Hamburg. Jahresendspurt führt dazu, dass Teil der Beschäftigten auch an den Festtagen arbeitet. Konzernchef spricht von einem Höllenritt.

„Major Tom“ ist für seine deutlichen Worte bekannt. „Das wird natürlich ein Höllenritt, aber das Ziel ist machbar“, sagte der Airbus-Vorstandschef Thomas Enders im Juli über die für dieses Jahr geplante Auslieferungszahl. Im Januar gab der Konzern die Marke von 800 Flugzeugen aus, die an Airlines übergeben werden sollen. Bis Ende November waren es aber nur 673 Stück. Entsprechend gibt es für die weltweit 130.000 Mitarbeiter einen heißen Dezember. 127 Jets müssen im letzten Jahresmonat abgeliefert werden, mehr als doppelt so viele wie bisher pro Monat – aber Airbus ist optimistisch, die Marke zu schaffen. „800 Auslieferungen sind nach wie vor das Ziel. Daran halten wir unverändert fest“, sagt Sprecher Stefan Schaffrath dem Abendblatt. Wie viele an den bisherigen Dezember-Tagen schon ausgeliefert wurden, sagt er nicht.

Aber wie soll der Jahresendspurt gelingen? Das Unternehmen verweist auf mehrere Faktoren. Zum einen sei die Zahl der Mitarbeiter im A320-Programm angesichts des Ratenhochlaufs um mehrere Hundert Mitarbeiter erhöht worden, sagt der Hamburger Airbus-Sprecher Heiko Stolzke. Der Kurz- und Mittelstreckenjet ist der Topseller. Aufträge über mehr als 6000 Maschinen stehen in den Büchern. Die Fertigungsrate wird von 44 pro Monat Ende 2015 auf 60 Mitte des nächsten Jahres erhöht. Das Werk auf Finkenwerder mit seinen rund 12.700 Beschäftigten erhielt dafür eine vierte Endmontagelinie. Gut die Hälfte aller A320-Flugzeuge sind made in Hamburg. Der Personalaufbau schließt Bereiche wie das Auslieferungszentrum und die Flugtestcrews mit Piloten, Ingenieuren und Technikern ein.

Triebwerksprobleme sorgen für heißen Jahresendspurt

Zum anderen bewiesen die Mitarbeiter sehr großes Engagement und Flexibilität, so Stolzke: „Wie in den Vorjahren wird im Auslieferungszentrum in Hamburg in bestimmten Teams an den Weihnachtstagen gearbeitet.“ Beispielsweise werden Auslieferungen vorbereitet oder Airline-Kunden betreut. Für den global agierenden Konzern spielen nationale Feiertage ohnehin keine große Rolle. So ist in Frankreich und den USA der 26. Dezember kein Feiertag, in China wird das Fest kaum gefeiert. Letztlich habe sich das hohe Aufkommen zum Jahresende seit dem Frühjahr mit Bekanntwerden der Triebwerksprobleme abgezeichnet, sagt Stolzke.

Wie in den Vorjahren bereitet die A320-Familie in der neo-Version Schwierigkeiten. Ausgestattet mit neuen Triebwerken und nach oben gebogenen Flügelspitzen soll der Spritverbrauch um rund 15 Prozent sinken. Doch die beiden Antriebshersteller hatten massive Pro­bleme. Das US-Unternehmen Pratt & Whitney lieferte knapp drei Monate lang keine Aggregate. Mitte Februar gab die Europäische Flugsicherheitsbehörde EASA eine dringliche Lufttüchtigkeitsanweisung heraus – das ist nach dem sofortigen Grounding die höchste Gefahrenstufe. Maschinen mit kurz zuvor ausgelieferten Triebwerken mussten nach spätestens drei weiteren Flügen am Boden bleiben, wenn beide Motoren aus mehreren beanstandeten Serien stammen. Abheben durften sie erst nach einem Triebwerkswechsel wieder. Betroffen waren etwa 40 Flugzeuge. Als das Problem gelöst war, wurden zuerst die am Boden stehenden Maschinen mit Ersatz beliefert. „Der zweite Anbieter CFM schaffte den Produktionshochlauf nicht“, sagt Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt.

