Berlin. Im Betrieb auf der Straße hält nur ein Dieselfahrzeug die neuen Abgas-Vorschriften ein. Experten reagieren darauf mit Unverständnis.

Die Schummeleien mancher Autohersteller bei Abgaswerten und Spritangaben haben in Deutschland seit September 2017 zu strengeren Prüfmethoden bei Neuzulassungen geführt. Der Schadstoffausstoß neuer Autotypen wird seither nicht mehr nur auf dem Prüfstand getestet, sondern zusätzlich auch im realen Betrieb auf der Straße.

Nur Wagen, die beide Tests bestehen, erhalten die höchste Abgasnorm Euro 6d-TEMP. Für Dieselfahrzeuge ist dies nach Einschätzung von Experten aktuell die beste Garantie, auch bei möglichen drohenden Fahrverboten noch in Innenstädte fahren zu dürfen.

Alle anderen zugelassenen Modelle stammen von PSA, Volvo und Kia

Dennoch hält sich die Autoindustrie in Deutschland für diese neue Zulassung zurück: Auf dem Automarkt erfüllt derzeit nur ein Dieselmodell eines deutschen Herstellers die strengen neuen Abgasnormen: der neue Mercedes-Benz CLS. Außer der Luxuslimousine von Daimler stammen alle übrigen neu zugelassenen Fahrzeugmodelle mit 6d-TEMP-Norm von der französischen PSA-Gruppe (Peugeot, Opel, DS), Volvo und Kia. Dies teilte das Bundesverkehrsministerium auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion mit, die unserer Redaktion vorliegt.

„Dass bislang nur ein einziges deutsches Dieselmodell die strengeren Vorschriften einhält, zeigt, dass bei der deutschen Autoindustrie immer noch Welten zwischen Ankündigung und Umsetzung liegen“, kritisiert der Grünen-Verkehrsexperte Stephan Kühn, der auch Mitglied des Verkehrsausschusses im Bundestag ist. „Nur eine Handvoll Diesel-Modelle erfüllt bereits die neuen Abgasvorschriften, darunter fast ausschließlich spritfressende SUVs.“

Die Standards Euro 6d-TEMP und Euro 6d gelten nur für neue Modelle

Zu den zugelassenen Diesel-Fahrzeugen nach der neuen Richtlinie zählen der Peugeot 308, der Peugeot 3008 und 5008, der Opel Grandland X, der DS 7 Crossback, der Volvo XC40, XC60 und XC90 sowie der Kia Stinger. Die neuen Abgasstandards Euro 6d-TEMP und Euro 6d gelten bislang nur für die Zulassung neuer Modelle sowie bei sehr umfangreichen Änderungen an den bestehenden Typen.

Die Hersteller sind grundsätzlich nicht verpflichtet, ihre bestehenden Modelle neu genehmigen zu lassen. Erst vom September 2019 an wird das neue Testverfahren für alle Neuwagen zur Pflicht.

Angesichts des Vertrauensverlustes nach dem Diesel-Skandal hatten viele Experten erwartet, dass Hersteller auch bestehende Modelle neu genehmigen lassen, um sich mit der Euro-6d-TEMP-Norm rühmen zu können. „Anstatt sich in Folge des Abgasskandals besonders ins Zeug zu legen, werden die Hersteller weiterhin ihrer Verantwortung nicht gerecht“, kritisiert Kühn.

„Die Autoindustrie ist dumm und dusselig“

Auch Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Center an der Universität Duisburg-Essen, blickt verständnislos auf die Hersteller: „Die Autoindustrie ist dumm und dusselig“, urteilt der Autoexperte: „Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Hersteller nicht ihre neuen Motoren nach der Euro 6d-TEMP-Norm klassifizieren lassen. BMW und Mercedes haben solche Motoren, die diese Normen erfüllen, und auch bestehende Modelle, die den Test bestehen würden.“

Sollte es künftig Fahrverbote geben, sei nicht ausgeschlossen, dass nur Euro-6d-Fahrzeuge mit Blauer Plakette in die Umweltzonen fahren dürften, meint Dudenhöffer. Unternehmen, die weiter Diesel verkaufen wollen, sollten deshalb ihre Kunden nicht im Unklaren lassen und nur die höchste Euro-Norm-Klasse anbieten: „Denn keiner kauft gerne die Katze im Sack.“

Auch der ADAC empfiehlt, Diesel mit Euro-6d-Norm oder Autos mit alternativem Antrieb zu kaufen, wer mögliche Fahrverbote umgehen mag.