Hamburg. Start-ups wie U are Ok bieten die Produkte genauso an wie Budnikowsky. Einheitliches Gütesiegel gefordert.
Vor dem großen Spiegel im Badezimmer stehen Tuben, Tiegel und Flaschen. Darin Seife, Zahnpasta, Shampoo, Gesichtscreme. Was man so braucht in einer Familie mit Vater, Mutter, Kind. Nur dass in dem Lokstedter Haushalt die Kosmetikprodukte natürliche Inhaltsstoffe haben. Zumindest die meisten. „Während der Schwangerschaft habe ich angefangen, mich mit Schadstoffen im Alltag zu beschäftigen“, sagt Melanie Stein. Inzwischen ist ihr Sohn vier Jahre alt. Und die 36-Jährige hat ihr Leben umgekrempelt. Statt weiter Unternehmen zu beraten, gründete die Werbefachfrau gemeinsam mit Ehemann Niels Alzen selbst eine Firma.
U are Ok heißt ihre vegane Naturkosmetiklinie. „Wir haben festgestellt, dass es hier nur wenige Angebote für junge Menschen gibt“, sagt Stein. Dabei sei in der Altersgruppe bis 29 Jahre das Bewusstsein besonders groß. Vor zwei Jahren hat das Paar aus Hamburg mit einem Labor in München angefangen, Produkte zu entwickeln. Aber U are Ok will noch ein bisschen mehr. Mit pfiffigen Slogans auf den Verpackungen wollen die Start-up-Unternehmer das Selbstbewusstsein der jugendlichen Käufer stärken. „Be Yourself Not Your Selfie“ (Sei du selbst, nicht dein Selfie) ist so einer, ein anderer „Okay is the New Perfect“ (Okay ist das neue Perfektsein) – frei nach dem Police-Hit „Message in the bottle“ (Botschaft in der Flasche) setzen sie auf die Botschaft auf der Flasche.
Silikone und Parabene in der Kritik
Immer mehr Verbraucher achten beim Einkauf auf die Inhaltsstoffe ihrer Kosmetikartikel. Silikone, Parabene, Paraffine oder Mikroplastik, die viele etablierte Kosmetikfirmen ganz selbstverständlich einsetzen, stehen massiv in der Kritik. 2017 ist der Anteil der Naturkosmetik am gesamten Kosmetikmarkt in Deutschland auf 8,8 Prozent gestiegen, zusammen mit naturnaher Kosmetik sogar auf 17 Prozent. Das geht aus dem Jahresreport Naturkosmetik hervor, den das Beratungsunternehmen Naturkosmetik-Konzepte herausgibt. Der Umsatz in der Branche liegt inzwischen bei 1,2 Milliarden Euro. Mit einem Marktanteil von 42 Prozent profitieren die Drogerieketten am stärksten von diesem Trend.
Der Hamburger Platzhirsch Budnikowsky ist nach eignen Angaben einer der größten Naturkosmetikanbieter bundesweit. In den Regalen stehen je nach Standort bis zu 40 verschiedene Marken, vom Pionier Weleda über Lavera bis zur Budnikowsky-Eigenmarke Aliqua. „Die Bedeutung von Naturkosmetik nimmt spürbar zu“, sagt eine Unternehmenssprecherin dem Abendblatt. „Es ist kein Nischenprodukt mehr, sondern mittlerweile ein starker Trend.“ Das sieht man auch beim Nivea-Hersteller Beiersdorf. Bislang hat der Kosmetikkonzern noch keine Naturkosmetikmarke im Sortiment. „Aber“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage, „wir richten uns immer nach den Bedürfnissen der Kunden.“ Weitere Angaben wollte sie nicht machen.
Mit sechs Basisartikeln gestartet
Die junge Hamburger Kosmetikfirma U are Ok mit dem schwarzen Schaf im Logo ist vor gut einem Jahr mit sechs Basisartikeln wie Gesichtscreme, Duschgel und Körperlotion gestartet. Vorher hat die Gründerin mit vielen jungen Menschen gesprochen, um Bedürfnisse und Wünsche zu ermitteln. Es gibt eine Linie für Mädchen in Rosa und eine für Jungs in Blau. Das könnte sich allerdings bald ändern. „Für die Jugendlichen spielt die geschlechtsspezifische Trennung von Produkten immer weniger eine Rolle“, hat Stein festgestellt. Die Produkte kosten zwischen 8,50 und 12 Euro. In der Sparte Naturkosmetik läge man bei den Preisen so im Mittelfeld, sagt Melanie Stein. Für Jugendliche sind sie allerdings relativ hoch.
Mehr als die Hälfte der ersten Produktion von 6000 Stück ist inzwischen verkauft. Am besten laufen Gesichtscreme und Duschgel für Mädchen. „Diese sind ausverkauft und müssen nachproduziert werden“, so die Start-up-Unternehmerin, die viel auf Messen und in den sozialen Medien unterwegs ist. Die Kunden kommen über den eigenen Onlineshop und über Amazon. Inzwischen verkauft Budnikowsky die Kosmetiklinie in einigen Filialen und auch Rewe Stanislawski & Laas in Winterhude hat das Label im Regal. Gerade laufen Verhandlungen mit der TV-Sendergruppe ProSiebenSAT.1, die U are Ok über ihr Start-up-Programm fördern will. „Wir wollen weiter wachsen und suchen derzeit intensiv einen Investor.“ Bislang verfügen sie über keine Zertifizierung nach einem bekannten Naturkosmetik-Siegel, unter anderem weil die Kosten dafür sehr hoch sind.
„Eigene Sache ausprobieren“
Aus Sicht von Silke Schwartau von der Hamburger Verbraucherzentrale ein Manko. Nicht zuletzt deshalb weil die Rechtslage bei Naturkosmetik weniger eindeutig ist als bei Bio-Lebensmitteln. „Aktuell gibt es verschiedene Siegel in der Naturkosmetik“, sagt Schwartau. Für den Verbraucher mache das die Einordnung undurchschaubar und schwierig. Die Expertin fordert vom Gesetzgeber deshalb „ein einheitliches Siegel mit klaren und transparenten Kriterien“. Nur so lasse sich sogenanntes Greenwashing verhindern. Für einen schnellen Check können Kunden auch Apps wie CodeCheck nutzen, rät die Hamburger Verbraucherschützerin. Einfach mit dem Smartphone den Produktcode einscannen, dann listet CodeCheck in Sekundenschnelle die Inhaltsstoffe von Kosmetikartikeln auf. Bei den U-are- Ok-Produkten gibt es eine weitergehende Unbedenklichkeitsbescheinigung.
Für Gründerin Melanie Stein ist die Selbstständigkeit die richtige Entscheidung, auch wenn ihr Leben als Werberin einfacher war. „Ich wollte schon immer meine eigene Sache ausprobieren“, sagt sie. Und das nicht nur im eigenen Badezimmer. Vor dem großen Spiegel steht übrigens auch eine Dose mit normalem Haarspray. Melanie Stein lächelt ein wenig verschämt. „Es gibt eben noch Produkte, bei denen die Naturkosmetik sich schwertut.“