Hamburg . Reiner Brüggestrat kann späten Zeitpunkt der Einführung nicht nachvollziehen. Er hat seine Erfahrungen mit der Maßnahme gesammelt.

Erst vor wenigen Wochen überraschte die Haspa mit ihrer Ankündigung, von Privatkunden ab einer Anlagesumme von mehr als 500.000 Euro auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto einen Strafzins von 0,4 Prozent zu verlangen. Die Hamburger Volksbank hatte Anfang 2017 ebenfalls Strafzinsen eingeführt, sie dann aber wieder abgeschafft. Volksbank-Chef Reiner Brüggestrat spricht im Abendblatt-Interview über seine Erfahrungen mit diesem geldpolitischen Instrument und kritisiert die Haspa für den Zeitpunkt der Einführung ihres Strafzinses.

Hamburger Abendblatt: Die Hamburger Volksbank hatte bereits im Februar 2017 als erste Bank in Hamburg Strafzinsen für Privatkunden eingeführt: 0,2 Prozent ab 500.000 Euro auf Tagesgeld. Was waren die Gründe?

Reiner Brüggestrat: Damals gab es schon zwei Jahre lang Negativzinsen der Europäischen Zentralbank gegenüber Geschäftsbanken. Wir haben diese Kosten dann zur Hälfte an unsere Privatkunden weitergegeben. Denn ein Ende der EZB-Negativzinsen war nicht absehbar. Wir wollten unseren Kunden damit signalisieren, dass ein Tagesgeldkonto nicht mehr zeitgemäß ist. Um eine Rendite zu erwirtschaften, sollten sie sich Alternativen suchen.

Wie haben die Kunden reagiert?

Brüggestrat: Mir war damals wichtig, dass der Vorstand diese Negativzinsen kommuniziert – und nicht die Mitarbeiter in den Filialen den Kunden unsere Entscheidung mitteilen müssen. Diese Politik ist bei den meisten Kunden gut angekommen. Natürlich gab es auch Kunden, die weniger begeistert waren. Bei den Firmenkunden war das Verständnis von Anfang an deutlich größer als bei den Privatkunden. Insgesamt hielt sich der Unmut also in Grenzen. Das kann man an folgender Tatsache ablesen: Weil die Einführung von Negativzinsen auf Tagesgeld eine Änderung der Produktbedingungen darstellt, müssen die Kunden ihr schriftlich zustimmen. Und das haben immerhin 70 Prozent sofort gemacht.

Wie viele Kunden waren insgesamt von den Negativzinsen betroffen?

Brüggestrat: Rund 150 Kunden, davon waren die Hälfte Firmenkunden.

Der Strafzins von 0,2 Prozent wurde nur für Beträge oberhalb von 500.000 Euro genommen?

Brüggestrat: Ja, so ist es. Deshalb waren unsere Zusatzeinnahmen aus dieser Maßnahme mit zusammen 15.000 Euro für das gesamte Jahr 2017 auch eher gering. Es ging uns bei den Negativzinsen auch nicht ums Geld, wir haben das schließlich mehr als eine erzieherische Maßnahme begriffen.

Wie genau liefen die Gespräche ab und was haben Sie den Kunden als Anlagealternative empfohlen?

Brüggestrat: Wir haben sehr unterschiedlich beraten. Es gab beispielsweise den Vorschlag, einen Teil als Termingeld anzulegen oder in Aktien- beziehungsweise Immobilienfonds zu investieren. Die Bandbreite der Vorschläge war groß. Etwa die Hälfte der insgesamt 150 betroffenen Kunden sind unseren Ratschlägen übrigens gefolgt und haben ihr Geld anderweitig angelegt. Jeder Vierte hat sein Tagesgeld umgeschichtet und zum Beispiel Beträge über 500.000 Euro auf sein Girokonto bei uns überwiesen. Und die restlichen 25 Prozent sind zu einer anderen Bank gegangen.

Mittlerweile hat die Hamburger Volksbank die Strafzinsen für Privatkunden wieder abgeschafft. Warum?

Brüggestrat: Ende 2017 hatten wir mit allen Kunden gesprochen und das Problem war für uns erledigt. Heute gehen wir proaktiv auf Kunden zu, die einen besonders großen Betrag auf dem Tagesgeldkonto haben und versuchen sie von Alternativen zu überzeugen – damit sind wir sehr erfolgreich. Zudem haben wir gelernt,mit unseren Einlagen so umzugehen, dass sich unsere Zinszahlungen an die EZB in Grenzen halten.

Mit der Haspa hat nun vor Kurzem das mit Abstand größte Geldinstitut der Stadt überraschend Strafzinsen eingeführt. Ein ungewöhnlich später Zeitpunkt. Können Sie den Beschluss Ihres Konkurrenten nachvollziehen?

Brüggestrat: Nein. Mich hat der Zeitpunkt doch sehr überrascht. Denn in der Bankenbranche geht man unisono davon aus, dass die Negativzinsen der EZB bald Geschichte sein werden. Dann dürfte es für die Haspa schwierig werden, ihre Negativzinsen weiter zu begründen. Auch halte ich den Haspa-Negativzins für ein problematisches Signal an die Hamburger Anleger.

Was meinen Sie damit genau?

Brüggestrat: Die negative Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der EZB wird durch diesen Schritt der Haspa unnötig verstärkt. Denn die EZB hat ja bereits eine Wende in der Geldpolitik und auch bei den Strafzinsen angekündigt. Wenn die Haspa jetzt noch Strafzinsen mit dem Verweis auf die Zinspolitik der EZB an ihre Kunden einführt, schadet sie damit auch der europäischen Idee, die ja ohnehin von immer mehr Menschen infrage gestellt wird. Das können wir derzeit nicht gebrauchen.

Profitiert die Hamburger Volksbank von den Strafzinsen der Haspa? Also haben Sie schon Kunden vom Konkurrenten gewonnen?

Brüggestrat: Ja, es wechseln Haspa-Kunden zu uns oder fragen zumindest nach, zu welchen Konditionen sie Geld bei uns anlegen können.

Wie viele Haspa-Kunden sind bereits wegen der Negativzinsen zur Hamburger Volksbank gewechselt?

Brüggestrat: Die Zahl liegt im niedrigen zweistelligen Bereich, aber der Negativzins bei der Haspa gilt ja auch erst seit knapp zwei Wochen. Klar ist: Wir freuen uns über jeden Kunden, der zu uns kommt und wollen ihn langfristig an uns binden.

Wie lange werden wir in Deutschland noch mit diesen extrem niedrigen Anlagezinsen leben müssen?

Brüggestrat: Ich gehe davon aus, dass die EZB ihre Negativzinsen im kommenden Jahr abschaffen wird. Das wäre ein erster Schritt. Dennoch denke ich, dass die Privatkunden auch mittelfristig keine Anlagezinsen mehr von vier oder fünf Prozent bekommen werden. Sie müssen ihr Anlageverhalten definitiv ändern. Früher galt: Lass dein Geld für dich arbeiten. Nun heißt es: Du musst hart daran arbeiten, dass dein Geld für dich arbeitet. Man muss sich also selbst sehr gut über attraktive Anlageformen informieren.

Zum Schluss noch ein praktischer Tipp von Ihnen: Was empfiehlt der Volksbank-Chef als Anlage fürs Alter?

Brüggestrat: Junge Menschen sollten so früh wie möglich jeden Monat Geld für das Alter zur Seite legen, zum Beispiel in Immobilienfonds. Für ältere Menschen sind aus meiner Sicht Aktienfonds die bessere Alternative.