Hamburg. Airbus kündigt Softwarelösung für die 101 ausgelieferten Jets an. Bei Lufthansa gibt es keine Auswirkungen auf den Flugbetrieb.

Wenn neue Flugzeugtypen in den Dauerbetrieb bei Airlines gehen, treten nach kurzer oder längerer Zeit die ersten Krankheiten auf. So musste Boeing 2013 gut ein Jahr nach der Erstauslieferung sämtliche 787 Dreamliner für drei Monate aus dem Verkehr ziehen. Bei zwei Maschinen hatten sich die Batterien überhitzt, in einer am Boden geparkten Maschine brach sogar ein Feuer aus. Im Jahr vorher traf es den Rivalen Airbus. Beim Riesenjet A380 traten Haarrisse in den Tragflächen auf. Alle bis dahin ausgelieferten 68 Maschinen mussten nach einer Anweisung der europäischen Flugsicherheitsbehörde EASA überprüft und gegebenenfalls repariert werden. Nun hat es mit dem Großraumjet A350 das jüngste Modell des europäischen Herstellers getroffen.

Die EASA gab am Donnerstag eine Warnung der höchsten Dringlichkeitsstufe für den Jet heraus. Generell gehören Sicherheitshinweise der Flugaufsichtsbehörden eher zum normalen Tagesgeschäft und sind Teil der Sicherheitskultur in der Luftfahrt. „Diese Warnstufe ist aber eher selten“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt dem Abendblatt.

Eine Hydraulikpumpe im Tank könnte überhitzen

Worin besteht nun die Gefahr? Bei einer Hydraulikpumpe sei eine Anomalie festgestellt worden, teilte die EASA mit. Die Pumpe droht zu überhitzen. Gefährlich wird dies dadurch, dass sie in den Treibstofftanks sitzt. Funktioniere die Pumpe nicht einwandfrei, könnte die Temperatur rasch ansteigen. Wenn dieses Szenario unentdeckt bleibe, nicht abgestellt werde und zudem ein spezielles Sicherungssystem gegen Treibstoffexplosionen nicht aktiv sei, könnte das Hydrauliköl schließlich überhitzen. Es braucht also eine Verkettung mehrerer Fehler, bis der schlimmste Fall eintritt: eine Explosion des Treibstoff-Luft-Gemischs in dem betroffenen Tank.

Die Branche ist seit einem Unglück 1996 sensibilisiert. Kurz nach dem Start eines Jumbojets in New York kam es zu so einer Tankexplosion. Alle 230 Passagiere starben. Eine Verkettung mehrerer Fehler wie überhitzter Treibstoff, defektes Kabel und Kurzschluss führten zu dem Unglück. Als Konsequenz davon führte man Tanksicherheitssysteme ein.

Update wird derzeit im Simulator getestet

Airbus habe die Anomalie in der Hydraulikpumpe selbst festgestellt, sagte ein Unternehmenssprecher. Man kooperiere eng mit der EASA. Bereits in der vergangenen Woche habe man die 14 Fluggesellschaften informiert, die den A350 schon im Einsatz haben. Insgesamt wurden seit der Erstauslieferung im Dezember 2014 bisher 101 Maschinen an Kunden übergeben. Airbus arbeite nun an einer Software-Lösung, so der Sprecher. Dieses Update werde derzeit im Simulator getestet und könnte im nächsten Monat die Zertifizierung erhalten. Details nannte er nicht.

Laut Großbongardt könnte eine Lösung so aussehen, dass die Pumpe gesondert im Cockpit überwacht wird. Piloten erhalten dann eine Warnung, wenn eine bestimmte Temperatur überschritten wird. Als Konsequenz könnten sie die Pumpe abschalten. „Der Flieger kann dann problemlos weiterfliegen“, sagte Großbongardt. Schließlich verfüge der Jet über mehrere Tanks. Es werden auch verschiedene Pumpen eingesetzt. Der Airbus-Sprecher kündigte an, die Hydraulikpumpe dauerhaft zu beobachten. Als Konsequenz sei auch eine Designänderung möglich, sagte er: „Mittel- bis langfristig schauen wir uns nach einer Hardwarelösung um.“

Wie gravierend ist die Warnung?

Aber wie gravierend ist die Sicherheitswarnung nun? „Das ist eine kleinere Geschichte“, sagte Großbongardt. Sensibilisiert durch die New Yorker Katastrophe, sei die Branche bei solchen Erkenntnissen sehr vorsichtig. „Die höchste Sicherheitswarnstufe richtet sich nach dem Gefährdungspotenzial und nicht nach der Gefährdungswahrscheinlichkeit – und letztere ist sehr gering.“ Das heißt: Die Auswirkungen wären zwar fatal, aber eine Explosion ist kaum zu erwarten.

Bei der Lufthansa gibt man sich unaufgeregt. Der DAX-Konzern hat bisher drei A350 im Liniendienst. Eine vierte wurde kürzlich in Toulouse an die Kranich-Linie übergeben, soll in Kürze in den Flugplan integriert werden und die Strecke München-Hongkong bedienen. Bereits in der Nacht zu Donnerstag habe man verschiedene Sicherheitshinweise der EASA umgesetzt, sagte eine Sprecherin. Welche Maßnahmen konkret getroffen wurden, sagte sie nicht. Die Crews und Techniker seien informiert worden. Der Liniendienst mit den A350-Jets werde fortgeführt wie bisher.

Innenausbau des Rumpfes auf Finkenwerder

Der A350 wird nur in Toulouse endmontiert. Dennoch wird der deutsche Anteil an der Maschine mit mehr als ein Drittel angegeben. Wie bei jedem Airbus-Jet kommt das Seitenleitwerk aus Stade. Dort werden zudem die Flügeloberschalen aus Kohlefaser-Verbundwerkstoffen (CFK) gebacken. Der Jet besteht zu 53 Prozent aus dem Zukunftsmaterial, das korrosions- und ermüdungsbeständig ist. Da Hamburg mit seinen 12.500 Mitarbeitern im Konzern das Kompetenzzentrum für die Kabine ist, erfolgt der Innenausbau des Rumpfes auf Finkenwerder. Das 66,80 Meter lange Flugzeug – eine sieben Meter längere Version ist in der Erprobung – bietet Platz für bis zu 440 Passagiere.

Lufthansa lässt aber nur 300 Sitze einbauen. Großbongardt wird heute in einem dieser Stühle Platz nehmen. Er ist in Toulouse Gast beim Abnahmetestflug für den fünften A350 der Kranich-Linie. Ob er nach dem Warnhinweis der EASA ein mulmiges Gefühl habe? Großbongardt lacht: „Nein!“