Situation hat sich deutlich verbessert

Der Schlamassel wurde im Juni auf Finkenwerder und in Toulouse sichtbar. Dort standen rund 100 „Glider“, fertig montierte Maschinen, denen eines fehlte: Triebwerke. Mittlerweile hat sich die Situation deutlich verbessert. Pratt & Whitney und CFM hielten sich nun an die im Jahresverlauf angepasste Planung und würden pünktlich liefern, heißt es. Und die Maschinen, die jetzt ausgeliefert werden, hätten Modifikationen und funktionierten. „Die Pratt & Whitney-Triebwerke laufen jetzt im Prinzip gut“, sagt Großbongardt. Anfang Dezember hätten nur noch um die 20 „Glider“ geparkt, sagt Schaffrath: „Bis Jahresende werden wir das auf eine einstellige Zahl reduzieren.“

Allein im November lieferte Airbus 50 neo-Maschinen der A320-Familie aus, in den ersten elf Monaten waren es 320 Stück – fast doppelt so viele wie im Gesamtjahr 2017. „Dass Airbus diesen Berg an Maschinen an die Kunden gebracht hat, ist eine Riesenleistung“, sagt Großbongardt. Mindestens zweieinhalb Wochen veranschlagt er nach der Triebwerksmontage für Systemtests, Nacharbeiten sowie Erst-, Abnahme- und eventuell weitere Testflüge.

15. Produktionsrekord in Folge

Es ist knapp zwei Jahre her, dass der damalige Flugzeugspartenchef Fabrice Brégier die außergewöhnliche Leistung seiner Mitarbeiter lobte. Der Grund: Im Dezember 2016 hatte der Konzern 111 Maschinen an Kunden übergeben – doppelt so viele wie in normalen Monaten. Nur so konnte der börsennotierte Konzern das Auslieferungsziel halten. Allen Beteiligten war eigentlich klar, dass sich ein solcher Ritt auf der Rasierklinge nicht wiederholen sollte. Schließlich bedeutet er für Mitarbeiter und Kunden viel Stress. Doch bereits ein Jahr später folgte das Da-capo. Der 15. Produktionsrekord in Folge wurde geschafft, es gelang ein Plus von vier Prozent auf 718 ausgelieferte Flugzeuge – dank des Dezembers mit 127 übergebenen Jets. Diese Zahl muss nun wieder erreicht werden, um die Planzahl 800 zu erreichen. „Das kann nur gelingen, wenn die Kunden praktisch keine Beanstandungen haben“, sagt Großbongardt.

Im Herbst machte Airbus bei den Auslieferungen allerdings schon Abstriche. Entgegen der ursprünglichen Planung rechnet der Konzern nun in diese Zahl auch die neue Modellreihe A220 ein. Im Oktober 2017 hatten die Europäer den Einstieg beim Mittelstreckenjet C-Series des kanadischen Herstellers Bombardier angekündigt, im Juli die Mehrheit übernommen und das Programm in A220 umbenannt.

Moderate Risiken

Bei Analysten gibt es aber Zweifel, ob das Jahresziel erreicht wird. Die Privatbank Berenberg behielt die Einstufung „Kaufen“ zwar bei, stufte das Kursziel aber von 120 auf 115 Euro ab. Für 2019 scheine sich die Produktion der Triebwerke für den A320 zwar zu stabilisieren, und der Hochlauf beim Großraumjet A350 käme gut voran, hieß es. Es gebe allerdings in diesem Jahr moderate Risiken, ob das Auslieferungsziel eingehalten werde. Anders sieht das die Credit Suisse. Der Flugzeugbauer liege auf Kurs, heißt es bei der Schweizer Bank. Das Geldhaus beließ die Einschätzung auf „Outperform“ mit einem Kursziel von 120 Euro. Am Mittwoch schloss das Papier bei 86,86 Euro.

Eng dürfte das Duell um den Titel größter Flugzeugbauer der Welt mit dem Erzrivalen ausgehen. Boeing hatte 2017 mit 763 Auslieferungen die Nase vorn. Die US-Amerikaner lieferten bis Ende November 704 Flugzeuge aus und gaben im Januar die 2018-Zielmarke mit 810 bis 815 übergebenen Maschinen an. „Das wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen“, sagt Großbongardt. Es bleibt viel zu tun – auf beiden Seiten des Atlantiks.