Berlin. Matthias Wissmann zieht eine Bilanz seiner Arbeit als VdA-Präsident. Dabei kommentiert er auch den Vertrauensverlust der Autoindustrie.

Nach gut zehn Jahren beim Verband der Automobilindustrie strebt Matthias Wissmann keine weitere Amtszeit als Präsident mehr an. Doch für das nächste Jahrzehnt Automobilgeschichte hat Wissmann eine klare Vorstellung, wie sich die Technik der Verbrennungsmotoren, die Elektromobilität und die Digitalisierung des Autos sowie das autonome Fahren weiterentwickeln werden. Ein Gespräch über die Zukunft des Autos.

Herr Wissmann, Sie übergeben im Frühjahr Ihr Amt in einer schwierigen Zeit. Wird es in zehn Jahren noch Verbrennungsmotoren geben?

Matthias Wissmann : Die vergangenen zehn Jahre waren eine extrem disruptive Zeit, in der sich die Bedingungen für die Automobilindustrie radikal gewandelt haben. Der Beschleunigungsprozess dieser Veränderungen wird weitergehen. Auf der einen Seite das immer stärkere Aufkommen der Elektromobilität, auf der anderen Seite die immer stärkere Digitalisierung des Autos. Wir werden im Jahr 2030 viele vollautomatische Parkhäuser haben, in denen man gar nicht mehr einparken muss, sondern das Auto per Smartphone abgibt. Auch auf der Autobahn und in der Stadt wird die Automatisierung des Verkehrs steigen. Zum Glück sind rund 50 Prozent der Patente in diesem Bereich in der Hand deutscher Hersteller und Zulieferer.

Was bedeutet das für die bisherige Stärke der deutschen Autoindustrie, den Verbrennungsmotor?

Wissmann: Der Verbrennungsmotor wird auch im nächsten Jahrzehnt noch eine große Rolle auf dem Weltmarkt spielen. Aber ich sehe gleichzeitig die Elektromobilität enorm an Fahrt gewinnen, in Ländern, die sich eine hoch entwickelte Ladeinfrastruktur leisten können. Die Elektromobilität wird aber auch dort nicht den ganzen Markt bestimmen, sondern nur einen Teil davon. In Afrika, Lateinamerika und in weiten Teilen Asiens hingegen wird der Verbrennungsmotor dominant bleiben, weit über das nächste Jahrzehnt hinaus.

http://E-Autos_fahren_in_Norwegen_auf_der_Überholspur{esc#212358945}[video]

Wie bedrohlich ist dieser Wandel für unsere Arbeitsplätze in der Branche?

Wissmann: Der Weltmarkt für Automobile liegt 2017 bei rund 84 Millionen Fahrzeugen. Davon halten wir Deutschen etwa 20 Prozent, im Premiumsektor über 70 Prozent. Dieser Weltmarkt wird nach 2020 auf über 100 Millionen Fahrzeuge steigen. Wenn unsere Planung aufgeht, dann wird zwar der Markt für Verbrennungsmotoren langsamer wachsen als der Markt für Elektromobilität, aber er wird weltweit dennoch zunehmen. Und dann gibt es keinen abrupten Bruch, sondern einen schrittweisen Übergang, dem sich die Beschäftigungsseite anpassen kann.

Wenn sich aber die Politik in einzelnen Ländern oder in ganz Europa entscheiden sollte, ganze Technologien durch bürokratische Vorschriften zu verhindern oder zu stoppen, dann wird das auch zu Brüchen führen. Deshalb waren wir froh, dass die EU in ihrem Entwurf zur CO2-Reduzierung 2030 ganz bewusst von Technologieverboten Abstand genommen hat. Ich kann der Politik nur sagen: Schreibt vernünftige Rahmenbedingungen vor, aber macht keine Technologieentscheidungen. Wenn Politik oder Bürokratie bisher Technologieentscheidungen getroffen haben, dann war das regelmäßig ein schwerer strategischer Fehler. Ingenieure, Entwickler, Erfinder können bessere Wege in die Zukunft suchen, als es jeder Politiker kann.

http://Dobrindt_will_mehr_Ladestationen_für_E-Autos{esc#212817729}[video]

Werden wir dennoch Fahrverbote erleben?

