Hamburg. Immer mehr Hamburger Unternehmen schicken ihre leitenden Angestellten in Diagnostik-Zentren – günstiger als Krankschreibungen.

Die Blutentnahme stand als Erstes auf dem Programm. Dann Ultraschall der Bauchorgane, Gefäßdiagnostik, EKG und Ul­traschall des Herzens, Lungenfunktionsprüfung und die vollständige Darmspiegelung. Danach Hautkrebs-Screening, augenärztliche Untersuchung, Bewegungscheck. Sechs Stunden lang hat sich Tina Lilje (45) durchchecken lassen – während der Arbeitszeit. Nicht beim Hausarzt, sondern im Diagnostik Zentrum Fleetinsel, das spezielle Vorsorge-Untersuchungen für Unternehmen und deren Führungskräfte anbietet. So wie Tina Lilje. Sie ist Senior Director bei Philips in Hamburg und leitet den weltweiten Kundenservice „Digitales Röntgen“.

Vor zwei Jahren hat sie das erste Mal einen dieser intensiven Vorsorge-Checks gemacht. Auf Firmenkosten. „Für Philips als Gesundheitskonzern ist die Gesundheitsfürsorge im eigenen Unternehmen geradezu eine Selbstverständlichkeit. Wir investieren viel, damit unsere Mitarbeiter in einem gesunden Arbeitsumfeld tätig sind und Vorsorgeangebote wahrnehmen können. Dies trägt viel dazu bei, dass wir als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden“, sagt Thomas Piehler, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor bei Philips.

Zahl der Check-ups mehr als vervierfacht

Rund 100 leitende Angestellte können das Angebot nutzen, 80 Prozent davon nehmen es in Anspruch. „Das ist eine großartige Sache. Im Alltag würde man sich nie die Zeit nehmen, zu fünf oder sechs verschiedenen Ärzten zu rennen. Hier hat man alle wichtigen Untersuchungen hintereinander“, sagt Tina Lilje.

Philips ist kein Einzelfall. Immer mehr Firmen bieten ihren Mitarbeitern medizinische Intensiv-Check-ups in Spezialpraxen an und übernehmen die Kosten. Otto, Tchibo, Jungheinrich und die Hochbahn – die Zahl der Unternehmen ist lang und wird jährlich länger. Im Diagnostik Zentrum Fleetinsel etwa, das mit 1780 solcher Untersuchungen jährlich zu den führenden Anbietern in Norddeutschland zählt, nimmt die Zahl der Patienten pro Jahr um rund zehn Prozent zu. Auch andere Einrichtungen bestätigen einen Anstieg: Im Preventive Care Center im sogenannten Spectrum am UKE-Gelände hat sich die Zahl der Vorsorge Check-ups seit der Gründung von 125 vor vier Jahren auf 538 im Jahr 2017 mehr als vervierfacht.

Prävention liegt im Trend

„Prävention liegt im Trend. Immer mehr Firmen erkennen, was für ein wichtiges Gut die Gesundheit ihrer Mitarbeiter ist“, sagt Anja Sachse, ärztliche Leiterin des ias Prevent Zentrums Hamburg. In Zeiten zunehmender Arbeitsverdichtung sei es für Unternehmen unerlässlich, die Gesundheit ihrer Leistungsträger zu erhalten und zu fördern. „Nur ein gesunder Arbeitnehmer ist ein produktiver Arbeitnehmer“, sagt die Medizinerin.

Ias Prevent ist einer der führenden Anbieter in der Branche und betreibt bundesweit sieben Präventionszentren. Jährlich werden dort 8000 Mitarbeiter aus rund 3500 Unternehmen durchgecheckt – in erster Linie Führungskräfte und Manager. Allein in Hamburg sind es 800 bis 1000 Patienten pro Jahr. Die sogenannten Leistungen zum Persönlichen Gesundheitsmanagement gingen „weit über herkömmliche Vorsorgeuntersuchungen hinaus“, heißt es bei ias Prevent. „Im Gegensatz zum Check-up beim Hausarzt bieten wir ein umfassendes Angebot an“, sagt Anja Sachse. Das beginne bei einer eingehenden Anamnese und reiche über umfangreiche Untersuchungen bis hin zu einem 30- bis 60-minütigem Gespräch und einem mehrseitigem Abschlussbericht.

Ärztliche Schweigepflicht

Selbstverständlich unterliegen die Ergebnisse der ärztlichen Schweigepflicht. Die Firmen, die zahlen die Untersuchungen, erfahren aber nicht, was sie ergeben haben. Diesen Service lassen sich Unternehmen einiges kosten. Im Diagnostik Zentrum Fleetinsel beispielsweise kostet der Basis Check 1670 Euro für Frauen und 1690 Euro für Männer. Für Zusatzuntersuchungen wie eine Darmspiegelung kommen noch einmal 400 Euro dazu.

