Serie Teil 7:Umsatzrekord dank Selbstgebackenem. In diesem Monat will Jennifer Hinze erstmals 10.000 Euro Umsatz machen.

Am liebsten würde sie sich jetzt verkrümeln. Ein paar Minuten nur. Kurz mal hinsetzen, etwas trinken. Doch Pustekuchen. Gerade sind drei Geschäftsleute in den Laden gekommen und haben Frühstück bei ihr bestellt. Jetzt muss Jennifer Hinze, 34, improvisieren. Denn ein komplettes Frühstück gibt es bei ihr eigentlich nur am Wochenende, aber nicht werktags. Zumindest noch nicht. Denn obwohl sie ihr Angebot längst erweitern wollte, fehlt das Frühstück unter der Woche immer noch auf der Karte – so wie die ganze Speisekarte an sich übrigens auch. „Das haben wir einfach noch nicht geschafft, weil so viel zu tun ist“, sagt Jennifer, während sie Quittenmarmelade, Blaubeergelee und selbst gemachten Schoko-Haselnuss-Aufstrich in Schälchen füllt, Ciabattas warm macht, frisches Brot aufschneidet und einen Teller mit Humus, Tofu und Rote-Beete-Salat herrichtet. Einfach so. Aus dem Stegreif, spontan.

„Bei mir geht es gerade zu wie in dem Lied von Fettes Brot, in dem es heißt: Das Leben ist Improvisation“, sagt Jennifer Hinze und schiebt gleich hinterher, was sie damit meint: Dass es auch drei Monate nach der Eröffnung von Grete Schulz, ihres veganen Feinkostgeschäfts mit angeschlossenem Café in Eimsbüttel, noch keine Routine gibt. Keine festen Abläufe. Dass jeder Tag anders ist. Dass es immer neue Herausforderungen gibt, Probleme – und dass sie ständig improvisieren muss.

Anderen würde das auf den Keks gehen. Ihr nicht. Sie fühlt sich dabei lebendig. Selbstständig. Autark. Frei. Fabelhaft. Naja, heute vielleicht nicht. Heute ist sie krank. Zum ersten Mal, seit sie sich selbstständig gemacht hat. Im Laden ist sie trotzdem. Natürlich. Geht ja nicht anders. Weil ihr Koch Daniel diese Woche im Urlaub ist und ihre Mitarbeitern Duygu nicht alles alleine machen kann. Weil die neue Aushilfe heute eingearbeitet werden muss. Und weil sie kein Krankentagegeld bekommt. Anfang der Woche hat es sie erwischt, ganz plötzlich. Nachts um drei ist sie aufgewacht, hat eine vor Jahren abgelaufene Aspirin Plus C genommen – und danach so gut geschlafen wie noch nie. Noch nie, seit sie ihren gut bezahlten Bankjob gekündigt hat. Seit sie einen Kredit über 80.000 Euro aufgenommen hat, nachts oft wach liegt und in Gedanken Zahlen wälzt. Seit es um ihre Existenz geht.

Die laufenden Kosten sind von 5500 auf mindestens 6000 Euro gestiegen

Ihre Existenz. Die wird im Moment vor allem vom Kuchenverkauf gesichert. „Damit machen wir den meisten Umsatz“, sagt Jennifer, während sie einen Karamell-Apfel-Walnuss-Kuchen aus der Form löst und in die Vitrine stellt. Auf dem Tresen steht ein Himbeer-Bananen-Kuchen, den sie gerade aus dem Ofen geholt hat. Es ist der dritte an diesem Morgen, einen weiteren muss sie später noch machen. Vier Kuchen sind es derzeit täglich, am Wochenende noch mehr. „Da sieht man mal wieder, dass alles anders kommt, als man denkt“, sagt Jennifer, die ursprünglich kalkuliert hatte, mit ihrem Mittagsangebot den meisten Umsatz zu machen. Aber Pustekuchen!

In diesem Monat will sie die Zehntausend knacken, endlich eine fünfstellige Zahl schaffen. Zum ersten Mal. Klingt nach Friede, Freude, Eierkuchen. Doch dann rechnet die Geschäftsfrau vor, dass von dem Umsatz sieben beziehungsweise 19 Prozent Mehrwertsteuer abgehen und davon wiederum rund 35 Prozent für den Wareneinsatz abgezogen werden müssen. Von dem bleibenden Rohertrag muss sie ihre laufenden Kosten decken. 5500 Euro monatlich hat sie für Personal, Miete, Telefon, Strom, Wasser und Sonstiges eingeplant. Inzwischen geht sie von mindestens 6000 Euro aus.

