Hamburg. Heute vor 100 Jahren ist der berühmte Reeder gestorben. Rückblick auf einen bedeutenden Hamburger, der 1918 Selbstmord beging.

Seit 1980 spricht man von der Globalisierung als Megatrend des Welthandels. Tatsächlich setzte die Internationalisierung des Handels und die zunehmende Vernetzung von Ländern und Menschen bereits vor der Wende zum 20. Jahrhundert ein – nicht zuletzt getrieben von einem europäischen Imperialismus und Kolonialismus, die das Zusammenrücken der Welt in Gang setzten. Ein Profiteur dieser ersten Welle der Globalisierung war die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, die Vorläuferin der heutigen Reederei Hapag-Lloyd. Und einer der diese Entwicklung maßgeblich mitbestimmte, war ihr ehemaliger Generaldirektor Albert Ballin.

Ballin ist heute vor 100 Jahren gestorben und die Reederei und die Hansestadt gedenken seiner mit mehreren Veranstaltungen, im Auswanderermuseum Ballinstadt sowie dem Ballinhaus, dem Hauptsitz von Hapag-Lloyd, das seine Besucher im Foyer mit dem Spruch begrüßt, den Ballin in seinem Verständnis der Globalisierung prägte: „Mein Feld ist die Welt.“

Ballin wuchs unweit des Hamburger Hafens auf

Geboren wurde Ballin am 18. August 1857 als jüngstes von 13 Kindern, vier davon stammten aus einer früheren Ehe des Vaters. Sein Geburtsort war das Haus im Stubbenhuk 17, unweit des Hafens, wo Seeleute und kleine Händler lebten – weit weg von den Wohnorten der bedeutenden Hamburger Kaufleute. Zwei gesellschaftliche Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass Ballin mit seinem Einstieg ins Berufsleben den ärmlichen Verhältnissen entkam: Das eine war der wachsende Welthandel, der sich aufgrund der Einführung des Eisenbahnverkehrs und der Frachtschifffahrt bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs innerhalb weniger Dekaden verzehnfachte. Das andere war die Massenauswanderung vor allem osteuropäischer Bürger. 60 Millionen Menschen suchten im 19. Jahrhundert eine neue Heimat in Übersee. Letzteres war zunächst Ballins Geschäftsgrundlage.

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Die "Kaiserin Auguste Victoria" von Hapag. © picture alliance / arkivi | dpa Picture-Alliance /

Sein Vater Samuel Joseph Ballin, ein aus Dänemark eingewanderter Jude, hatte 1852 in Hamburg die Auswandereragentur Morris & Co. gegründet. Nach dem Schulabschluss 1874 und dem frühen Tod des Vaters musste Albert im Alter von 17 Jahren in die Firma einsteigen. Schon 1877 war er ihr alleiniger Chef. Sein Geschäft war nicht gerade angesehen. Passageagenten galten als gewissenlose Geschäftemacher. Sie wurden von den seriösen, großen Reedereien herablassend behandelt, obgleich diese sich freilich später ihrer Geschäfte bedienten. Morris & Co besaß eine Konzession für die Vermittlung von Auswanderern aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg und dem Ausland. Die Firma organisierte deren Transport nach Großbritannien. Von dort reisten die Auswanderer mit englischen Schiffen in die Vereinigten Staaten weiter. Das Geschäft war erfolgreich. Mitte der 80er-Jahre war jeder dritte über Hamburg gehende Auswanderer Kunde von Ballin.

Die großen Reedereien wie Hapag neideten den Passageagenten deren Erfolg. Mit den größer werdenden Schiffen ließen sich immer mehr Menschen immer schneller und zu niedrigeren Raten direkt von Hamburg in die Vereinigten Staaten transportieren. Deshalb organisierten die Linienreedereien die Auswanderungen in Eigenregie. Wollte Ballin dagegenhalten, musste er selbst ins Reedereigeschäft einsteigen. Deshalb tat er sich 1881 mit Edward Carr, einem Neffen des angesehenen Hamburger Reeders Robert Miles Sloman, zusammen, der über zwei Frachtschiffe verfügte. Zusammen bauten sie diese für den Auswanderertransport um, indem sie ein Zwischendeck für Passagiere einzogen. Sie verzichteten auf die kostspieligen Kajütenklassen der großen Hapag-Dampfer. Ballin und Carr konnten ihre Passagen dadurch sehr viel günstiger anbieten.

1893 adoptierte Ballin mit seiner Frau ein Waisenkind

Und Ballin verdiente ordentlich. 1883 heiratete er Marianne Rauert, Tochter eines Hamburger Tuchhändlers. Anders als die Ehe seiner Eltern blieb seine eigene kinderlos. Allerdings adoptierte Ballin mit seiner Frau 1893 ein Waisenkind, dessen Eltern bei der Choleraepidemie im Jahr zuvor gestorben waren.

So gut es beruflich für Ballin lief, so schlecht lief es für die Hapag. Das Unternehmen schrieb rote Zahlen, „weil die Überfahrtpreise durch Concurrenz in außerordentlichem Maße gedrückt wurden“, wie es im Geschäftsbericht 1884 hieß. 1895 lief nicht besser, und so beschloss die Hapag-Führung 1896, ihre Gesellschaft mit Morris & Co zusammenzulegen. Ballin wurde Chef der Passageabteilung bei Hapag. Er war gerade 29 Jahre alt.