Wissmann: Mein Eindruck ist, dass in der deutschen Politik das Bewusstsein da ist, dass Fahrverbote keinen Sinn machen. Aber wir müssen in ganz Europa darum ringen, dass dieses Bewusstsein durchdringt. Die Aussagen etwa der Pariser Bürgermeisterin oder mancher französischer Minister passen nicht dazu, sie lassen sich nicht mit Technologieoffenheit vereinbaren.

Aber was ist, wenn Umweltorganisationen und Aktivisten die Politik juristisch zu Fahrverboten zwingen?

Wissmann: Es gibt Leute, die berechtigte Kritik an der Softwaremanipulation der Abgassteuerung von Dieselfahrzeugen üben. Aber es gibt auch einige, die den Diesel generell angreifen und in Wahrheit die individuelle Mobilität insgesamt infrage stellen wollen. Diese Leute werden morgen den Benziner attackieren und übermorgen die Elektromobilität – und immer mit scheinbaren Klimaargumenten. Dazu gehören auch manche NGOs. Dem müssen wir uns massiv entgegenstellen. Denn damit würde ein Stück der Bewegungsfreiheit der Menschen bedroht.

Wie wollen Sie ausländische Importeure am Dieselfonds für saubere Luft in den Städten beteiligen?

Wissmann: Die deutschen Hersteller haben eine klare Zusage abgegeben, sich an dem 500-Millionen-Fonds zu beteiligen. Diese Zusage werden wir selbstverständlich einlösen. Unsere Hoffnung ist, dass unsere Kollegen von den Importeuren sich dem anschließen, denn alle haben eine Verantwortung für eine bessere Luftqualität in den Städten. Die Stickoxidemissionen des Straßenverkehrs sind – laut Umweltbundesamt – seit 1990 um 70 Prozent gesunken. Die Luft in den Städten ist nachweislich immer besser geworden.

Medial entsteht ja manchmal der Eindruck, als sei es umgekehrt. Man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Wir sind schon enorm vorangekommen. Zudem sind wir als VDA mit mehr als 20 Städten, die 2016 bei einem NO2-Jahresdurchschnittswert von mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft lagen, in engem Kontakt, damit wir durch bessere Ampelphasen, Digitalisierung, Vermeidung von unnötigem Verkehr sowie Erneuerung von Bus- und Taxenflotten schon im Jahr 2018 zu weiteren Verbesserungen kommen, um Fahrverbote zu vermeiden.

http://Abgas-Skandal-_Darum_haben_Diesel-Autos_zu_Recht_so_ein_schlechtes_Image{esc#211470073}[video]

Was halten Sie vom Vorschlag des VW-Chefs Müller, die Dieselsubventionen künftig zum Ausbau der Elektromobilität zu verwenden?

Wissmann: Ich glaube, dass das Steuersystem nicht in Stein gemeißelt ist und kluge Veränderungen verträgt, wenn man auf das nächste Jahrzehnt blickt. Aber kurz- und mittelfristig haben die Leute, die einen Diesel gekauft haben, einen Vertrauensschutz verdient. Die Automobilindustrie braucht den Diesel in den nächsten Jahren unbedingt, um die CO2-Ziele der Europäischen Union zu erreichen.

Werden die Autokonzerne die Transformation nur mit staatlicher Hilfe schaffen?

Wissmann: Gut ist der Umweltbonus, der ja zur Hälfte von der Industrie bezahlt wird und zur anderen Hälfte von der öffentlichen Hand. Denn wir haben im Jahr 2017 zum ersten Mal einen massiven Hochlauf der Elektromobilität, mit Steigerungsraten von 130 Prozent. Es macht sicher Sinn, diesen begrenzten Anreiz noch eine ganze Reihe von Jahren weiter zu setzen. Einen ähnlichen Anreiz gibt es beim Aufbau der Ladeinfrastruktur. Hier darf kein Engpass entstehen, damit der Erfolg der Elektromobilität nicht gebremst wird.