Ohne Personal geht es nicht

Inzwischen. Seit sie das Personal wieder aufgestockt hat. Seit sie gemerkt hat, dass es einer alleine doch nicht schafft. Dass sie mindestens zu zweit oder sogar zu dritt sein müssen. Schon jetzt! Und wenn die Außenbewirtung erst einmal startet, erst recht. Vor ein paar Tagen war jemand vom Ordnungsamt da und hat alles ausgemessen, nächste Woche könnte es schon losgehen. Sobald die Genehmigung vorliegt. Und die Möbel da sind. Biergarnituren aus der Metro. „Die werden aber noch gepimpt“, ruft Jennifer, um gegen den Lärm des Mixers anzukommen. Sie macht gerade Smoothie für eine Kundin. „In den nächsten Tagen schickt fritz-kola einen Künstler vorbei, der die Bänke und Tische aufpeppen soll.“

Eine Win-win-Situation: Der Getränkehersteller aus Hamburg bezahlt die Bemalung der Möbel und darf im Gegenzug sein Logo im Laden zeigen. „Außerdem verkauf ich die Getränke von fritz-kola.“ Jennifer will noch mehr sagen, winkt dann aber ab. Ihre Stimme versagt langsam. Und das ausgerechnet heute. Kurz vor ihrer Kuchenparty am Sonntag, bei der sie mit 50 Gästen rechnet. „Ich sag ja: Der Kuchen macht’s!“, sagt sie und erzählt, dass sie vor ein paar Tagen sogar eine Anfrage von der Kuchenplattform www.icakeyou.net bekommen hat, die ihren Kuchen mit in ihr Internetangebot aufnehmen wollen. Was das bringt? Sie zuckt die Schultern. Kann man nicht wissen! Sie hat trotzdem zugesagt. Nach dem Motto: Wer die Krümelchen nicht ehrt, ist des Kuchens nicht wert.

Apropos! Sie holt einen Lappen, wischt ein paar Krümel vom Tisch und legt ein Buch auf die Platte. „Hamburg vegan (er)leben“, steht darauf. „Das ist ein neues Gutscheinbuch, in dem wir drinnen sind“, sagt Jennifer und erklärt, was es damit auf sich hat. In dem Buch gibt es Dutzende von Gutscheinen veganer Cafés und Geschäfte in Hamburg, die der Käufer in den jeweiligen Läden einlösen kann. Ende April kommt das Buch in den Handel und kostet rund 14 Euro. Die Auflage: 2500 Exemplare.

Sie hofft auf 2500 neue Kunden – mithilfe eines veganen Gutscheinbuches

Initiatorin ist ihre Freundin Anna Schneider, die bereits ein Gutscheinbuch für Cafés herausgebracht hat und damit großen Erfolg hat. „Stellt euch mal vor! Wenn 2500 Leute das Buch kaufen, kommen auch 2500 Leute zu mir in den Laden“, sagt Jennifer und lacht. Man könnte sagen: wie ein Honigkuchenpferd. Klar, beim ersten Besuch würde sie damit nichts verdienen, weil ja alle einen Gutschein haben. Aber sie hofft, dass die Gäste wiederkommen. Und wieder kommen. Und wieder. Immer wieder.

Jetzt ist die Stimme fast ganz weg. Jennifer hat ihrer Kollegin Duygu eine Nachricht geschickt, dass sie einspringen muss. „Ich mach nur noch schnell einen Kuchen, bevor ich abhaue“, flüstert sie und schiebt noch schnell hinterher, dass sie endlich einen Obst- und Gemüselieferanten gefunden hat. Bisher kamen die Waren vom Händler in der Nachbarschaft. „Bei dem habe ich 16,95 Euro für eine Kiste Babyspinat bezahlt. Der Lieferant nimmt aber nur 10,95“, sagt sie. Bei 20 bis 25 Kisten Obst und Gemüse pro Monat seien das rund 100 Euro weniger. So, jetzt ist aber Schluss, wirklich. Sie will nach Hause. Es ist kurz vor 12.

Acht Stunden später ist sie immer noch da. Um 21.30 Uhr verschickt sie die letzte Mail. Dann verkrümelt sie sich. In zehn Stunden geht’s weiter.