Die heutige Hapag-Lloyd-Firmenzentrale am Ballindamm
Die heutige Hapag-Lloyd-Firmenzentrale am Ballindamm © picture alliance / Bildagentur-o | dpa Picture-Alliance / Bildagentur-online/Ohde

Nur zwei Jahre später saß Ballin schon im Vorstand. Elf Jahre danach wurde er Generaldirektor der Hapag. Eine beispiellose Karriere für den Jungen aus einer armen Einwandererfamilie. Kein Abitur, keine Ausbildung, geschweige denn ein Studium. Er hatte sich alles selbst erarbeitet.

1891 erfand Ballin die Kreuzfahrt

Und sein Erfolg setzte sich auch bei der Hapag fort. Ballin erfand für die stürmischen Wintermonate, in denen die Passagierschiffe nicht ausgelastet waren, die Kreuzfahrt. 1891 schickte er die „Kaiserin Auguste Victoria“ erstmals mit betuchten Reisenden ins Mittelmeer. Unter seiner Führung stieg das Aktienkapital der Firma von 15 Millionen Mark bei seinem Dienstantritt auf 157,5 Millionen Mark im Jahr 1914. Die Hapag unterhielt 73 Liniendienste in alle Welt und besaß 175 Dampfschiffe, darunter die damals größten Passagierschiffe wie die „Imperator“. Hapag war kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die größte Reederei rund um den Globus. Das lag nicht zuletzt an der weitsichtigen, aber auch kompromisslosen Haltung ihres Chefs. Ballin verdiente an der Notlage Hunderttausender entwurzelter Menschen, die Hungersnöten, Vertreibung oder Kriegen in ihrer Heimat zu entkommen versuchten. Andererseits setzte Ballin eine menschenwürdige Versorgung der Auswanderer durch. Dazu gehörten eine ärztliche Betreuung sowie Schlafplätze, in den eigens errichteten Auswandererhallen der Ballinstadt.

Angesehen war Ballin in Hamburgs Kaufmannschaft jedoch lange nicht, obgleich er bereits 1882 das Hamburgische Bürgerrecht erworben hatte, das nur wohlhabenden, regelmäßig Steuern zahlenden Männern offenstand. Zum einen lag die Zurückhaltung an der Geringschätzung seiner beruflichen Herkunft als Passageagent, zum anderen an der Tatsache, dass er Jude war.

Ballin wurde Ratgeber von Kaiser Wilhelm II

Dennoch galt er als einer der bedeutendsten Männer des nach Weltgeltung strebenden Deutschen Reiches. Er erregte wegen seines Erfolges die Aufmerksamkeit des Kaisers Wilhelm II und wurde dessen Ratgeber, trotz der damals schon ausgeprägten antisemitischen Strömungen im Reich. Obgleich sie aus weit entfernten Bevölkerungsschichten stammten, verstanden sich beide auch privat gut. Ballin galt bald als „Freund und Reeder des Kaisers“, der ihn jeden Sommer in dessen Villa in der Feldbrunnenstraße besuchte.

Doch der Reeder änderte seine monarchistische Haltung in den Jahren des Wettrüstens zwischen Deutschland und Großbritannien vor dem Krieg. Immer wieder warnte er vor den Folgen und versuchte Lösungen für einen Frieden zu suchen. Kurz vor dem Zusammenbruch des Kaiserreichs hatte Ballin mit dem Kaiser abgeschlossen. „Der Krieg, der dem Charakter des hohen Herrn völlig zuwider lag, hat doch so zer­mürbend auf ihn gewirkt, dass man auch in seinem Interesse nur wünschen könnte, dass ihm der Rückzug in ein behagliches Privatleben ermöglicht werde“, schrieb Ballin an Wolff Metternich Ende Oktober des Jahres 1918.

Albert Ballin nahm sich am 9. November das Leben

Am 4. November kam es in Kiel zum Matrosenaufstand. Kurz danach griffen die Proteste auf Hamburg über. Der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat verkündete, die Macht übernommen zu haben und ließ am 8. November das Hapag-Gebäude besetzen. Ballin, so heißt es, habe diesen Akt äußerlich gefasst aufgenommen. Innerlich hatte er den Angriff und die Zerstörung seines Lebenswerks wohl nicht verkraftet. Am Nachmittag verließ er das Gebäude und ging zu Fuß nach Hause. Dort ließ er sich von seinem Diener ein Glas Wasser bringen und schluckte eine Überdosis Beruhigungsmittel. Der Schriftsteller Theodor Plivier beschrieb Ballins Ende so: „Von der gewaltigen Perspektive Ballins auf die Schiffahrtslinien seiner Gesellschaft, die wie ein Netz den Erdball umspannen, blieb nichts weiter als ein letzter blinzelnder Blick auf das Wasserglas.“ Am 9. November starb Albert Ballin, am selben Tag als Philipp Scheidemann vom Balkon des Berliner Reichstags die Republik ausrief.