Werden die Autokonzerne bis 2020 die Zielmarke der EU zur CO2-Reduktion erreichen, oder rechnen Sie mit Strafzahlungen?

Wissmann: Wir haben das Ziel, die europäischen Vorgaben zu erreichen, aber klar ist: Würde der Dieselabsatz in den nächsten drei Jahren stark absinken, dann würde die Erreichung dieses Ziels sehr schwer werden. Wir können in den nächsten Jahren nichts gebrauchen, was die Rahmenbedingungen für den Diesel infrage stellt.

Hat die Abgaskrise das Vertrauen in die Autoindustrie zerstört?

Wissmann: Dass das Vertrauen durch die Softwaremanipulation beschädigt wurde, daran gibt es gar keinen Zweifel. Das kann man nicht schönreden. Aber aus diesen schweren Fehlern, die in einzelnen Unternehmen gemacht worden sind, lernt die Branche. Es gibt jetzt ganz neue EU-Messverfahren, „real driving emission tests“, die auch auf der Straße sehr geringe NOx-Emissionen vorschreiben. Hinzu kommt der neue Prüfzyklus WLTP mit realitätsnäheren Vorgaben für CO2-Emissionen und Verbrauch. Das sind wichtige Schritte hin zu mehr Transparenz.

Sie haben dazu die Losung ausgegeben „Null-Fehler-Toleranz bei der Rechtstreue“. Das ist Ihnen in der Branche übel genommen worden, besonders von Daimler-Chef Zetsche – verstehen Sie sich jetzt wieder besser?

Wissmann: Wir sind immer in einem freundschaftlichen Austausch. Ich bin ganz sicher: Jeder Vorstand eines großen Unternehmens tut alles dafür, um dieser Null-Fehler-Toleranz gerecht zu werden. Anders kann man in der heutigen Zeit kein Unternehmen führen.

Herr Wissmann, wenn Sie sich so gut mit den Autokonzernlenkern verstehen, warum hören Sie dann auf?

Wissmann: Weil mein Vertrag im Frühjahr 2018 ausläuft. Als ich vor zwei Jahren von allen gebeten wurde zu verlängern, habe ich gleich gesagt: Zwei Jahre, aber dann ist Schluss. Nach elf Jahren an der Spitze des Verbandes zu gehen, mit einem Lebensalter von 68 Jahren, ist legitim, ich hätte unter keinen Umständen eine Verlängerung gemacht. Man soll dann gehen, wenn es noch Beifall gibt, und nicht erst, wenn alle sagen: Es ist Zeit.

In einem Lobbyregister heißt es über Sie, Sie seien einer der einflussreichsten Lobbyisten Deutschlands und hätten zahlreiche Gesetze zugunsten der Industrie beeinflusst. Was würden Sie über sich selbst ins Register schreiben, und was sollte dort über Ihren Nachfolger stehen?

Wissmann: (lacht) Ich finde, es ist ein ganz natürlicher Auftrag eines Verbandes, der die gesamte deutsche Automobilindustrie mit über 800.000 Stammbeschäftigten vertritt – hinzu kommen einige Millionen Menschen, deren Arbeitsplätze indirekt vom Auto abhängen –, dass er die technologische Kompetenz der Indus­trie an die Politik übermittelt. Und der, wenn es Regulierungen gibt, darauf aufmerksam macht, was geht und was nicht geht. Genau das ist mein Auftrag und das wird auch der Auftrag meines Nachfolgers sein. Nicht irgendein dumpfes Lobbying ohne Sachkunde, sondern die Vermittlung des gesammelten Wissens einer Industrie, das bei einer sachgerechten Regulierung immer in Betracht gezogen werden muss.

Was wollten Sie Ihren Gegnern immer schon mal zurufen?

Wissmann: Haltet die Balance zwischen Klimaschutz und Wirtschaftspolitik! Wer nur das eine sieht und nicht das andere, gefährdet den Industriestandort Deutschland.