Hamburg. Hightech-Rollatoren, Gehstöcke mit GPS und Stützstrümpfe in bunten Farben. Eine Branche erfindet sich neu.
Eine eigene Zeitschrift, die ihren Vornamen trägt, hat Barbara Schöneberger seit knapp drei Jahren. In diesen Tagen will Deutschlands umtriebigste Moderatorin zudem einen Internet-Radiosender namens Barbaradio starten. Deutlich weniger öffentliches Aufsehen erregte ein anderer Job, den die 44 Jahre alte zweifache Mutter seit knapp einem Jahr erledigt: Schöneberger macht Werbung für Kompressionsstrümpfe, die bis vor wenigen Jahren für gewöhnlich noch als Stützstrümpfe bezeichnet wurden.
Sie ist Markenbotschafterin des süddeutschen Herstellers Medi, das Gesicht der Kampagne „Starke Wirkung für starke Frauen“ und erklärt in YouTube-Videos, warum es ihr besser geht, wenn sie „Hightech-Strumpfhosen“ trägt. Die Kampagne wurde neulich mit einem Preis für Medizin-Kommunikation ausgezeichnet. Begründung der Jury: Mit Schöneberger sei es gelungen, ein Thema voller Vorurteile erfolgreich und kompetent für eine breite Zielgruppe aufzubereiten.
Zu besichtigen ist das seit Kurzem auch am Alten Wall in der Hamburger Innenstadt. In einer der teuersten Einkaufsstraßen der City hat vor einigen Wochen ein Sanitätshaus eröffnet, das mit dem Klischee vom kleinen, leicht angestaubten Bandagen- und Krückstock-Laden so gar nichts mehr zu tun hat. Meevo präsentiert sich wie ein Designerladen, auf immerhin 280 Quadratmetern werden Gehhilfen, elektrisch angetriebene Rollstühle, orthopädische Einlagen, Bandagen und Orthesen präsentiert wie in einem schicken Möbel- oder Sportgeschäft. In diesem Laden geht es um Prävention, um gesundheitliche Einschränkungen und auch um Krankheiten – aber er sieht überhaupt nicht danach aus.
Anfang einer neuen Bewegung
„Wir versuchen, dieses etwas angestaubte Image zu drehen. Die Branche steht am Anfang einer neuen Bewegung“, sagt Arlett Chlupka. Sie ist eine der drei jungen Geschäftsführer der Meevo Healthcare GmbH und zeichnet gemeinsam mit Florian Birner und Simon Maass für das operative Geschäft verantwortlich. Die Initialzündung kam vom Hamburger Kaufmann Peter Baron von Le Fort, der gemeinsam mit seiner Tochter seit 2011 zudem das bereits 1869 gegründete Hamburger Sanitätshaus Schattschneider betreibt, das an den Colonnaden liegt. Der Konkurrent Schroll ist am Jungfernstieg präsent.
Entwickelt wurde das Meevo-Konzept im Detail von den jungen Geschäftsführern. Neben ihnen gehören auch Orthopädiemeister Thomas Schneider und mehrere stille Gesellschafter zu den Anteilseignern. Meevo ist eines der ersten, aber nicht das einzige Fachgeschäft in Hamburg, das den Spagat versucht, einerseits die Bedürfnisse der klassischen Sanitätshaus-Kunden zu befriedigen, die mit einem Rezept vom Arzt kommen, und solchen „die sich und ihrem Körper etwas Gutes tun wollen“, wie Arlett Chlupka sagt.
Unlängst eröffnete in der ehemaligen Oberpostdirektion am Stephansplatz ein sogenanntes Lifestyle-Sanitätshaus, das zunächst Renovatio hieß und seit Kurzem unter S’tatics firmiert. Hinter dem Unternehmen, das auch eine Filiale in Wedel betreibt, steht unter anderem der ehemalige Fußball-Nationalspieler und HSV-Profi Marcell Jansen.
Ausgefeilte Bewegungsanalysen
3-D-Körpervermessung und technisch ausgefeilte Bewegungsanalysen gehören auch bei Meevo zum Standard, spezielle Fußvermessungssysteme helfen, die genaue Passform einer orthopädischen Einlage zu finden. Doch auch die klassischen Sanitätshausartikel wie Rollatoren und Stützstrümpfe wurden einem stetig wachsenden Publikum angepasst, das zwar über erste Zipperlein oder gar massive körperliche Einschränkungen klagt – aber jung und modern erscheinen will. Und auch bereit ist, dafür etwas mehr auszugeben. Fleischfarben geht bei Kompressionsstrümpfen kaum noch. Schöneberger preist Modelle in poppigen Farben an, manche spitzenbesetzt und halterlos wie aus dem Dessousladen.
Und Rollatoren werden mehr und mehr zum Hightech-Produkt. Besonders leichte Modelle mit Carbon-Rahmen sind längst auf dem Markt, oft kann zwischen verschiedenen Lackierungen gewählt werden. Meevo bietet ein Modell an, das einen Lichtstreifen auf den Boden zwischen den Hinterrädern wirft – und den Nutzer so animiert, große Schritte zu machen, statt zu schlurfen. Auf Rezept gibt es das allerdings nicht.
Selbst bei einem profanen Gehstock sind noch Innovationen möglich. In das mit 389 Euro teuerste Modell im Meevo-Sortiment ist ein kleiner Sender integriert. Verwirrte Senioren, die dazu neigen, bei unbeaufsichtigten Spaziergängen die Orientierung zu verlieren, können so per GPS geortet werden.