Für die Firmen lohne sich das dennoch, meint Sabine Teufel. Sie ist Geschäftsführerin des Culminasceum Zentrums für Präventivmedizin, das sie mit der Internistin und Präventivmedizinerin Beke Regenbogen 2010 gründete. Sie sehen Patienten aus den unterschiedlichsten Unternehmensgruppen. „Für jeden von ihnen erstellen wir einen individuellen Untersuchungsplan“, sagt Beke Regenbogen. „Der eine Manager braucht das, ein anderer jenes“, so die Ärztin. Ein Check-up dauert 4,5 bis 5 Stunden und kostet ab 1400 Euro.

Ausfallzeiten führender Angestellter reduzieren

„Für die Firma zahlt sich das auf jeden Fall aus. Das, was die Unternehmen für Prävention ausgeben, bekommen sie an anderer Stelle zurück: durch mehr Produktivität und geringere Fehlzeiten, aber auch durch Wertschätzung und Mitarbeiterbindung“, davon sind Teufel und Regenbogen überzeugt. Es ist ein Milliardengeschäft. Der Gesundheitsexperte Volker Penter von der Unternehmensberatung KPMG schätzt, dass Firmen in Deutschland jährlich rund fünf Milliarden Euro für betriebliches Gesundheitsmanagement ausgeben.

Rund eine Milliarde davon entfallen auf Präventionsvorsorge-Untersuchungen für Führungskräfte. So die Schätzung. „Wegen des Arbeitskräftemangels erkennen immer mehr Unternehmen, dass gute Mitarbeiter eine knappe Ressource sind“, sagt Penter. Die Bereitschaft wachse, Geld auszugeben, um die Ausfallzeiten führender Angestellter zu reduzieren. Kritik, dass es den Unternehmen vornehmlich um ihre Wirtschaftlichkeit geht, weist Penter zurück. Entscheidend sei, dass die Interessen der Firma und das Wohlbefinden des Mitarbeiters im Einklang seien.

Otto bietet die Tests allen 4800 Mitarbeitern an

„Als Unternehmen sind wir davon überzeugt, dass die besonderen Anforderungen im heutigen Arbeitsleben nur mit gesunden Mitarbeitern zu bewältigen sind“, sagt Otto-Sprecher Frank Surholt. Die Einzelhandelsgesellschaft bietet seit fünf Jahren Mitarbeitern solche Check-ups an – allen 4800 Mitarbeiter. Mit diesem Service wolle man auch die Attraktivität als Arbeitgeber steigern und Bewerbern die Bemühungen um das Wohlbefinden der Mitarbeiter demonstrieren, heißt es.

Die Hamburger Hochbahn hat die Untersuchungen vor einem Jahr neu aufgenommen, bisher vorwiegend für Führungskräfte. „Gerade Führungskräfte, die regelmäßig Check-ups nutzen, haben eine höhere Affinität zum Thema Gesundheit bei sich selbst und auch bei ihren Mitarbeitern“, sagt Sprecherin Constanze Dinse.

Die Kosten, die Firmen durch Arbeitsausfallentstehen, sind enorm. Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) beliefen sich die Kosten der Arbeitsunfähigkeit in Deutschland zuletzt auf 133 Milliarden Euro pro Jahr.

Leben komplett geändert

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) begrüßt zwar grundsätzlich, wenn sich Firmen um die Gesunderhaltung ihrer Mitarbeiter kümmern, bezweifelt aber den Nutzen einiger der Untersuchungen. „Check-ups, die nicht in dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten sind, können im Einzelfall etwas nützen, in der Regel gehen wir davon aus, dass ihr Nutzen nicht belegt ist“, sagt Tobias Kurfer, Sprecher des Verbandes der Ersatzkassen. „Bei einigen dieser Angebote handelt es sich vermutlich im Wesentlichen um Wohlfühlangebote.“

Jan Tim Schüszler (48) hat vor fünf Jahren das erste Mal einen Check-up gemacht und danach sein Leben aufgrund eines damals festgestellten Diabetes- und Herzinfarktrisikos komplett geändert. Er hat 30 Kilo abgenommen und treibt jetzt Sport. Unlängst ist er beim Triathlon gestartet. „Ich weiß nicht, ob ich das ohne geschafft hätte“, sagt er und meint: ohne den Check-up, ohne die alarmierenden Ergebnisse, ohne die deutlichen Worte der Ärzte.