Frankfurt/Hamburg. Tarifparteien einigen sich auf 4,8 Prozent mehr Lohn für 3,8 Millionen Beschäftigte. Warum der Abschluss Symbolcharakter haben könnte.

Rund 3,8 Millionen Beschäftigte der deutschen Metall- und Elektroindustrie erhalten bis Ende des nächsten Jahres deutliche Reallohnzuwächse. Arbeitgeber und IG Metall haben in der Nacht auf Freitag in Köln einen Pilotabschluss für das Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen erzielt, das auch auf die übrigen Regionen übertragen werden soll.

Der Abschluss sieht mehr Geld in zwei Stufen und eine Einmalzahlung vor. Der rückwirkend vom 1. April geltende Vertrag enthält zunächst eine Einmalzahlung von 150 Euro für die drei Nullmonate bis Juni. Danach greift am 1. Juli die erste Stufe von 2,8 Prozent. Die zweite Stufe von 2,0 Prozent gilt dann ab dem 1. April 2017 bis zum Jahresende. Bei aktuell praktisch nicht vorhandener Inflation schlägt die Erhöhung positiv auf den Geldbeutel der Beschäftigten durch.

IG Metall und Arbeitgeber einigten sich zudem auf Ausnahmeregeln für wirtschaftlich schwächere Firmen. So kann die Einmalzahlung ganz wegfallen oder verschoben werden. Die zweite Tarifstufe könne im Einzelfall drei Monate später greifen. Darüber sollen dann aber nicht wie bislang Betriebsrat und Unternehmen, sondern Gewerkschaft und Arbeitgeberverband vor Ort verhandeln und innerhalb eines Monats ein Ergebnis finden. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 21 Monaten bis Ende 2017.

Mitarbeiter bei Airbus und Daimler profitieren

Der Abschluss von Nordrhein-Westfalen soll auf die übrigen Tarifgebiete übertragen werden, hieß es unter anderem von der IG Metall Küste, die für rund 178.500 Mitglieder in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen und dem nordwestlichen Niedersachsen steht. Die Gewerkschaft will in der nächsten Woche in der Großen Tarifkommission über den Abschluss beraten und dann mit dem Arbeitgeberverband über eine Übernahme des Pilotergebnisses verhandeln. „Es ist ein ordentlicher Kompromiss, der für die Beschäftigten eine deutliche Erhöhung der Realeinkommen bedeutet“, sagte Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste. Auch die Arbeitgeberseite, Nordmetall-Präsident Thomas Lambusch, hat das heute im Pilotbezirk Nordrhein-Westfalen ausgehandelte Ergebnis der Tarifrunde 2016 als fairen Kompromiss begrüßt. Von der Einigung profitieren in Hamburg etwa Beschäftigte im Daimler-Werk oder bei Airbus.

Auch bei Analysten und Ökonomen traf die Einigung von Köln überwiegend auf Zustimmung. „Der Tarifabschluss passt in unsere Erwartungen von deutlichen Lohnerhöhungen, die aber nicht durch die Decke gehen“, sagte Commerzbank-Experte Eckart Tuchtfeld. Forscher vom gewerkschaftsnahen WSI-Institut begrüßten die Kaufkraftgewinne für die Beschäftigten. „Dies dürfte Signalwirkung haben für andere Verhandlungen – etwa in der Chemie“, sagte Tariffachmann Reinhard Bispinck voraus.

IG Metall hatte mit weiteren Streiks gedroht

Mit der nun erzielten Einigung wurde eine Eskalation des Tarifkonflikts nach Pfingsten abgewendet. Die IG Metall hatte mit einer Ausweitung des Arbeitskampfes in der kommenden Woche gedroht, falls es bei den Verhandlungen in Köln zu keiner Annäherung kommen sollte.

Der NRW-Arbeitgeberpräsident und Verhandlungsführer Arndt Kirchhoff betonte die Ausnahmeregeln für schwächere Betriebe. Der Abschluss sei ein „Türöffner für einen Wiedereinstieg in die innovative Tarifpolitik.“ Der Abschluss sei ein solider Dreiklang aus akzeptabler Lohnerhöhung, betrieblicher Flexibilität und langer Laufzeit, erklärte Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger. Die Tarifbindung der Unternehmen könne so gestärkt werden.

Wegen der erstmals seit sechs Jahren wieder ausgehandelten Differenzierungsklauseln für wirtschaftlich schwächere Betriebe sei der aktuelle Abschluss aber „wesentlich bekömmlicher“ als seine Vorgänger in den vergangenen Jahren. Nach Gesamtmetall-Berechnungen kann ein Unternehmen seine Belastung durch die Tariferhöhung um zehn Prozent absenken, allerdings erst nach erfolgreichen Verhandlungen mit der Gewerkschaft auf örtlicher Ebene. Mit dieser Differenzierung ergebe sich eine deutlich niedrigere Belastung, sagte Dulger.

Lohnkosten steigen um zehn Milliarden Euro

Der Tarifabschluss wird die Unternehmen gleichwohl mit zusätzlichen Lohnkosten in Milliardenhöhe belasten. Am Ende der Laufzeit werde die jährliche Lohnsumme von derzeit 230 Milliarden Euro um weitere zehn Milliarden Euro gestiegen sein, sagte Dulger. „Einmal mehr mussten wir an die Grenze der Belastbarkeit der Unternehmen gehen. Für die Zukunft würde ich mir mehr Lohnzurückhaltung seitens der Gewerkschaft wünschen.“

Beim Maschinenbau-Verband VDMA kamen die Lohnerhöhungen nicht gut an. „Gerade für unsere exportorientierten Unternehmen sind die Aussichten alles andere als rosig. Die Lohnerhöhungen tragen zur weiteren Verschärfung unserer Wettbewerbssituation bei“, sagte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. Er lobte die vorgesehenen Differenzierungsklauseln, die es den Betrieben ermöglichten, die zusätzlichen Belastungen zu strecken. „Wir fordern unsere Mitglieder auf, diese Möglichkeit zu nutzen.“