Verzögerung von sechs bis zwölf Monaten, sodass für 2019 keine gravierend negativen Veränderungen zu erwarten sind.

Was stimmt Sie so zuversichtlich?

Fock: Es gibt zwar Risiken mit dem Brexit und den weltweiten Handelskonflikten. So hat die Bundesregierung auch ihre Wachstumsprognose für 2019 von 2,1 auf 1,8 Prozent gesenkt. Aber gleichzeitig sind die Auftragsbücher der Firmen noch sehr gut gefüllt. In Hamburg läuft der Tourismus sehr gut, und mit der Elbvertiefung sind auch wichtige Infrastrukturentscheidungen endgültig gefallen. Außerdem ist Hamburg branchenmäßig sehr breit aufgestellt. Es gibt keine Monopolstrukturen, die besonders anfällig wären.

Wie wird sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Hansestadt entwickeln?

Fock: Hamburg steht vor einem neuen Rekord. Wir rechnen damit, dass wir im Sommer die Zahl von einer Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreichen. Im September 2018 waren es 988.200 Beschäftigte. Zum Jahreswechsel ist zunächst mit einem leichten Rückgang zu rechnen, bevor dann wieder der Aufbau der Stellen beginnt. In den letzten Jahren sind jährlich rund 20.000 neue Stellen in Hamburg entstanden. Die neuen Arbeitsplätze entstehen vor allem in den Bereichen wirtschaftliche und technische Dienstleistungen, Gesundheits- und Sozialwesen, Erziehung und Unterricht, aber auch Industrie und Gastgewerbe treiben die Gesamtbeschäftigung nach oben.

Welche Bevölkerungsgruppen haben in der Vergangenheit überdurchschnittlich vom starken Rückgang der Arbeitslosigkeit profitiert?

Fock: Wir haben jetzt rund 3000 weniger Langzeitarbeitslose als vor einem Jahr. In dieser Gruppe sank die Zahl der Jobsuchenden überdurchschnittlich um rund 15 Prozent. Während die Arbeitslosigkeit 2018 insgesamt um rund sechs Prozent sank, ging sie bei Alleinerziehenden und Menschen mit Behinderung um rund elf Prozent zurück.

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Wie ist die Lage bei den Flüchtlingen?

Fock: Die Integration in den Hamburger Arbeitsmarkt gelingt besser, als wir das zunächst nach den Prognosen der Arbeitsmarktforscher erwartet hatten. 1300 Geflüchtete machen gegenwärtig eine betriebliche Ausbildung, 9500 haben bereits eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen. 6350 Flüchtlinge sind im Moment arbeitslos gemeldet, hatten aber zum Teil vorher schon eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Wenn man diese drei Gruppen zusammenrechnet, dann haben oder hatten seit 2015 schon mehr als die Hälfte der Hamburger Flüchtlinge eine Beschäftigung. Diesen Beschäftigungsgrad hatten die Arbeitsmarktforscher 2015 erst nach fünf Jahren erwartet. In Hamburg wurde das schon nach drei Jahren erreicht. Insofern ist die Bilanz für Hamburg sehr positiv.

Wie können mehr Ungelernte einen Berufsabschluss erwerben?

Fock: Es fehlt bei uns nicht an den Mitteln oder passenden Angeboten, jemanden über eine abschlussbezogene Umschulung zur Fachkraft zu qualifizieren, es gibt aber zu wenig Interessenten. Das liegt unter anderem an der guten Arbeitsmarktlage. Wenn die Auftragsbücher voll sind, denken die Firmen nicht an Qualifizierung ungelernter Mitarbeiter, sondern wollen die Aufträge abgearbeitet haben und auch arbeitssuchende Ungelernte finden schneller einen Job. Allerdings verlieren sie ihren Arbeitsplatz in Abschwungphasen auch viel schneller. Langfristig haben wir mit Arbeitslosen ohne Ausbildung und Abschluss ein Problem. Ihr Anteil an der Gesamtarbeitslosigkeit ist konstant hoch und liegt seit Jahren zwischen 54 und 57 Prozent, Tendenz steigend.

Warum tun sich Ungelernte mit einer Qualifizierung so schwer?

Fock: Eine solche Umschulung dauert bis zu 24 Monate und ist für die Teilnehmer eine große Herausforderung, weil sie schon lange aus der Schule heraus sind. Die Teilnehmer brauchen Durchhaltewillen, Geduld und auch ein familiäres Umfeld, das ihre Bemühungen unterstützt. Leider gibt es auch für die Zeit der Umschulung keinen zusätzlichen finanziellen Anreiz.

Warum gestaltet sich für viele Schulabgänger die Berufswahl so kompliziert?

Fock: Das ist nachvollziehbar, denn das Angebot ist mit über 300 Ausbildungsberufen in Hamburg überwältigend. Doch keine andere Entscheidung im Leben lässt sich so gut planen wie der künftige Berufsweg. Ich rate deshalb, sich früh mit dem Thema zu beschäftigen. Selbst wenn noch kein Berufswunsch feststeht, lohnt es, sich Gedanken über eigene Stärken und Talente zu machen.

Die Prognose für die Top 200 der Hamburger Unternehmen: